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Die
Karabinieri
Durch! Rücksichtslos!
"In dealing
with war, I followed
a
very simple rule. I assumed I
had
to explain to children not
only
what war is, but what all
wars
have been from the
barbarian
invasions to Korean
and
Trafalgar,
and Gettysburg."
(Jean-Luc Godard)
Irgendwo eine karge Landschaft. Als ob hier einmal
Industrieanlagen standen, die längst abgeräumt worden sind, während
der Boden von Gras überwuchert wurde. In ebenso kargen Bretterverschlägen
leben Michelangelo (Albert Juross), Ulysses (Marino Masé), Venus (Geneviève
Galéa) und Cleopatra (Catherine Ribeiro). Eines Tages erscheinen zwei
Karabinieri (Jean Brassat, Gérard Poirot) und überbringen den beiden
Männern einen Brief vom König. Sie sollen dem Vaterland dienen und
in den Krieg ziehen. Und Ulysses und Michelangelo fragen, was sie davon hätten.
Und sie erhalten die Antwort: alles. Sie könnten haben, was sie wollten,
sich nehmen, was sie finden: Frauen, Kinos, Apotheken, ganze U-Bahn-Stationen,
Füllhalter - "Alles gehört euch", antworten die Karabinieri.
Sie könnten dem Feind alles wegnehmen. Sie könnten mit dem Feind alles
machen, was sie wollten. Niemand würde deswegen bestraft. Die beiden Frauen
sind begeistert, die Männer auch. Und als wenn sie zum Einkaufen gehen
wollten, schreiben die Frauen auf einen Zettel, was die Männer ihnen aus
dem Krieg mitbringen sollen.
Und so ziehen Michelangelo und Ulysses in den Krieg.
"Ich komme
mit der Zeit immer
mehr zur Einfachheit.
Ich gebrauche
die abgegriffenen
Metaphern. Im
Grunde ist
es das, was ewig ist.
Die Sterne
sehen aus wie Augen,
zum Beispiel,
oder der Tod ist
wie der Schlaf."
(Borges)
Innerhalb weniger Minuten gelingt es Godard auf eine
gewollt naive und simple Weise, die Bedingungen für die Herstellung von
Front und Heimatfront zu schaffen. Durch die Einblendung von Auszügen aus
den Briefen, die die beiden Männer den Frauen aus dem Krieg schreiben,
wird der Kontext von Front und Heimatfront hergestellt. Mit weißer Schreibschrift
auf schwarzem Grund, vorgelesen von einer Stimme aus dem Off, berichten die
beiden von ihren Taten zum Wohle des Vaterlandes. Godard montiert zusätzlich
in den Film Szenen aus realen Kriegen, u.a. aus dem zweiten Weltkrieg. Und Michelangelo
und Ulysses ziehen von Land zu Land, nach Italien, Mexiko, Nordschlesien, Spanien.
Die Bezüge zum zweiten Weltkrieg sind dabei zwar am stärksten, etwa
wenn die Männer in der Legion Condor kämpfen, doch der Film handelt
streng genommen nicht von einem, sondern von allen modernen Kriegen.
Godard zeigte Tausende von Leichen, Zerstörung,
Erschießungen. Vor allem aber zeigt er zwei Männer, durch die nur
ein Gedanke strömt: sich zu nehmen, was man will, was man findet, koste
es was es wolle, vor allem das Leben der Feinde. Sie terrorisieren eine Frau,
nehmen an Massenerschießungen teil, berichten den Frauen in Briefen von
den Gräueltaten, die sie begehen:
"Unser Weg
ist von Blutspuren
und Toten gesäumt.
Wir grüßen
Euch ganz herzlich."
"Es gibt keinen
Sieg, nur Fahnen
und Männer,
die fallen."
Zwischen Toten, Verstümmelten und brennenden
Häusern gehen sie ihren Weg, als ob sie auf Reisen wären, um Andenken,
Postkarten und Erinnerungen mit nach Hause zu bringen.
Der Krieg wird - in einer vordergründig absurden
Weise - zur Lebenswelt, zur Lebensweise, das Töten zu einer nicht nur alltäglichen,
sondern geradezu natürlichen Verhaltensweise, das nur einem Zweck dient:
zu nehmen, was man will und bekommt. Diese vordergründige Absurdität
der Inszenierung wird besonders in zwei Szenen deutlich. Irgendwo im Wald nehmen
Michelangelo, Ulysses und einige andere Soldaten zwei Kommunisten fest. Während
die Frau Lenin zitiert, der von den Kapitalisten als Ungeziefer spricht, das
als solches zu behandeln sei, wollen die Soldaten sie erschießen. Doch
sie erzählt eine Geschichte von Majakowski; die Soldaten hören zu,
bis zum Ende, und erschießen sie dann. Gerade diese Szene ist - wie der
Film ansonsten auch - von einer gerade primitiven, gnadenlosen Gefühllosigkeit
geprägt, die in ihrem Ausmaß an Absurdität grenzt.
Noch absurder wirkt ein Kinogang der beiden Soldaten
in Mexiko. In dem Film, der dort gezeigt wird, zieht sich eine Frau aus zum
Baden. Michelangelo steht auf, glotzt auf die Szenerie, geht zur Leinwand und
macht Anstalten, in das Bild zu springen. Dabei zerreißt er die Leinwand.
Realität und Fiktion verschwimmen. Krieg und kriegen sind nicht nur identisch
geworden; in der Szene erreicht diese Identität ein abstruses Maß,
weil in den Gedanken es selbst möglich zu werden scheint, Fiktionales als
Reales zu besitzen. Und als die beiden aus dem Krieg heimkehren - der König
musste kapitulieren -, bringen sie nichts als einen Koffer voll von Postkarten
mit. Sie können den Frauen nur noch zeigen, wo sie waren, gliedern die
Karten nach Themen (Geschichte in Epochen, Transportmittel, Naturwunder, die
großen Kaufhäuser, die Säugetiere usw.).
Die Lüge wird immer offenbar. Nichts haben sie
mitgebracht, was ihnen versprochen war. Und trotzdem erkennen sie nicht, welchen
Weg sie gegangen sind. Die Postkarten sind in diesem Kontext ebensolche Lügen.
Denn sie berichten nicht vom Krieg, sondern von den schönen Dingen des
Lebens. Godard kontrastiert diese minutenlange Postkartenszene später mit
Szenen aus dem Bürgerkrieg (gemeint sind hier die Kämpfe zwischen
Rechten und Linken nach 1918), der "Dolchstoßlegende", den Plünderungen
nach dem ersten Weltkrieg usw.
Der Film, der nach seinem Start auch heftige Proteste
auslöste, führt den Krieg und seine Bedingungen und Voraussetzungen
auf ein einfaches Maß zurück. Die Absurdität, die dies erzeugt,
ist jedoch "nur" die Absurdität des Krieges selbst - jedes Krieges.
Die Herausnahme jeglicher Emotionen - sei es nun Hass auf den Feind, sei es
Mitgefühl, sei es ein schlechtes Gewissen wegen der Taten, die man als
Soldat begangen hat, sei es die Gefühllosigkeit gegenüber den "Feinden"
- aus der Handlung reduziert den Krieg auf das, was er wirklich ist: Mord und
Massenmord um welcher Zwecke auch immer. Selbst die Kommunistin, die erschossen
wird, stirbt ohne Regung, Lenins Satz vom "Ungeziefer" im Kopf. Da
kommt die Frage gar nicht erst auf, ob es gerechte und ungerechte Kriege gebe,
ob man für etwas "Gutes" schießt usw. Der Krieg wird seiner
Moral entkleidet, mit dem ihn alle Ideologien ummanteln, die sich in jeder Hinsicht
als Unmoral erweist, erweisen muss.
"Trotz
allem
ein schöner
Sommer."
heißt es in einer Postkarte, die die Männer
nach Hause schreiben. Das erinnert mich an die von Ernst Klee offengelegten
Kontext zwischen soldatischer Mentalität, Front und Heimatfront im zweiten
Weltkrieg (siehe z.B. sein Buch: "Schöne Zeiten": Judenmord aus
der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt am Main 1988). Die z.B. an Massenerschießungen
im Baltikum beteiligten deutschen Soldaten schrieben genau solche Postkarten
nach Hause: Wir freuen uns auf Weihnachten mit der Familie. Der Krieg dekliniert
die Verhältnisse neu: Das eigene Heim, die eigene Heimat, das eigene Land
werden zum vermeintlichen Hort alles Guten, Edlen, während alles andere
als Mittel zum Zweck deklariert wird. Der "Feind" wird zur beweglichen
Sache, mit der man anstellen kann, was man will. Die "Fremde" wird
zur Funktion der "Heimat". Die "verbrannte Erde" und der
Völkermord sind die scheinbar letzten "Rettungsanker", um es
auch dabei zu belassen: dass der Feind eben eine bewegliche Sache ist, die man
zur Not destruieren muss, um seine Ziele zu erreichen.
Und immer noch suchen die beiden Soldaten nach den
Reichtümern, die ihnen versprochen waren - auch nach dem Krieg. Sie geraten
an einen der Karabinieri, der sie in den Krieg gelockt hatte. Und finden den
Tod als Kriegsverbrecher. Die Logik dieses Schlussakkords ist die Logik des
Krieges. Denn auch die Soldaten, die - geblendet von Versprechungen und ideologisiert
- gegen den Feind gezogen waren, waren eben nur das berühmt-berüchtigte,
ideologisch aufgeladene Kanonenfutter, das nun nichts mehr taugt.
Godard lässt seine Schauspieler in einer kindlich-naiven
Weise agieren, die allerdings eben im Kontext des Films zu einem todbringenden
Verhalten führt. Das Erschreckende dieser Darstellung kommt auf diese Weise
noch deutlicher zum Vorschein.
¦ ¦
¦ DVD ¦ ¦ ¦
Format: Schwarz-Weiß
Sprachen: Französisch
Dolby Digital 2.0 (Mono)
Region: Region 1
Studio: Fox Lorber
DVD-Erscheinungsdatum:
20.11.2001
Bonusmaterial: Kurzkommentar
des Filmkritikers David Sterritt
Leider ist "Die
Karabinieri"nur in einer amerikanischen DVD-Fassung, ausschließlich
in französischer Sprache zu bekommen. Für Godard-Fans allerdings ein
Muss. Bild und Ton des Schwarz-Weiß-Films sind gut bis sehr gut. Ein Kurzkommentar
des Filmkritikers Sterritt informiert über das Zustandekommen des Films.
Wer Glück hat
und aufpasst, kann den Film ab und an im Fernsehen in einer synchronisierten
Fassung sehen.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei:
Die
Karabinieri
(Les
Carabiniers)
Frankreich,
Italien 1963, 85 Minuten
Regie:
Jean-Luc Godard
Drehbuch:
Jean-Luc Godard, Jean Gruault, Beniamino Joppolo, Roberto Rossellini
Musik:
Philippe Arthuys
Kamera:
Raoul Coutard
Schnitt:
Agnès Guillemot, Lila Lakshmanan
Ausstattung:
Jean-Jacques Fabre
Darsteller:
Albert Juross (Michelangelo), Marino Masé (Ulysses), Catherine Ribeiro
(Cleopatra), Geneviève Galéa (Venus), Jean Brassat (erster Karabinieri),
Gérard Poirot (zweiter Karabinieri)
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