zur
startseite
zum
archiv
Jules
und Jim
",Jule
et Jim' wird eine Hymne
auf
das Leben und auf den Tod,
die
in heiteren und traurigen
Episoden
zeigen will, dass eine
Liebesbeziehung
außerhalb
des
Paares auf die Dauer keine
Chance
hat." (1)
Leicht,
locker, lebenslustig, leger. Alles scheint zu schweben. Man taumelt durch das
Leben, als wenn es nichts wäre, ein bestimmtes Nichts, ein Nichts, in dem
es nichts Ernstes zu geben scheint, nur das Beschwingte, das Fröhliche,
Lustige, der Genuss und die Freude, das leichte Glück und das Heitere.
Selbst der Krieg scheint nur eine - wenn auch jahrelange - Unterbrechung des
träumerischen Wirklichen. Wer gewonnen habe, sei nicht so wichtig, dass
Jules und Jim überlebt hätten, sei viel wichtiger.
Aber
nicht nur die Geschichte von Catherine (Jeanne Moreau), Jules (Oskar Werner)
und Jim (Henri Serre) scheint dieser Atmosphäre verhaftet; auch die Art
und Weise, wie Truffaut diese Geschichte (mit der Handkamera) in Bilder umsetzte,
zeugt von einer Leichtigkeit und Beschwingtheit, ja fast Sorglosigkeit, die
einen Blick auf die französische Gesellschaft oder zumindest einen Großteil
der intellektuellen Nachkriegsgeneration Frankreichs zu öffnen, die sich
bezüglich des Kinos als Nouvelle Vague prononciert zu etablieren schien
und mit der Namen wie Truffaut, Malle, Godard, Chabrol, Rivette und Rohmer verbunden
waren. Und das, obwohl der Film im Frankreich von Anfang des 20. Jahrhunderts
bis etwa 1934 spielt.
Paris
vor dem ersten Weltkrieg. Der Schriftsteller Jim trifft auf den aus Österreich
stammenden Biologen Jules. Die beiden charakterlich so unterschiedlichen jungen
Männer freunden sich an. Ein Leben lang werden sie sich mit "Sie"
anreden, was ihrer Freundschaft keinen Abbruch tut, im Gegenteil, was ihre Freundschaft
mit der Aura des Ernsthaften umgibt. Jim ist ein "halber" Beau, ein
kultivierter, eleganter Mann, ein Lebemann, der jedoch nicht auf der faulen
Haut liegt, sondern schreibt, ein Bonvivant der sympathischen Art, von Frauen
angezogen, die ihn wiederum bewundern - ganz der Autor Roché, der die
Geschichte seines frühen Erwachsenendaseins erzählt. Jules dagegen,
ein bisschen naiv, ein geduldiger Mann, ein sanftmütiger Mensch, in jeder
Hinsicht großzügig und verständnisvoll, scheint in Jim einen
Freund gefunden zu haben, der ihn ergänzt - vice versa.
Man
führt Gespräche, geht Fechten, ergeht sich in flüchtigen Frauenbekanntschaften,
während Gilberte (Vanna Urbino) vergeblich bemüht ist, Jim zur Heirat
mit ihr zu bewegen. Jules und Jim lernen eines Tages Catherine kennen. Diese
Catherine! Ihr Lächeln, ihre Freiheit, ihre Sorglosigkeit, aber auch ihre
Zerbrechlichkeit, ihre Intelligenz und Lebenslust. Beide verlieben sich in Catherine,
verbringen einige Wochen des Sommers am Meer in einem weiß gestrichenen
Feriendomizil, albern herum, haben Spaß - bis der Krieg 1914 Jules und
Jim in die verfeindeten Armeen Deutschlands und Frankreichs reißt.
Catherine
ist schwanger von Jules, den sie kurz vor Beginn des Krieges heiratet. Jim hatte
Jules noch gewarnt. Catherine sei eine Frau, die nie einem Mann allein gehören
könne. Doch Jules ist überglücklich, obwohl er jetzt in den Krieg
muss.
"Catherine
macht alles gründlich,
fast
pedantisch. Sie ist kein Mensch;
sie
ist eine Naturgewalt und manifestiert
sich
nur durch sich selbst. Sie lebt ihr
ureigenes
Leben in Klarheit und
in
Harmonie und lässt sich nur vom
Gefühl
ihrer Unschuld leiten."
(Jules
zu Jim)
1918.
Jules und Catherine leben mit ihrer kleinen Tochter Sabine (Sabine Haudepin)
in einem Holzhaus im Schwarzwald (gedreht wurde im Elsass). Und eines Tages,
nachdem er das Wiedersehen um einige Wochen hinaus gezögert und in dieser
Zeit über den vergangenen Krieg geschrieben hatte, besucht Jim Jules und
Catherine. Jim merkt schon bald, dass es zwischen den beiden nicht mehr stimmt.
Und er erfährt von beiden, dass Catherine für sechs Monate weggelaufen
war, mit einem früheren Bekannten, Albert (Boris Bassiak), ein Verhältnis
hatte, auch mit anderen Männern. Plötzlich ist sie in Jim verliebt,
will von ihm ein Kind. Jim jedoch muss zu seinem Verleger nach Paris zurück.
Und als er wieder kommt, ist alles wieder anders.
"Ich
verzichte immer mehr auf sie", sagt Jules, der Jim bittet, Catherine zu
heiraten, aber aufzupassen, sie nicht zu verletzen, sie immer zu würdigen.
Catherine jedoch scheint mit beiden zu spielen, und mit Albert. Jim kommt zu
der Erkenntnis, lieber Gilberte endlich zu heiraten, anstatt vergeblich auf
Catherine zu hoffen.
"..
Sie ist eine Königin, Jim. Ich
will
ganz offen mit Ihnen sprechen.
Catherine
ist keineswegs besonders
hübsch
oder intelligent oder ehrlich,
nur,
sie ist eine wirkliche Frau.
Und
diese Frau haben wir beide.
Sie
ist es, die alle Männer begehren.
Warum
hat Catherine, die so
umworben
wird, uns beiden das
Geschenk
ihrer Gegenwart gemacht?
Weil
einzig und allein wir sie
vorbehaltlos
anerkennen wie eine Königin."
(Jules
zu Jim)
Das
Hin und Her, die Wechselhaftigkeit Catherines, ihre Unentschlossenheit wie ihre
Entschlossenheit, ihre Verletzlichkeit und ihre Haltlosigkeit führen in
eine Tragödie - und Jules bleibt allein zurück, ohne die einzige Frau,
die er je geliebt hat, und den einzigen wahren Freund seines Lebens.
Truffaut
war von dem Roman Rochés, der stark autobiographische Züge trägt,
schon seit Mitte der 50er Jahre fasziniert, konnte sich aber zunächst nicht
vorstellen, dass diese Geschichte für das Kino adaptiert werden könne.
Später schrieben er und Gruault immer wieder an dem Drehbuch, feilten,
änderten, strichen Passagen, machten sich Gedanken über die Besetzung.
Und es ist nicht zuletzt Jeanne Moreau selbst gewesen, die Truffaut in seinem
Ziel bestärkte, diese Geschichte zu adaptieren.
"Jules
et Jim" war Anfang der 60er Jahre ein gewagtes Unternehmen. Und Truffaut
war verwundert, dass der Film von der Zensur freigegeben wurde - wenn auch erst
ab 18. Im Gegensatz zum bisherigen (französischen) Mainstream gibt es in
"Jules et Jim" keine Schwarz-Weiß-Malerei in den Figuren, keine
moralische oder charakterliche Eindeutigkeit in den Personen. Es geht nicht
um eine Frau zwischen zwei Männern, sondern um eine Frau im Verhältnis
zu zwei Männern und um deren Freundschaft. Es geht nicht um einen gehörnten
Ehemann und einen heimlichen Geliebten, sondern um zwei Männer, deren Freundschaft
in beider Liebe zu Catherine eben nicht zerbricht, sondern bis zuletzt aufrecht
erhalten bleibt. Wir treffen auf keine "Guten" und "Bösen",
sondern auf wirkliche Menschen, auf eine gelebte Moral, nicht auf eine aufgesetzte.
Truffaut
bewundert diese Catherine, aber eben vor allem, weil Jeanne Moreau sie verkörpert.
Er sieht, wohl nicht ganz zu Unrecht, in der Moreau vieles von der Romanfigur
und umgekehrt. De Baecque und Toubiana drücken dies in ihrer Truffaut-Biographie
so aus: "Durch die Figur der Catherine wird Jeanne Moreau für Truffaut
zur Inkarnation der vollendeten Frau - zerbrechlich und verhängnisvoll,
intelligent und lebhaft, lustig und tragisch, frei, unabhängig, bis zum
Äußersten ihrem sexuellen Begehren folgend." (2)
"Jules
et Jim" ist die Geschichte von Glück, Leidenschaft, Liebe und Freundschaft,
aber eben auch von Tragik, Abhängigkeit und Tod. Beide Männer sind
emotional derartig von Catherine fasziniert, dass sie an dieser Abhängigkeit
zugrunde gehen. Allerdings, und das macht den Film zu einem Unikum in seiner
Zeit, enthält sich Truffaut jeglicher moralischer Be- oder Verurteilung.
Er erzählt, auch mit Hilfe eines Erzählers aus dem Off (der Schauspieler
Michel Subor in der Originalversion), aus notwendiger Distanz wie einfühlsamer
Nähe zu den drei Hauptfiguren die Geschichte in einem Zeitrahmen von ungefähr
30 Jahren (bis zur im Film in einer Wochenschau gezeigten Bücherverbrennung
der Nazis).
"Jetzt
war die Angst für Jules zu Ende,
die
ihn bedrückte, seit er Catherine
kannte.
Angst zunächst, dass sie ihn
betrügen
könnte, zuletzt nur noch Angst
vor
ihrem Tod. ... In
Catherine war Jules
die
harte Wirklichkeit begegnet, an der
er
zerbrach. Hatte Catherine den Kampf
um
des Kampfes willen geliebt? Nein,
gewiss
nicht. Aber sie hatte Jules um alles
gebracht:
sein Glück, seine Ideale, seine
Liebe.
Die Freundschaft zwischen Jules und
Jim
hatte in der Liebe keine Entsprechung
gefunden.
Sie freuten sich an den Nichtigkeiten
des
Lebens und übersahen wohlwollend
die
Fehler des anderen. Schon zu Beginn ihrer
Freundschaft
gab man ihnen die Spitznamen
Don
Quichote und Sancho Pansa."
"Jules
et Jim" ist eben nicht nur eine bittere Tragödie, sondern zuweilen
auch eine leicht sarkastische und selbstironische Komödie. Die Positionierung
der Figuren ist nie eindeutig möglich. Sie "schwirren" durch
die Zeit, gruppieren sich um, und nicht zuletzt eine beschwingte Komik ist dafür
ab und an verantwortlich, dass der Film nicht zu einer bierernsten Angelegenheit
wird - etwa wenn Catherine den beiden Männern erklärt und mit dem
Gesicht zeigt, dass sie beschlossen habe, künftig nicht mehr mit einem
ernsten Gesicht herumzulaufen, sondern mit einem Lächeln. Sie macht es
vor, und fast unmerklich lässt Truffaut u.a. in dieser Szene das Bild kurz
anhalten, um Jeanne Moreaus Gesichtsausdruck festzuhalten. Nicht zuletzt rekurrieren
Truffaut und die Moreau in dieser Szene auch auf die bisherigen, sehr ernsten
Rollen der Moreau.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Prädikat:
Besonders wertvoll
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: www.follow-me-now.de
(1)
Aus einem Brief Truffauts an Helen Scott vom 26.9.1960, in: Briefe 1945-1984,
Köln 1990, S. 188.
(2)
Antoine de Baecque, Serge Toubiana: François Truffaut. Biographie,
2004 (1996), S.291.
Jules
und Jim
(Jules
et Jim)
Frankreich
1962, 105 Minuten
Regie:
François Truffaut
Drehbuch:
François Truffaut, Jean Gruault, nach dem Roman von Henri-Pierre Roché
Musik:
Boris Bassiak, Georges Delerue
Kamera:
Raoul Coutard
Montage:
Claudine Bouché
Produktionsdesign:
Fred Capel
Darsteller:
Jeanne Moreau (Catherine), Oskar Werner (Jules), Henri Serre (Jim), Vanna Urbino
(Gilberte), Boris Bassiak (Albert), Sabine Haudepin (Sabine), Marie Dubois (Thérèse)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0055032
©
Ulrich Behrens 2005
zur
startseite
zum
archiv