zur
startseite
zum
archiv
Die
kalte See
Ibsen
revisited
Wenn
Leise das neue Laut ist, Chelsea das neue Madrid und Männer die neuen Frauen,
dann ist das Familiendrama der neue Sandalenfilm. Baltasar Kormákur wagt
sich an eine Neuauflage der klassischen Geschichte um einen mächtigen Patriarchen,
der Fabrik und Vermögen unter dem undankbaren und erfolglosen Nachwuchs
zu verteilen hat - und der Zuschauer wird angesichts des unzeitgemäßen
Sujets ein staubiges Gefühl im Mund nicht los. Natürlich wird die
Großfamilie zu einem Treffen einberufen, in dem natürlich sämtliche
Geheimnisse, Traumata und Anschuldigungen der letzten Jahrzehnte hochkommen.
Die Vorhersagbarkeit ist der Tod des Genres. Die zahlreichen Klischees, die
auf dem Weg aufgesammelt werden, sind die Sargnägel.
Dabei
geht der Filmemacher mit viel Vorsprung ins Rennen: In Skandinavien ist das
Genre traditionell stark, und vieles hier riecht nach Ibsen - ein Pfad, der
ja durchaus zur politischen oder gesellschaftlichen Relevanz führen könnte.
Ein weiterer Pluspunkt: Betörende Landschaftsbilder gibt es auf Island
zum Nulltarif. Wenn der Sohn aus Paris einfliegt - warum nicht Keflavík
International links liegen lassen und das Flugzeug auf eine einsame Rollbahn
inmitten der atemberaubenden Basaltwüste schicken? Wenn eine lang unterdrückte
Liebe endlich besiegelt werden muß - warum die Darsteller nicht in eine
feucht-heiße Quelle steigen lassen, wo das milchige Wasser um ihren Kuß
herumdampft? Dazu ein paar interessante Volkslieder und einige herrlich skurrile
Bräuche, angefangen beim Verzehr von ausgegrabenem Haifischfleisch über
das Trinken von einheimischem Schnaps, der "Schwarzer Tod" heißt,
bis hin zu den abgehärteten einheimischen Frauen, die statt den erwarteten
Ohrfeigen gleich Faustschläge austeilen - eigentlich sollte da doch nichts
mehr schief gehen.
Doch
trotz all dieser Erleichterungen und trotz eines isländischen Starensembles
(unter anderem mit dem jungen Shooting Star Hilmir Snær Gudnason, der
nach seinen überzeugenden Auftritten im deutschen Film wieder in seine
Heimat zurückgekehrt ist) gelingt es Kormákur nicht, der ausgetrockneten
Geschichte neue Aspekte abzugewinnen. Nachdem er schon den bitterbösen
Roman "101 Reykjavík" von Hallgrímur Helgason zu einem
erstaunlich konventionellen und zähem Drehbuch verarbeitet hatte, scheitert
er hier abermals an einer Reihe eigenwilliger Figuren, die ihm partout nicht
sympathisch geraten wollen. Zudem sind die isländischen Traditionsthemen
(Fischfang, Provinzialität, Inzest) in ihrer hier behandelten Intensität
kaum auf das Festland übertragbar. Nein, gegen Thomas Vinterberg, der mit
seinem "Fest"
das Genre radikal entblößte, und gegen Dagur Kári, dessen
grandioser "Nói
Albinói"
der abgründigen isländischen Landschaft eine ebenso schroffe Schicksalsgeschichte
entgegensetzte, wirkt Kormákurs Inszenierung seiner Familiengeschichte
altbacken, brav und plump wie eine naturalistische Guckkastenbühne mit
Blümchentapete. Und so sollte man Ibsen eben gerade nicht machen.
Daniel
Bickermann
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Die
kalte See
Hafid.
ISL/F/NOR 2002 R,B: Baltasar Kormákur. B:
Olafur Haukur Símonarson. K:
Jean-Louis Vialard. S: Elisabet Ronalsdóttir, Valdís Óskarsdóttir.
M: Jón Ásgeirsson. P: Filmhuset, Emotion Pictures u.a. D: Hilmir
Snær Gudnason, Gunnar Eyjólfsson, Elva Ósk Ólafsdóttir
u.a. 109 Min. Neue Visionen ab 7.10.04
zur
startseite
zum
archiv