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Kaltes
Land
Der Dildo in der
Lunchbox
In der Welt der qualmenden Schlote: Charlize Theron
brilliert als White-Trash-Figur in Niki Caros Film "Kaltes Land"
Als Josey Aimes (Charlize Theron) in das North Country,
die größte Tagebauregion im Staat Minnesota, zurückkehrt, ist
das ein Ort, an dem man kaum mit menschlichem Anstand und gegenseitigem Respekt
rechnet. Das zeigen die Totalen, Luftaufnahmen und Aufsichten des Kameramanns
Chris Menges, die ein Gefühl schierer Ohnmacht hervorrufen. Wie ein Ungetüm
erhebt sich die Mine der Pearson Mining Corporation aus der unwirtlichen Landschaft,
ein Moloch aus Fabrikanlagen, qualmenden Schloten und riesigen Schaufelradbaggern,
zwischen denen gigantische Trucks das geförderte Erz transportieren. Auf
beeindruckende Weise vermittelt Niki Caros "Kaltes Land" das Ausmaß
dieser Monströsität, für die das Cinemascope-Format wie geschaffen
scheint. Grau in Grau erstreckt sich die karge, verschneite Mondlandschaft,
in der die Menschen zu verschwinden drohen.
"Kaltes Land" (im Original "North
Country") erzählt die fiktionalisierte Geschichte des ersten Sammelklageprozesses
wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, der unter dem Namen "Jenson
v. Eveleth Taconite Co." in die Annalen der amerikanischen Justiz eingegangen
ist. Vierzehn Jahre dauerte der Rechtsstreit, der 1998 vom Eveleth Konzern durch
einen Vergleich beigelegt wurde. 3,5 Millionen Dollar zahlte das Unternehmen
den fünfzehn Frauen für zwanzig Jahre Erniedrigung und Entwürdigung.
Dass "Kaltes Land" vor allem die historische Bedeutung der Sammelklage
betont, ergibt sich schon aus der Filmografie Niki Caros. Ihr letzter Film "Whale Rider", mit dem sich die neuseeländische Regisseurin
international einen Namen machte, war ein ätherisches, nichtsdestotrotz
bewegendes Märchen über die Bedeutung von kulturellen Traditionen
in einer weitgehend säkularisierten Welt, aber auch über die Notwendigkeit,
mit den starren Traditionen letztlich brechen zu können, um einen gesellschaftlichen
Wandel zu vollziehen.
Traditionen dominieren auch "Kaltes Land".
"Ein Mann braucht einen Job, sonst fühlt er sich wertlos", sagt
Joseys Mutter, gespielt von einer wunderbar stillen Sissy Spacek. "Soll
das heißen, er darf mich schlagen, nur weil er arbeitslos ist?",
entgegnet Josey. Ihr Vater (Richard Jenkins) kommentiert bei ihrer Heimkehr,
einer Flucht vielmehr, Joseys blaues Auge mit den Worten: "Er hat dich
also mit einem anderen Mann im Bett erwischt und sich daraufhin an dir vergriffen?"
Josey ist mit ihren zwei Kindern (von verschiedenen Vätern, wie später
in der Gerichtsverhandlung wiederholt betont wird) an ihren Geburtsort, den
Ort ihrer Schande, zurückgekehrt, um ein neues Leben zu beginnen. Ihre
Jugendfreundin Glory (Frances McDermond) erzählt ihr, dass die Mine seit
einigen Jahren auch Frauen anstellt - anstellen muss. Aber auch die Mine ist
ein traditioneller Ort. "Ich bin ja der Meinung, dass diese Arbeit nichts
für euch ist", erklärt der Vorarbeiter den Frauen zu Beginn,
"aber leider sieht der Oberste Gerichtshof das anders." Der hatte
in einem Urteil von 1974 verfügt, dass Männer und Frauen im Berufsleben
dem Gesetz nach gleichberechtigt behandelt werden müssen. "Und übrigens,
Josey", fügt er noch hinzu, "unser Werksarzt hat gesagt, dass
du unter den Klamotten ganz gut beschaffen bist." Mit dem neuen Leben beginnt
für Josey ein unerträgliches Martyrium. Und je mehr sie sich gegen
die sexuellen Schikanen (Dildos in der Lunchbox, Spermaflecken im Spind, obszöne
Graffiti) im Betrieb auflehnt, desto größer wird der Graben zwischen
ihr und ihren Kollegen, den männlichen wie weiblichen. "Das sind unsere
Jobs, die du hier aufs Spiel setzt", zischt ihr eine Kameradin zu.
Therons Josey Aimes befindet sich in bester Gesellschaft
mit Arbeiterheldinnen wie Sally Fields Norma Rae, Meryl Streeps Karen Silkwood
und Julia Roberts Erin Brockovich. Frauen, wie sie im Kino nicht oft zu sehen
sind - und offensichtlich nur, wenn "wahre Begebenheiten" ihren Geschichten
Legitimation verleihen. Gerade in Anbetracht von Charlize Therons zurückhaltender
Darstellung muss daher auch die unverhohlene Häme einiger Kritiker verblüffen,
denen Therons jüngster Hang zu unglamourösen Rollen - nach ihrem Oscar
für "Monster" - immer noch suspekt ist. Der Weg vom Exmodel
zur Darstellerin komplexer White-Trash-Frauenfiguren übersteigt ihre Vorstellungskraft.
Und doch gibt es derzeit in Hollywood einfach keine Schauspielerin, die ihren
Vokuhila mit einer solchen Würde zu tragen versteht. "Kaltes Land"
steht mit Theron und fällt schließlich mit dem Gerichtsdrama, das
die zweite Hälfte des Films bestimmt.
Den sträflichen Revisionismus der finalen Wendung
hätte die augenscheinlich reaktionäre Gegenseite im Film (Linda Emond
mit stählerner Maggie-Thatcher-Bugwellen-Frisur) nicht besser vertreten
können. Das Schicksal Josey Aimes, dem vermeintlichen Dorfflittchen, kann
erst justiziabel werden, als ihre Respektabilität öffentlich wieder
hergestellt ist. Und auch wenn diese Doppelzüngigkeit viel über die
Realitäten in der Rechtsprechung in Fällen von sexueller Belästigung
verraten mag, unterminiert die ihr zugrunde liegende Indifferenz den historischen
Triumph des Urteils. Am Ende steht in "Kaltes Land" nicht das Skandalon
der organisierten Demütigung zur Verhandlung, sondern eine fünfzehn
Jahre zurückliegende Vergewaltigung. In diesem heillosen Durcheinander,
das irgendwann auch der Kontrolle der Regisseurin entglitten ist, wird Therons
kämpferische Haltung schließlich umso bewundernswerter.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Kaltes
Land
USA
2005 - Originaltitel: North Country - Regie: Niki Caro - Darsteller: Charlize
Theron, Frances McDormand, Sean Bean, Richard Jenkins, Jeremy Renner, Michelle
Monaghan, Woody Harrelson - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 -
Länge: 126 min. - Start: 9.2.2006
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