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Kagemusha
- Der Schatten des Kriegers
„Der
Berg hat sich bewegt”
Ein
Regenbogen über dem See, verkündet er Glanz und Glorie oder Vernichtung
und Tod? Das sei nicht nur ein Regenbogen, sondern ein Zeichen, verkündet
General Yamagata, ein Zeichen für die Macht des Hauses Takeda, für
den kommenden Sieg über die feindlichen Fürsten Nobunaga und Ieyasu.
Drei
Männer sitzen zusammen. Sie wirken äußerlich wie Drillinge.
Und doch sitzt einer über den beiden anderen: der Fürst und Krieger
Shingen Takeda. Wie die heilige Dreieinigkeit von Macht, Besitz und Ideologie
wirkt das Bild. Nur, es ist nicht so. Neben Shingen sitzt sein Bruder Nobukado,
der auch seinen Doppelgänger spielt in Zeiten, in denen es der Fürst
für notwendig erachtet, nämlich immer dann, wenn es heißt: „Der
Berg bewegt sich nicht.” Der Fürst thront mächtig, ruhig, fast gelassen
über allem und demonstriert den Feinden seine Überlegenheit. Auf der
anderen Seite sitzt Kagemusha, gekleidet wie die Takedas, aber von niederem
Stand, ein Dieb, einer, auf den man normalerweise spucken würde, einer,
den die Takedas normalerweise nicht einmal sehen oder gar beachten würden.
Einer, der aus dem Gefängnis geholt wurde, kurz vor seiner Hinrichtung.
Japan
1573, ein zerrissenes Land, gequält von den Machtkämpfen der fürstlichen
Kriegsherren, die um Kyoto kämpfen, die unter dem Vorwand, Japan einigen
zu wollen, Zehntausende ihrer Soldaten und Samurai in die Schlachten schicken,
Zeichen des Zerfalls, des Untergangs. Der Schuss aus einem neuen Gewehr eines
Scharfschützen trifft Shingen, nachts, und verletzt ihn tödlich. In
allen Einzelheiten erläutert der Scharfschütze den Fürsten Nobunaga
und Ieyasu, wie er Shingen auf dessen eigens dafür hergerichtetem Sitz
im Feldlager ins Visier genommen hatte, tagsüber, dann eine Schnur am Lauf
des Gewehres befestigte, deren anderes Ende er auf den Boden herunter ließ,
um durch diesen Abstand das Gewehr in die richtige Position zu bringen. In der
Nacht zielte er dann, ohne etwas sehen zu können, genau auf die Stelle,
an der Shingen sitzen musste – und traf. Der Fortschritt der Waffentechnik wird
Shingen zum Verhängnis. Aber Verhängnis ist ein Begriff, den Shingen
nicht kennt. Er kennt nur den Begriff Bestimmung. Vor seinem Tod hatte er befohlen
– und sein Befehl reicht weit über seinen Tod hinaus –, noch drei Jahre
am Leben gehalten zu werden: durch einen Doppelgänger, eben Kagemusha.
Heimlich
wird Shingen in einem großen Gefäß auf dem Grund eines Sees
beerdigt, und ab jetzt wissen weder die aller Orten versteckten Spione der rivalisierenden
Fürsten, noch der Hofstaat des Fürsten selbst und seine Soldaten so
ganz genau, ob Shingen noch lebt oder nicht. Nur sein Bruder Nobukado, sein
Sohn Katsuyori, General Yamagata, ein paar weitere Heerführer und ein paar
Diener und Leibwächter Shingens sind in die Doppelgängerrolle Kagemushas
eingeweiht, der nun mit den Gewohnheiten des Fürsten, seiner Umgebung,
seinen Konkubinen, seinem Enkel vertraut gemacht werden muss.
In
einer episch breit angelegten, farbenprächtigen und nur mit spärlichem
Einsatz von Musik versehenen Inszenierung erzählt Kurosawa – viele Jahre
nach seinen beiden bahnbrechenden Filmen „Rashomon” (1950)
und „Die
sieben Samurai”
(1954) – wieder von Japans Vergangenheit – ohne dabei sonderlich auf Gegenliebe
im eigenen Land zu stoßen. Die Finanzierung des Films gelang nur durch
Unterstützung von George Lucas und Francis Ford Coppola.
Die
Doppelgängerrolle des Diebes als Fürst wirkt fast wie ein sarkastischer
Kommentar zu einem dem Untergang nahen Gesellschaftssystem, das trotz aller
äußeren und verbalen Zeichen des Ruhms und der Größe seine
Menschenverachtung kaum verhüllen kann. Kagemusha beweist in den drei Jahren
nach dem Tod Shingens, wie rasch er sich in die Rolle des Fürsten einleben
kann. Selbst die Konkubinen des Fürsten bemerken den Betrug monatelang
nicht. Mit Erstaunen müssen Nobukado und die anderen Führer dies feststellen,
ohne die Tragweite dieses Ereignisses erkennen zu können oder zu wollen:
die Lüge, auf der ihr Gesellschaftssystem errichtet ist, die Lüge,
dass es Hochwohlgeborene, Auserwählte gibt und andererseits niedere Stände,
die nie in der Lage wären, die Aufgaben der Elite durchzuführen. Diese
Lüge kann nicht einmal der erste Diener des Fürsten, Sohachiro, zugeben,
als Kagemusha nach Ablauf der drei Jahre aus dem Hof vertrieben und von Samurai
noch mit Dreck beworfen wird.
Der
Schattenfürst wird zum Fürst. Der Glaube an das Fortbestehen des Hauses
Takeda versetzt zwar keine Berge, aber lässt Nobukado und die anderen Führer
an den Sieg des Hauses glauben. Kagemusha selbst erträgt die Rolle, auch
wenn ein Alptraum (von Kurosawa in grelle Farben getränkt) ihn quält,
in dem der tote Fürst ihn verfolgt. Selbst die Provokation Katsuyoris,
der die Rolle Kagemushas und vor allem die Erbfolge im Haus Takeda nicht ertragen
kann – sein Sohn Takemaru soll Nachfolger Shingens werden, nicht er –, meistert
der Dieb auf dem Thron meisterhaft und kann so die nicht eingeweihten Ratsmitglieder
täuschen.
Kurosawa
wechselt in fast schon voluminös angelegten Szenenfolgen zwischen den Schlachtfeldern
und dem Hof Shingens, zwischen der ideologisch aufgeblähten Größe
und dem Betrug der Feinde und der eigenen Leute. Die Ausstattung, die Kostüme,
die Landschaftsbilder, das Interieur vermitteln sowohl diesen bombastisch aufgeblähten
Kriegsapparat samt der nach Sieg dürstenden machtbesessenen warlords, als
auch die ausgetüftelten Tricks und Schliche, die Kagemusha in seiner Rolle
als Schattenfürst sichern sollen. Das Vermächtnis Shingens, noch drei
Jahre in Gestalt eines solchen Schattens zu überleben, in dieser Zeit die
beiden Hauptfeinde zu besiegen, um dadurch die Macht des Hauses Takeda zu sichern,
bis der Enkel Takemaru (als genug) an Shingens Stelle treten kann, vermitteln
aber auch den Größenwahn dieses sozialen Systems.
Als
in der entscheidenden Schlacht an die 25.000 Soldaten und Samurai des Hauses
Takeda durch die Truppen Nobunagas und Ieyasus den Tod finden, beobachtet der
„entlassene” Kagemusha, hinter hohem Gras versteckt, verzweifelt die tragische
Szenerie. Das Haus Takeda ist untergegangen. Er rennt auf das Schlachtfeld,
das mit Leichen, Schwerverletzten und auch toten und verletzten Pferden übersät
ist. Mehrere Schüsse treffen ihn, der zum See geht, in dem Shingen begraben
wurde. Der Schatten scheint sich mit dem Fürsten im Tod zu verbinden. Wozu?
Die
Rituale und Zeichen der Macht verschwinden auf dem Schlachtfeld. Geschlachtete
legen Zeugnis ab. Die grünen, roten und schwarzen Fähnchen der Truppen
Shingens versinken im Blut. Ein geschlagener Fürst benötigt keinen
Schatten mehr. Kagemusha geht in den Tod, denn ein Dieb war er seit drei Jahren
nicht mehr, sondern einer, der sich längst – seiner Rolle als Schatten
entwachsen – mit dem sozialen System identifiziert hatte. So schwer hat man
es ihm gemacht. Er stirbt nicht als Dieb durch Hinrichtung, sondern als Schattenfürst.
Kurosawas
Epos über das Haus Takeda ist, wie man merkt, wesentlich mehr als ein Historienfilm.
Letztlich ist er gar kein Historienfilm, sondern eine grandiose filmische Auseinandersetzung
über die Mechanismen der Macht und der sie begleitenden Ideologie. Das
Zeichen, das Shingen zum Sinnbild seiner Macht gekürt hatte: „Der Berg
(er, Shingen) bewegt sich nicht” wird zum Alptraum für sein Haus und alle,
die dazu gehören. Es enthüllt sich als leere Floskel, als Worthülse.
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D V D •
Sprachen:
Deutsch (Dolby Digital 2.0 Mono) Spanisch (Dolby Digital 2.0 Mono)
Untertitel:
Deutsch, Englisch, Spanisch
Japanische
Originalfassung
Bildformat:
1.85:1
Dolby,
HiFi Sound, PAL
Laufzeit:
153 Minuten
Die
2003 erschienene deutschsprachige DVD ist schlicht und ergreifend eine Katastrophe.
Nicht nur ein über weite Strecken unscharfes Bild, ein „übersteuerter”
Kontrast und das Fehlen jeglichen Bonusmaterials müssen vom Kauf dieser
DVD abraten. Hinzu kommt, dass der Film um glatte 27 Minuten geschnitten wurde.
Wer den Film in voller Länge und mit (wahrscheinlich) ausreichender Bild-
und Tonqualität genießen will, sollte lieber zur am 29.3.2005 erscheinenden
Edition von Criterion Collection greifen bzw. entsprechende Bewertungen dieser
Ausgabe abwarten, eine DVD, die zudem etliches Bonusmaterial enthält. Allerdings
ist diese DVD nur als Region-1-Version in japanischer Sprache mit englischen
Untertiteln erhältlich (über amazon.com z.B.).
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat:
Besonders wertvoll.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.follow-me-now.de
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Kagemusha
– Der Schatten des Kriegers
(Kagemusha)
Japan
1980, 179 Minuten (DVD: 152 Minuten)
Regie:
Akira Kurosawa
Drehbuch:
Masato Ide, Akira Kurosawa
Musik:
Shinichirô Ikebe
Kamera:
Takao Saitô, Masaharu Ueda
Montage:
Akira Kurosawa
Produktionsdesign:
Yoshirô Muraki
Darsteller:
Tatsuya Nakadai (Shingen Takeda, Fürst / Kagemusha, Dieb), Tsutomo Yamazaki
(Nobukado Takeda, Bruder Shingens), Kenichi Hagiwara (Katsuyori Takeda, Bruder
Shingens), Jinpachi Nezu (Sohachiro Tsuchiya, Diener und Leibwächter Shingens),
Hideji Otaki (Masakage Yamagata, General Shingens), Daisuke Ryu (Nobunaga Oda,
rivalisierender Fürst), Masayuki Yui (Ieyasu Tokugawa, rivalisierender
Fürst), Kaori Momi (Otsuyanakata, Konkubine Shingens), Mitsuko Baisho (Oyunokata,
Konkubine Shingens), Kota Yui (Takemaru, Enkel Shingens)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0080979
©
Ulrich Behrens 2005
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