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Junebug
Ein Pflaster
reicht für alte Wunden
In "Junebug", dem Spielfilmdebüt
von Phil Morrison, verschlägt es eine Galeristin aus Chicago ins ländliche
North Carolina. Dort fremdelt sie in der Familie ihres Mannes. Morrison gelingt
dabei eine Gratwanderung: Weder führt er die Provinz vor, noch ist er um
falsche Harmonie bemüht
Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern. Madeleine
(Embeth Davidtz), seit wenigen Monaten verheiratet mit George (Allesandro Nivola),
lernt erstmals dessen Familie kennen. Schnell wird klar, warum bislang kein
Kontakt zustande kam. Die Kluft zwischen der weltgewandten Madeleine, die in
Chicago eine Galerie für Art brut und "Außenseiterkunst"
leitet, und den Bewohnern einer in ländlicher Tradition und christlichem
Glauben verwurzelten Südstaaten-Kleinstadt kann durch einen Kurzbesuch
kaum geschlossen werden. Der Film beschreibt die beiderseitige Sprachlosigkeit
und das Nichtverstehen als gedämpften Konflikt, dessen Drama nicht ausgespielt
wird, sondern wundersam in der Schwebe bleibt. Was nicht geändert werden
kann, muss akzeptiert werden.
Einzig in Ashley (Amy Adams), der hochschwangeren
Frau von Georges Bruder Johnny (Ben McKenzie), findet Madeleine eine unwahrscheinliche
Freundin. Ashley ist ganz southern belle, unverdrossen optimistisch, stets zum
Plaudern aufgelegt und anscheinend blind gegenüber dem Verhalten ihres
Mannes, der eine unverdaute Wut in sich herumträgt, die sich vor allem
gegen den erfolgreichen Bruder richtet. Mit George, der während der ganzen
Zeit des Besuches selbst immer schweigsamer wird, wechselt er nicht eine Silbe.
Stattdessen wirft Johnny ihm in einer Szene unvermittelt einen Schraubenschlüssel
an den Kopf. Das bleibt folgenlos. Alte und neue Wunden muss man nicht besprechen,
es reicht, sie mit einem Pflaster abzudecken.
Dem Regisseur Phil Morrison gelingt in seinem Erstlingswerk
das paradoxe Kunststück, in Andeutungen und Auslassungen die Studie einer
Familiensituation zu entwickeln, die finster und versöhnt zugleich erscheint.
Eine Atmosphäre stiller Verzweiflung liegt über allem Geschehen, das
sich dennoch nicht ohne Heiterkeit entfaltet. Vor allem Ashley, deren Darstellung
Amy Adams verdient eine Oscar-Nominierung einbrachte, fungiert in ihrer unbedarft-einnehmenden
Art als heimliches Gravitationszentrum des Films, dem sich Madeleine nicht entziehen
kann.
Morrison denunziert keine seiner Figuren. Nicht die
hartherzig wirkende Mutter, die die Frau ihres bevorzugten Sohnes eifersüchtig
für "zu schön" hält und hinter deren Rücken versucht,
die anderen gegen sie aufzuwiegeln. Nicht den zornigen Johnny, der nicht mehr
weiß, wie er seine Frau lieben kann, und der die Tage lieber auf dem Sofa
vor dem Fernseher verbringt oder unter seinem Auto liegend daran herumschraubt,
anstatt sich auf die Geburt seines Kindes vorzubereiten. Was Madeleine, deren
Perspektive der Film über weite Strecken einnimmt, von den Mitgliedern
der Familie ihres Mannes, auf den sie selbst einen ganz neuen Blick entwickeln
muss, im Einzelnen hält, lässt sie niemanden wissen, auch nicht den
Zuschauer.
Trotz der offenen oder versteckten Anfeindungen ist
sie allen gegenüber stets freundlich und bemüht, am Familienleben
teilzunehmen, selbst wenn ihr Mann sie in dieser Aufgabe allein lässt.
Andererseits kommt keinen Moment ein Zweifel daran auf, dass sie sich der Fallhöhe
zwischen sich und den anderen bewusst ist. Wenn sie ihre kultivierte Art und
ihre Bildung auch nicht als Waffe einsetzt, so doch als Schild. Auf die Frage
der Mutter, wo Madeleine eigentlich ihre Heimat habe, weiß diese keine
rechte Antwort zu geben. Geboren wurde sie in Japan in ein diplomatisches Elternhaus,
ihre Kindheit und Jugend war ein einziges Umherziehen zwischen den Erdteilen.
Wer so aufwächst, lernt, wie man fremden Menschen gegenüber rasch
eine Freundlichkeit entwickelt, von der nie gewiss ist, ob sie auf Dauer ist.
Dieses Talent hilft ihr auch in den schwierigen Verhandlungen mit einem exzentrischen
Künstler aus der Gegend, die der eigentliche Anlass für diese Reise
waren.
So entgeht "Junebug" der Falle, sich in
der Konfrontation von kleinbürgerlicher Provinz und kosmopolitem Stadtleben
für eine der Seiten entscheiden zu müssen, ohne sie auf ein harmonisches
Einverständnis zu nivellieren. Wenn der Film so etwas wie eine Botschaft
hat, dann steckt sie vermutlich in Amys überraschendem Bonmot: "Gott
liebt dich genau so, wie du bist, doch er liebt dich viel zu sehr, um dich so
zu lassen."
Dietmar Kammerer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz vom 1.3.2007
Junebug
USA 2005 - Regie: Phil Morrison - Darsteller: Amy Adams, Embeth Davidtz, Ben McKenzie, Alessandro Nivola, Frank Hoyt Taylor, Celia Weston, Scott Wilson, Alicia Van Couvering - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 106 min. - Start: 1.3.2007
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