zur
startseite
zum
archiv
K.af.ka
fragment
Eine
Reflexion über Literatur und Kino, Nähe und Distanz
Wenn
das Kino in die Nähe von Franz Kafka gelangt, wird es entweder anmaßend
oder verzagt. Aber trotzdem muss es immer wieder versuchen, diesem schwarzen
Monolithen der modernen Erzählung nahe zu kommen, denn ohne Kafka ist das
Kino, will man mehr darin sehen als einen illustrierten Zeitvertreib, nicht
zu verstehen. Deshalb darf man den Mut nicht unterschätzen, den Filmemacherinnen
und Filmemacher aufbringen, um das Unmögliche immer wieder zu versuchen.
In
K.af.ka
fragment
von Christian Frosch, geht es um die Splitter zwischen Biographie und Literatur,
den Briefwechsel zwischen Franz Kafka und Felice Bauer, ein Spiel von Anziehen
und Abstoßen, die Verteidigung der Literatur gegen das Leben, eine Romanze
von Text und Bild. Wir haben nur Kafkas Briefe, die von Felice hat er verbrannt.
So kann man nur um eine leere Stelle erzählen, gegen ein stummes Objekt
anfilmen.
Die
ästhetische Methode, die Frosch für eine "Verfilmung" der
Briefe einsetzt, erscheint so klar wie einleuchtend: Er drehte auf Super 8,
was die Körnigkeit der Bilder so sehr beeinflusst wie die Schartigkeit
der Konturen. Kafka, dem Lars Rudolph Gestalt verleiht, ist in seinen Texten
präsent, Felice (Ursula Ofner) muss sprachlos bleiben. Der Ton und das
Bild sind nicht auf die simple Art miteinander synchron; beides ist autonym
und aufeinander bezogen. Natürlich geht da nichts in den Regeln des psychologischen
Realismus auf. Vielleicht sind es zwei Sätze Kafkas, denen der Film auf
der Spur ist: Die Literatur, sagt er, sei "eine Axt für das gefrorene
Meer in uns". Und über Briefe schreibt er, sie seien "Zwitter
aus Entfernung und Gegenwart". Mit diesen beiden Sätzen könnte
man auch das Kino beschreiben. Jedenfalls das Kino der Art von K.af.ka
fragment.
Selten
sieht man wie hier, dass die Erzählweisen des "Experimentalfilms"
keine abstrakten Ausweitungen ästhetischer Aktionsfronten bleiben müssen;
wenn sie den Menschen und wenn sie das Problem finden, dann werden sie vielmehr
zu Formen des filmischen Denkens. Der Mensch und das Problem dieses Films ist
weder Kafka noch Felice, es ist vielmehr eine Wechselbeziehung von Empfindung
und Erfindung. Das Bild der Geliebten entsteht aus dem Text, aber es verweigert
sich ihm auch. So entsteht eine Bilder-Oper über einem Briefwechsel-Text,
ein Versuch darüber, wie ein Text in der Welt der Empfindungen wirkt. Wir
sehen zu, wie ein literarisches Objekt und zugleich ein filmisches Objekt erzeugt
wird und verloren geht. Beides geht nicht ineinander auf, beides konstruiert
Wirklichkeiten zwischen Entfernung und Gegenwart. Kafkas Text, dem ein Film
entspricht, ohne sich ihm unterzuordnen, ist die Gegenwärtigkeit eines
entfernten Menschen und die Entfernung eines gegenwärtigen Menschen. Daher
handelt diese Bild/Text-Komposition zum einen von einer unglücklichen Liebe,
an der man als Subjekt kaputt gehen kann, und sie handelt von der Grammatik
von Literatur und Film.
Das
klingt kompliziert, wie jede Rückübersetzung nicht unterworfener Bilder
in Sprache. Vielleicht kann man das Wesen dieser Komposition einfacher so ausdrücken:
Ein Mensch, der zufällig Schriftsteller ist, arbeitet mit einem Text an
der Erzeugung von Bildern und erkennt, dass dies nicht gelingen kann. Als würde
das Bild, das Kafka in seinen Briefen einfordert, aufscheinen, verblassen, springen,
die Gestalt wechseln, schwanken und sich drehen. So dekliniert Frosch die Kino-Bilder,
als entsprächen sie eben jener Imagination von Distanz und Annäherung,
Gewinnen und Verlieren des anderen. Und hinter dieser Interferenz von Text und
Bild ergeben sich Prinzipien einer dritten Komposition: Einzelne, springende
Einstellungen, langsame Schärfe, Übergang von Schwarzweiß zu
Farbe, verschobene Bildgeschwindigkeiten, manieristische Kadragen sind nicht
nur Indizien des nicht zu Ende erzeugbaren und der Wirklichkeit zu unterwerfenden
Bildes, sondern auch Elemente einer musikalischen Struktur von Wiederkehr, Variation
und Spiegelung.
Aber
Frosch durchbricht an entscheidenden Stellen wieder eine solche ästhetische
Struktur, um sie mit einem unbändigen Leben zu füllen. Aus der seriellen
Komposition der Bilder des Brunnens wird eine direkte Empfindung, wenn Felice
sich in den Wasserschwall wagt, lachend. Und weil es gerade auch ein Moment
ist, in dem sie uns wie dem Text Kafkas entkommen erscheint, befreit für
den Augenblick von einem, der sie sich erforschen und erschaffen will, verstehen
wir vielleicht auch Froschs Film als Versuch von Verstehen und Befreien. Man
könnte vielleicht sagen, dass die Texte und die Bilder immer nur an die
Wirklichkeit angrenzen - jedes von einer anderen Seite. Dass sie aber auch gerade
im Kampf miteinander die Grenze überschreiten - die Axt für das gefrorene
Meer in uns.
Man
muss also so genau hören wie man sehen muss in diesem Film. Rudolph trifft
im übrigen genau den richtigen Ton zwischen Schüchternheit, Unverschämtheit,
Schmeichelei und Distanzierung, zwischen Schärfe und Suggestion. Er macht
deutlich, wieviel Kampf in dieser Entfernungsliebe steckt. Wenn wir Felice für
den Augenblick glücklich (bei sich selbst) sehen, dann sogleich den rasend
textproduzierenden, textfordernden Kafka. Wird Felices Bild realer, so wird
Kafkas Bildwelt unglücklicher. Liefert Felice keinen Textbild-Nachschub,
so muss Kafka zu sich selbst als Thema zurückkehren.
Die
Gegenwärtigkeit des Entfernten, die Entfernung des Gegenwärtigen.
Kafkas Reise nach Berlin, bei der er Felice verfehlen muss, ist noch ein Albtraum.
Vielleicht geht der Film hier mit seiner Deutung etwas zu weit, indem er seine
ganze Welt ins Wanken bringt und seinen Kafka auf eine innere Überfahrt
schickt. Vielleicht ist auch der dritte Akt dieser Bilder-Text-Oper ein wenig
zu sehr an einem Psycho-Horrortrip orientiert, vielleicht die Überlagerung
mit expressionistischen Film-Vor-Bildern (und Felice als Lulu) zu ungenau. Den
Mut und den Reichtum des Films schmälert das nicht. Die Frage ist nur,
ob unsere Kinokultur noch so viel Mut und Reichtum aufbringt. Ob unsere marktverklebten
Augen noch etwas sehen, unsere Sprache zum Kino noch Froschs Anspruch gerecht
wird: "Mit jedem Film muss man das Kino neu finden und erfinden."
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in epd Film
K.af.ka
fragment
Österreich/Deutschland
2001. R,
B, Sch: Christian Frosch. P,
K: Johannes Hammel. M: VOOV. T: Peter Roigk. A: Annette Deutschmann. Ko: Sibylle
Gänßlen-Zeit. Pg: Hammel Film/Konrad-Froschfilm. V: Neue Visionen.
L: 85 Min. Da: Lars Rudolph (K.), Ursula Ofner (F.).
zur
startseite
zum
archiv