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Über kaum einen Autor wurde soviel geschrieben wie über Franz Kafka, kaum ein Œuvre wurde so oft und so verschieden interpretiert wie das seine. Steven Soderberghs Beitrag zum Mythos Kafka ist keine Künstlerbiographie im eigentlichen Sinne. Vielmehr verknüpft der Film biographische Elemente des Autors mit Versatzstücken aus dessen Werk, sowie zahlreiche Reminiszenzen an die Filmgeschichte zu einem düster-surrealen Verschwörungsthriller.
Erzählt
wird von Kafka (Jeremy Irons), der im Prag der 10er Jahre ein karges Dasein
als kleiner Angestellter einer großen Versicherungsanstalt fristet. Aus
der Langweile seines Alltags flüchtet er sich nachts an seiner Schreibmaschine
in die unheimliche Welt seiner Fantasie, in der bizarre Foltermaschinen ihre
Moral in die Leiber der Menschen einritzen oder ein armer Prokurist morgens
erwacht, um sich „in seinem Bett in ein ungeheures Ungeziefer“ verwandelt zu
finden.
Als
ein Kollege Kafkas tot aufgefunden wird, berichtet die Polizei, dass es sich
um Selbstmord handle. Kafka wird mit den Aktivitäten einer
politischen Widerstandsbewegung
konfrontiert, der auch seine Kollegin Gabriela Rossmann angehört, und die
verzweifelt versucht, gegen eine Verschwörung anzugehen, an deren Spitze
das örtliche Schloss stehen soll. Bei seinen Nachforschungen stößt
Kafka auf die Akte einer Fabrik, in der es zu erstaunlich vielen tödlichen
Unfällen kommt. Auch ein dubioser Dr. Murnau soll dort sein Leben gelassen
haben.
Virtuos
ist das nächtliche Prag mit seinen vielen Türmen und dunklen Gassen
in Szene gesetzt. Im Stil des expressionistischen Kinos, auf das auch der Name
Murnau verweist, komponiert Soderbergh düstere Gemälde, die es wie
nur wenige Schwarzweißfilme der letzten Jahrzehnte verstehen, aus dem
Kontrast von Licht und Schatten eine bedrückende Atmosphäre zu schaffen.
Eben so hervorragend sind die Darsteller, allen voran Jeremy Irons, dem es gelingt,
der Zerrissenheit seiner Figur ein glaubwürdiges Gesicht zu verleihen.
Fragwürdig,
und da liegt das Problem des Films, ist hingegen das, was Soderbergh aus Kafka
und seinem Werk macht.
„Verschwörungsfantasien“,
schreibt Georg Seeßlen, „sind Symptome der Entfremdung von Subjekt und
Macht, aber auch Versuche, sie zu überwinden.“ (epd-Film 5/06) Kafkas Œuvre
und darin vor allem die großen Romanfragmente, auf die sich Kafka
hauptsächlich
bezieht, scheinen Symptome der Unüberwindbarkeit der Entfremdung von Subjekt
und Macht zu sein. Am Beginn der Moderne zeichnete Kafka das Bild einer Welt
und der Macht, die diese beherrscht, die das (kleinbürgerliche) Subjekt
nicht mehr verstehen kann. Alles, was die Menschen in Das
Schloss schreiben,
sagen, auch ihre Taten sind ein rätselhafter Text, der nach Interpretation
verlangt. Der Protagonist K. aber steht diesem Text gegenüber wie ein Analphabet.
Josef K. ist es, in einem anderen Roman Kafkas, unmöglich, den Prozeß,
der, „ohne daß er etwas Böses getan hätte“, gegen ihn geführt
wird, zu begreifen. Er scheitert daran, sich gegenüber der Macht, die allgegenwärtig
scheint und sich doch niemals zeigt, zu behaupten. „Wie ein Hund“ wird er schließlich
von ihr ermordet. Damit sind Kafkas Protagonisten gerade das Gegenteil der Helden
handelsüblicher Verschwörungsplots, wie etwa Professor Langdon, der
im
Da
Vinci Code
lehrt: „The chaos of the world has an underlying order.“ Auf dieser Grundlage
ist den Langdons der Film- und Literaturgeschichte die Möglichkeit zu handeln
geblieben, sich gegen die Macht zu behaupten und deren Geheimnis zu enthüllen
gegeben, so schwierig und gefährlich das im Einzelnen auch sein mag. Auf
der Grundlage des Nichtverstehenskönnens einer Welt, in der alles auf einen
großen Zusammenhang der Begebenheiten, auf eine Verschwörung hinweist,
die sich doch nirgendwo preisgibt, wird für Kafkas Protagonisten hingegen
jeder Versuch, zu handeln, zum Kampf gegen Windmühlen.
Alle
Motive und Figuren, die bei Kafka ein Rätsel bleiben, aus dem Nichts kommen,
um im Nichts zu enden, werden in Kafka
eingebunden ins Bezugssystem eines Verschwörungsthrillers. Die vertrottelten
Gehilfen K.’s als Spione. Die monströse Bürokratie als Werkzeug zur
Vertuschung. Die Hinrichtung Josef K.’s als politisch motivierter Mord. Schließlich
das Schloss (dessen Innenräume als einzige des Films in Farbe gedreht sind)
als Arbeitstätte eines mad
scientist,
der versucht einen „effizienteren Menschen“ zu züchten. Aus der (Film-)Welt
der 10er- und 20er Jahre findet man sich in die der Fünfziger versetzt,
etwa in die Horrorfilme aus dem Hause „Hammer“.
Letztendlich
lässt Soderbergh seinen Kafka
scheitern.
Der Ausbruch aus seinem Alltag endet wieder an seinem Schreibtisch. Hier sieht
man ihn in der letzten Einstellung über seinem Brief an den Vater sitzen,
den er nie abschicken wird. Sein tuberkulöses Röcheln und das Blut
in seinem Taschentuch zeugen vom nahenden Tod. Dennoch scheitert er als Held,
nicht als Protagonist seines Films. Vor seinem Scheitern hat er gelernt zu verstehen
und nach seinem Verständnis zu handeln.
Scheitern
tut auch Soderberghs Film, weil er, bei aller inszenatorischer Virtuosität,
und atmosphärischer Dichte, Kafka nicht gerecht wird. Der Konvention des
Genres folgend, gibt er den „Monstern der Moderne“ ein Gesicht, wo bei Kafka
das Monströse gerade ihre Gesichtslosigkeit war. So verkennt Kafka
die Faszination Kafkas und entschärft gerade das, was sein Werk, bis heute,
so verstörend macht.
USA
/Frankreich 1991
Buch
und Regie: Steven Soderbergh
Darsteller: Jeremy Irons, Theresa Russell, Joel Grey, Ian Holm, Jeroen Krabbé, Armin Mueller-Stahl, Alec Guinness, Brian Glover, Keith Allen, Simon McBurney, Robert Flemyng, Matyelok Gibbs, Ion Caramitru, Hilde Van Mieghem, Jan Nemejovsky, Toon Agterberg, Maria Miles, Vladimir Gut, Emil Wolk, Josef Abrhám, Guy Fithen, Zuzana Halustokova, Ondrej Havelka, Lenka Korínková, Petr Lepsa, Leon Silver, Debora Weston, Jan Slovák, David Shaw Parker, Jerome Flynn, Ewan Stewart, James McPhee, Lubos Rychvalsky, Pavel Myslik, Frantisek Stupka, Petr Jákl, Karel Belohradsky, Josef Sebek, Robert Krejcik, David Jensen, Vitezslav Bouchner
FSK:16
Laufzeit:ca.
95 min
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