zur startseite
zum archiv
Julia
sorten
von schlecht
Wer im richtigen Leben nach Möglichkeit
nur über die Filme schreibt, die schon im Vorfeld etwas oder gar viel versprechen,
kann im Wettbewerb der Kosslick-Berlinale ausgiebig eine zum Glück ungewohnte
Erfahrung machen: es gibt so viele verschiedene Sorten von schlecht. Schlecht
zum Beispiel wie einfach nur nicht gelungen. Das wäre dann "Julia",
der Film von Erick Zonca, dem Regisseur, der vor zehn Jahren den sehr schönen
"La vie revees des anges" gedreht hat und dann "Le petit voleur"
und dann kam nichts mehr.
Jetzt aber schickt er Tilda Swinton als
läuterungsbedürftige Trinkerin durch eine heillos bescheuerte Geschichte,
die in einem ebenso heillos klischierten Mexiko ihr Ende nimmt. Die Einzelheiten
(Sex, Filmriss, Entführung, Scheiße in der Badehose, Durchbruch durch
Grenzzaun) lasse ich mal in allen Einzelheiten weg. Ja, ich finde, wie jeder
vernünftige Mensch, Tilda Swinton toll. Stellt Tilda Swinton auf eine leere
Bühne, gebt ihr meinethalben einen wuschelköpfigen Jungen, einen Flachmann
und eine Knarre in die Hand und lasst sie machen. Das seh' ich mir an, stundenlang.
Aber, bitte, zwingt sie nicht in einen Plot, der sich in ein paar oberflächlichen
Gesten zwar an Cassavetes orientiert, im Grunde aber nicht die leiseste Ahnung
hat, was er will oder soll. In dem Tilda Swinton von einer Alkoholikerin zum
Muttertier reift, bei Gelegenheit einen Mann zweimal überfährt und
bei anderer Gelegenheit einem anderen Mann das Hirn aus dem Kopf an die Wand
schießt, von der es dann tropft. Müsste man irgendwas an "Julia"
ernst nehmen, hätte er in der zweiten Hälfte einen wirklich bösen
Stich in Richtung Latino-Rassismus. Da ist es dann fast schon wieder ein mildernder
Umstand, dass alles an diesem Film, der auch dem Genre, in dem er sich bewegt,
kein bisschen traut, ganz und gar sinnlos ist.
Kurz darauf wünschte ich mich freilich
in die Pressevorführung von "Julia" zurück. Während
die "nicht gelungen"-Sorte von schlecht einfach traurig ist, weil
es eben schade ist, wenn man zum Beispiel mehr als zwei Stunden lang dem Vertun
schöner Chancen zusehen muss, gibt es auf der Berlinale viel zu oft auch
die andere Sorte schlecht: nämlich erbärmlichen Dreck wie "Gardens
of the Night". Bei diesem Kindesmissbrauchs-Porno, der freilich so softsoftsoftpornoesk
ist, dass man nicht mal recht begreift, was hier eigentlich passiert, der zwar
nicht weiß, was er, das aber so verlogen verständnisvoll tut, dass
einem das Kotzen kommt - bei einem solchen Dreck also hätte ein Auswahlgremium,
das noch alle Kunstverstandtassen im Schrank hat, nach einer halben Stunde der
Vorführung im Vorfeld gesagt: Wir gehen uns jetzt erstens zwei Stunden
lang duschen und wollen zweitens alle, die an etwas derart Ekligem beteiligt
sind, in unserem Leben nie wieder sehen. Stattdessen: roter Teppich. Stattdessen:
Wettbewerb. Stattdessen: Beschmutzung all der guten und auch der bloß
nicht gelungenen Filme, die sich nun, ob sie wollen oder nicht, mit so etwas
vergleichen lassen müssen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen im: epd Berlinale-blog 2008: http://blog.epd-film.de/stories/4692740/
Zu diesem Film gibt’s im
archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Julia
Frankreich 2007 - Regie: Erick Zonca - Darsteller: Tilda Swinton, Saul Rubinek, Aidan Gould, Kate del Castillo, Jude Cicolella, Bruno Bichir, Horacio García Rojas, Gastòn Peterson, Mauricio Moreno, John Belluci - FSK: ab 16 - Länge: 138 min. - Start: 19.6.2008
zur startseite
zum archiv