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Kann
das Liebe sein?
Wenn es denn unbedingt eine komödiantisch-boulevardeske
Meditation über die Möglichkeit und Unmöglichkeit von „Liebe“
in unseren modernen, von aufdringlicher Kommunikationstechnologie geprägten
Zeiten geben muss, dann bitte so wie in dieser quirligen, espritgesättigten
Komödie von Pierre Jolivet (Drehbuch, Regie) und Simon Michaël (Drehbuch):
Lucas ist ein erfolgreicher Geschäftsmann im Bereich der global operierenden
Telekommunikation. In diesem Metier wird offenbar mit allen Mitteln gearbeitet.
Man muss permanent auf der Hut vor der Konkurrenz und ihren Intrigen sein. Dass
seine letzte große Liebe ausgerechnet von eben jener Konkurrenz bezahlt
wurde, um Industriespionage zu betreiben, hat Lucas schwer traumatisiert. Seine
daraus resultierenden Depressionen ließen den Aktienkurs der Firma ins
Bodenlose stürzen. Als er dann die selbstbewusste Keramikkünstlerin
Elsa kennenlernt – Sandrine Bonnaire, göttlich wie immer, komödiantisch
wie selten –, die immerhin schon einmal eine Liaison mit dem Popmusiker Peter
Gabriel hatte und zudem mit einem bekannten japanischen Sumo-Ringer befreundet
ist, liegt es für ihn trotzdem durchaus im Bereich des Vorstellbaren, sich
demnächst heftig zu verlieben. Für diejenigen seiner Mitarbeiter,
die noch immer Aktienanteile an der Firma besitzen, eine Schreckensnachricht!
Doch Lucas hat aus seinen Fehlern gelernt: Durch
den Einsatz seines Sicherheitschefs Roland will er sein Risiko in Sachen Liebe
minimieren. Ist Elsa eine Spionin? Im Zuge der Nachforschungen kann weiterhin
geklärt werden: Ist sie liiert? Lesbisch? Drogenabhängig? Mit Hilfe
modernster Investigationstechnologie spioniert Roland Elsa aus, verwanzt ihre
Wohnung und ihr Studio, was spätestens dann zum Problem wird, als Lucas
mitten im tete-à-tete mit ihr telefonisch erfährt, dass der Blickwinkel
der Überwachungskamera in ihrem Schlafzimmer rund 80 Prozent des Raumes
abdeckt. In solchen Momenten kippt der Film fast schon in Richtung Slapstick.
Wenn immer mehrere Handys gleichzeitig klingeln – der Film liefert eine aparte
akustische Choreografie von Klingeltönen – und ein straffer Zeitplan den
Alltag dominiert, ist es schwer, überhaupt eine Verabredung zu treffen,
die nicht gleichzeitig als Geschäftsessen dienen muss. Schwierig ist es
zudem, zwischen zwei Terminen und diversen Telefonaten und Telefon- bzw. Videokonferenzen
einen klaren Gedanken zu fassen. Und wenn man dank seines Privatdetektivs fast
alles über sein Gegenüber weiß, muss man sich gehörig sputen,
dieses Mehr-Wissen in der Liebeskommunikation gleich wieder zu „vergessen“.
Oder zumindest so tun! Denn die Liebe lebt ja vom gemeinsamen Erfahren und Erzählen
von Intimität. Ein einziges „Ich weiß“ im falschen Moment richtet
da viel Schaden an. Und wenn es der Zufall will und beide Partner gleichzeitig
über Mehr-Wissen verfügen und dies dementieren müssen, dann steht
man vor einer Screwball Comedy, bei der eine Abfolge von Missgeschicken für
ein sich immer steigerndes Tempo sorgt und – gegen alle Wahrscheinlichkeit –
nur eine Mischung aus Mitleid und der Mut zum „Trotzdem!“ zum liebestauglichen
Happy End führt.
„Kann das Liebe sein?“ ist eine romantische Lektion
darüber, dass ein Risiko der Liebe inhärent sein muss, dass die Emotionen
ohne Geheimnisse leer laufen, dass zur Liebe auch der Respekt vor dem Gegenüber
gehört. Insofern wäre die titelgebende Frage in ein „Kann das jetzt
noch Liebe werden?“ umzuformulieren. Der Weg zu dieser Einsicht produziert eine
turbulente Komödie mit bemerkenswert viel Liebe zum Detail und einer ganzen
Reihe von glänzend aufgelegten Darstellern, die sich einen Spaß daraus
machen, einfach zu behaupten, dass eine solche Geschichte sich so ohnehin nur
in einer einzigen Stadt ereignen kann, ohne lächerlich zu wirken. Schließlich
heißt es nicht grundlos: „Ganz Paris träumt von der Liebe!“
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Kann
das Liebe sein?
Frankreich 2007 - Originaltitel: Je crois que je l'aime - Regie: Pierre Jolivet - Darsteller: Sandrine Bonnaire, Vincent Lindon, François Berléand, Liane Foly, Kad Merad, Guilaine Londez, Albert Dray, Pierre Diot - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 89 min. - Start: 19.7.2007
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