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Das
jüngste Gewitter
Endstation Lethe
Roy Andersson sperrt in seinem Film "Das
jüngste Gewitter" kalkweiße Untote in starre Tableaus voller
Elend, Musik und Komik.
Dramen des Alltags: Eine Frau
auf einer Bank, die klagt, dass sie niemand sie lieb hat, daneben ein dicker
Mann mit Hund, dem sie sagt, er soll abhauen. Die Frau weint, später singt
sie. Eine jüngere Frau, eine Lehrerin, die vor ihrer Klasse weinend zusammenbricht,
weil ihr Mann sie als Hexe beschimpft hat.
Ein Mann, der mit dem Auto im Stau steht und im Schneckentempo von rechts nach
links durchs Bild fährt, erzählt einen Traum vom Familienfest, bei
dem er das zweihundert Jahre alte Edelgeschirr der Familie zertrümmert,
deshalb vor Gericht muss und zum Tod auf dem Elektrischen Stuhl verurteilt wird.
Roy Andersson zeigt uns diesen Traum. Ebenso wie, gegen Ende, einen weiteren,
der viel glücklicher ist, einen Hochzeitstraum, es spielt die Musik dazu,
ein Haus fährt in den Bahnhof ein und dann wieder davon. Aus dem einen
Traum zu erwachen, ist schön; aus dem anderen zu erwachen nicht.
Anderssons Einstellungen sind
Tableaus. Kaum einmal bewegt er die Kamera und wenn, dann ganz langsam. In seinen
Tableaus gibt es stets ein, zwei Zentralfiguren, dahinter, zur Seite oft Zeugen,
die stumm bleiben, herumstehen - und sitzen, als habe sie dort ein Regisseur
oder Maler platziert. Die meisten der Personen, sei es im Zentrum, sei es zur
Seite, sind von trauriger Gestalt, manchmal grotesk. Höhepunkt des Grotesken:
ein hagerer Mann liegt rücklings auf dem Bett, er hat Sex mit einer dicken
Frau, die hat einen Helm auf dem Kopf. Der Mann berichtet, dass seine Rentenrücklagen
rapide an Wert verloren haben, während die Frau, der Situation angemessener,
stöhnt. Beide sind bleich, wie gekalkt, wie überhaupt aus fast allen
Personen in "Das jüngste Gewitter", das Leben zu weichen, wenn
nicht gewichen scheint. "Du lebender" lautet übersetzt der Originaltitel
des Films, der sein Motto von Goethe bezieht: "Freue dich also, Lebendger,
der lieberwärmeten Stätte, ehe den fliehenden Fuß schauerlich
Lethe dir netzt." (Später im Film sieht man eine Straßenbahn-Endstation
'Lethe'.)
In vielen der Bilder des Films
sieht man Türen, auch Fenster. Die Räume sind recht kahl meist, ein
Tisch, ein Bett, eine Pauke, ein bisschen Kunst an den Wänden, die auch
nichts mehr rettet. In diese Leere hinein stellt Andersson seine Figuren und
lässt sie allein mit sich und der trostlosen Welt, in die er sie da gesteckt
hat. Nicht ganz allein, denn in vielen dieser kahlen Räume gibt es Türen,
hinter denen jemand ist, auf den man zuvor nicht geachtet hat, und der plötzlich
spricht. Eingesperrt jedoch sind sie alle, die da stehen und fallen, kalkweiß,
auf der Suche nach Trost. Diesen Trost gibt womöglich Musik. Männer,
die der Film aufliest zuhause, dann in einem wieder sehr leeren Raum versammelt,
machen als "Louisiana Brass Band" Musik. Die Tuba, die Pauke, das
Banjo, die kleine Trompete. Auch sonst spielt, wenn auch verloren, wenn auch
im Hintergrund, meistens Musik. Man kann sich, nicht nur der Musik wegen, in
"Das jüngste Gewitter" fühlen wie in einer Inszenierung
von Christoph Marthaler, nur dass die Raum- und Gefühlstemperatur um einige
Grad runtergedreht ist.
Komik gibt es auch, visuelle Gags
wie den zu Beginn: Ein Mann schlurft mit einer Gehhilfe durchs Bild, zieht seinen
Hund hinter sich her, der sich, ohne dass der Mann es bemerkt, in der Leine
verheddert hat, sich, auch dem Rücken liegend, windet. Machtlos ausgeliefert
und winselnd. Im Hintergrund ein Fenster, aus dem ein Mann blickt, der sich aber
abwendet in dem Moment, in dem das Drama mit dem sich windenden Häufchen
Elend im Vordergrund sich abzuspielen beginnt. In dieser Bewegung verdichtet
sich der Grundzug des Films, der Menschen zeigt, die ihrem Nächsten in
schwieriger Lage nicht zu helfen bereit sind. Die als Zeugen nicht daran denken,
zu helfen, es sei denn, es lässt sich nun gar nicht vermeiden. Ein Zeuge
genau dieser Art ist auch Roy Anderssons Kamera, zu Zeugen dieser Art macht
der Film seine Zuschauer. Ein paarmal wendet sich ein Darsteller direkt an die
Kamera und damit an uns, nicht aber in der Hoffnung auf Hilfe oder auf Mitgefühl.
Die Worte in unsere Richtung sind deshalb genau genommen nicht einmal Mitteilung,
denn geteilt wird hier nichts, das Gesagte hängt im Raum, dringt nicht
durch, als läge eine Glasscheibe zwischen uns und den Charakteren in ihrer
Andersson-Welt.
Der Regisseur, der an jeder einzelnen
Einstellung, wie er sagt, wochenlang tüftelt, äußert in Interviews
gern Gegenwarts- und Gesellschaftskritik. Der Kapitalismus, so seine These,
macht die Menschen zu jenen Untoten, die er in seinen Filmen nun vorführt.
Nur tut er dies reichlich kontextlos und manchmal mit einer Freude am Gag und
an der Trostlosigkeit, die an Sadismus jedenfalls grenzt. Wie zwischen zwei
Glasplättchen gepresste Proben verallgemeinerten Menschheitselends präsentiert
Andersson seine Figuren. Die Eintönigkeit dieser Diagnosen ist, aller Musik
zum Trotz, ein ethisches Problem, das zuletzt weniger auf unsere Gegenwart als
auf das Weltbild ihres Erfinders zurückfällt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst am 19.3.2008
erschienen in:www.perlentaucher.de
Zu diesem Film gibt es im
archiv der
filmzentrale mehrere texte
Das
jüngste Gewitter
Schweden
2007 - Originaltitel: Du Levande - Regie: Roy Andersson - Darsteller: Håkan
Angser, Björn Englund, Eric Bäckman, Elisabeth Helander, Gunnar Ivarsson,
Lennart Eriksson, Patrik Anders Edgren, Pär Fredriksson - FSK: ab 6 - Länge:
94 min. - Start: 20.3.2008
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