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Jungle Fever
She’s
gone black-boy crazy, I’ve gone white-girl hazy
Ain’t
no thinking maybe, we’re in love.
She’s
got jungle fever, I’ve got jungle fever
We’ve
got jungle fever, we’re in love
I’ve
gone white-girl crazy, she’s gone black-boy hazy
We’re
each other’s baby, we’re in love. (Stevie
Wonder)
Die Titelsequenz von „Jungle Fever“
ist im Grunde ein mehrschichtiger kleiner Film im Film, der Themen und Tonart
des folgenden main
features
vorwegnimmt. Insofern macht es Sinn, sie eingehender zu betrachten: Da ist zunächst
eine dokumentarische Ebene, die beliebige Passanten in einem New Yorker Wohnviertel
zeigt – die ‚reale’ Ausgangssituation. Und da ist eine zweite, artifizielle
Ebene, die diese überlagert: Auf Straßenschildern, die einkopiert
ins Bild ragen, sind die Titelcredits zu lesen. Dieser Kunstgriff, den Jacques
Tati bereits in „Mon Oncle“ (1958) anwandte, verweist hier wie dort augenzwinkernd auf die
Regelbesessenheit der modernen Gesellschaft, auf den ‚Dschungel’ von Gesetzen,
Codes und Normen, die das Zusammenleben in einer Großstadt bestimmen.
Naturgemäß sind die meisten Schilder einschränkender Natur:
Parkverbotsschilder, Geschwindigkeitsregulierungen oder das „One Way“-Schild,
das unter dem Namen von Regisseur Spike Lee angebracht ist.
Diese doppelte visuelle Schicht
ist wiederum unterfüttert von einer akustischen: Stevie Wonders euphorisierend-souliger
Titelsong Jungle Fever nimmt die Grundzüge der Spielfilmhandlung vorweg.
Mit einem Unterschied: In Einklang mit der Dur-Tonart ist in seinem Text von
einer romantischen Liebe die Rede, die sich den Ressentiments einer bornierten
Umwelt stellt. „We’re each others baby, we’re in love. (…) For color blind are
inner feelings, if we feel happiness.“ Die
filmische Erzählung wird allerdings im Folgenden mit der Beziehung ihrer
Protagonisten sehr viel pragmatischer verfahren.
The story runs like this: Flipper
Purify, Sohn eines radikalen Baptistenpredigers, hat mit Mitte Dreißig
einiges erreicht. Er ist Architekt, lebt mit seiner Frau Drew (Lonette McKee),
Einkäuferin des Nobelkaufhauses Bloomingdales, und der zehnjährigen
Tochter Ming (Veronica Timbers) in einem jener brownstone-houses, im District Striver’s Row/Harlem, die von der aufstrebenden
neuen black
middleclass
bevorzugt werden. Flippers Lebenswelt ist zweigeteilt: So ausschließlich
„schwarz“ seine Wohngegend, so ausschließlich „weiß“ ist sein Arbeitsplatz.
Im florierenden, hippen Downtown-Architekturbüro, das er mit aufgebaut
hat, ist er nach wie vor die einzige coloured person. Brownstone gegen white walls: Es grenzt an visuelle Polemik, wenn Lee die Büroräume
zusätzlich in blendendem Weiß erstrahlen lässt. Passend dazu
die Chefs, von Tim Roth und Brad Dourif hemdsärmelig und mit Larry-King-Hosenträgern
als Karikaturen des weißen Machismo dargestellt, die ihren Kollegen konsequent
desavouieren. Seine Bitte nach einer afroamerikanischen Sekretärin wird
ebenso ignoriert wie sein (berechtigtes) Ansuchen um Firmenbeteiligung.
Klare Ausgangfronten also, zwischen
denen sich die erotische Beziehung zwischen Flipper, dem Afro-Amerikaner, und
Angela (Annabella Sciorra), der Italo-Amerikanerin, anbahnen wird. Sie ist die
Zeitarbeiterin, die ihm von den Chefs als Sekretärin oktroyiert wird, jene
Frau also, deren Hauptmerkmal von Beginn an als ein Mangel an schwarzer Hautfarbe
definiert ist. Dennoch, auf emotionaler Ebene korrespondiert sie mit dem Afroamerikaner.
Ihr Kleid leuchtet bei der ersten Begegnung ebenso rot wie Hose und Hosenträger
des Mannes. Rot wie die Liebe, allerdings auch warnend rot, wie die Stoppschilder
des Vorspanns oder wie die Ampel, die am Morgen nach der ersten impulsiven Liebesbegegnung
in Flippers Bildvordergrund „Don’t Walk“ blinken wird.
Diese übermächtigen
Farben und Zeichen, von denen Lees Film besessen ist, werden letztlich Recht
behalten. Die Verbindung zwischen Schwarz und Weiß hat in „Jungle Fever“
keine Zukunft. Sie bleibt, wie der Titel schon andeutet, ein vorübergehender
Rausch- und Ausnahmezustand. Am Ende des Films wird der Mann zu Frau und Tochter
nach Harlem zurückkehren, die Frau zum Vater und den Brüdern in den
von italienischstämmigen Immigranten bevorzugten Stadtteil Bensonhurst.
Das, was Gilles Deleuze „Die große Form des Aktionsbildes“ nennt, ist
somit erfüllt. Eine Ausgangssituation (S) gerät durch das Wirken verschiedener
Kräfte aus den Fugen und wird im Zuge der Aktion (A) in eine neue, stabile
Situation (S’) überführt.
Im klassischen Liebesfilm hieße
das S-A-S’-Schema Alleinsein – Liebenlernen – Heiraten. Bei „Jungle Fever“ lautet
es dagegen völlig konträr: Im Milieu sein – den Ausbruch proben –
ins Milieu zurückkehren. Es gilt hier also nicht Hindernisse zu überwinden,
um die Liebe zu erfüllen, sondern die Liebe als Hindernis zu überwinden,
um die Harmonie des Milieus wieder herzustellen.
Wären da nicht die vielen
kleinen Widersprüche und Irritationen, man müsste Lees Film eine konservative
Botschaft unterstellen, letztlich sogar die Forderung nach Rassentrennung. Doch
so einfach liegen die Dinge nicht. Werden doch die Milieus, jedes für sich
– Harlem, wo zwischen Wohlstand, Crack und Prostitution nur ein paar Schritte
liegen, aber auch Bensonhurst mit seinem antiquiert-katholischen Wertfundament
– als pathogen dargestellt. Was bedeutet es also, sich die Liebe zu versagen,
um in ein
krankes Milieu zurückzukehren?
Auch, wenn es zunächst so
scheint: „Jungle Fever“ gibt keine Antworten. Vielmehr kollidieren in Lees Film
realitätsgeerdete Milieubeobachtungen mit Stereotypen, normierte Ansichten,
die sich wie ewige Gesetze in den Vordergrund drängen mit einem „hollywoodesken“
Anspruch, eine Liebesgeschichte zu erzählen, der irgendwo unterwegs links
liegen gelassen wird. So kommt Ebene auf Ebene zu liegen, doch sie wollen nicht
recht zueinander passen, ganz so, wie es der Vorspann zeigt. Was aus dieser
Kollision entstanden ist, ist ein Film, der in der Tonart schwankt, in der Erzählung
zerrissen ist und vieldeutig bleibt in seiner letzten Aussage.
Maya McKechneay
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Landsgesell, Gunnar; Ungerböck, Andreas: Spike Lee.
Berlin: Bertz + Fischer 2006
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Jungle Fever
JUNGLE FEVER
USA - 1991 - 132 min. - Erstaufführung: 24.10.1991/7.10.1992
Video - Produktionsfirma: 40 Acres and A Mule - Produktion:
Spike Lee
Regie: Spike Lee
Buch: Spike Lee
Kamera: Ernest Dickerson
Musik: Terence Blanchard, Stevie Wonder
Schnitt: Sam Pollard
Darsteller:
Wesley
Snipes (Flipper Purify)
Annabella
Sciorra (Angie Tucci)
Spike
Lee (Cyrus)
Ossie
Davis (Reverend Purify)
Ruby
Dee (Lucinda Purify)
John
Turturro
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