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Die
Katze auf dem heißen Blechdach
„Das
Leben ist kannibalisch ...”
„Der
Vogel, den ich im Netz dieses
Stückes
fangen möchte, ist nicht die
Lösung
eines psychologischen Problems
eines
Einzelnen. Ich möchte den
Wahrheitsgehalt
von Erlebnissen
innerhalb
einer Gruppe von Menschen
darstellen,
jenes flackernde, umwölkte,
schwer
zu fassende – aber fieberhaft
mit
Spannung geladene! – Zusammenspiel
lebendiger
Wesen in der Gewitterwolke
einer
gemeinsamen Krise.”
(Tennessee
Williams) (1)
Was
bestimmt Menschen in ihrem Tun und Lassen, in ihrem Denken? Wissenschaftler
gehen heute davon aus, dass uns Gefühle und Emotionen mehr bestimmen, als
bisher angenommen wurde. Tennessee Williams Theaterstücke sind ein beredtes
Beispiel für sein Ansinnen, den Mechanismen der oft schwer in Worte zu
fassenden menschlichen Beziehungsgeflechte auf die Spur zu kommen. Was treibt
jemanden zur Wut, zur Aggression, zur Ablehnung eines anderen usw.? „Cat on
a Hot Tin Roof”, einer seiner bekanntesten Theaterstücke, immer wieder
aufgeführt, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, wurde bereits drei Jahren
nach seinem Erscheinen von Richard Brooks (1912-1992; „Die Saat der Gewalt”,
1955; „Die Brüder Karamasov”, 1958; „Kaltblütig”, 1967) für das
Kino adaptiert, erhielt sechs Oscar-Nominierungen, aber leider keinen einzigen
Oscar und zählt für mich zu den wenigen in jeder Hinsicht gelungenen
Adaptionen eines Theaterstücks.
Der
Film war damals in gewisser Hinsicht ein Wagnis. Denn Williams Stück enthielt
deutliche Hinweise auf die homosexuelle Beziehung einer Hauptfigur des Stücks,
Brick, zu einem (dann durch Selbstmord umgekommenen) Freund namens Skipper.
Obwohl der Moralkodex in den 50er Jahren und besonders in der Filmindustrie
jedes offene und öffentliche Ansprechen von Homosexualität strikt
untersagte und auch im Film keine direkte Rede darauf kommt, war zumindest für
alle Kenner des Stückes von Williams klar, in welcher Beziehung Brick zu
Skipper gestanden hatte. Auch in der Darstellung Bricks durch Newman sind zumindest
Spuren dieser Konnotation vorhanden.
„Maggie:
... You know what I feel like?
I
feel all the time like a cat on a hot tin roof.
Brick
(offering a solution): Then jump off
the
roof, Maggie, jump off it. Now cats
jump
off roofs and they land uninjured.
Do
it. Jump.
Maggie:
Jump where? Into what?
Brick:
Take a lover.” (2)
Wir
treffen auf die Familie Pollitt, bestehend aus dem „Patriarchen” Harvey, genannt
Big Daddy (Burt Ives), einem reichen Plantagenbesitzer, der gerade nach einer
gründlichen Untersuchung wegen permanenter Magenschmerzen aus einem Krankenhaus
auf seinen Landsitz zurückkehrt. Sein ältester Sohn Gooper (Jack Carson),
ein Anwalt, dessen schwangere Frau Mae (Madeleine Sherwood), deren vier Kinder
und Big Daddys Schwiegertochter Maggie (Elizabeth Taylor), die Frau des anderen
Sohnes Brick (Paul Newman), holen Big Daddy und seine Frau Ida (Judith Anderson)
sowie den Hausarzt Dr. Baugh (Larry Gates) und den Pfarrer Davis (Vaughn Taylor)
vom Flugplatz ab, um Big Daddys 65. Geburtstag zu feiern.
Brick,
ein ehemaliger Football-Spieler und Sportreporter, ist zu Hause geblieben. In
der Nacht zuvor hatte er sich en Fuß gebrochen, als er betrunken auf einem
Sportplatz über Hürden laufen wollte. Brick trinkt und scheint seine
Frau zu hassen, die immer und immer wieder versucht, die Beziehung der beiden
zu retten. Während Mae samt ihren vier Kindern einen Geburtstagszirkus
mit Singen und Klatschen und hohlen Sprüchen veranstaltet und Big Daddy
auf die Nerven geht, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen
Maggie und Brick, der am liebsten wieder nach Hause möchte und Maggie unmissverständlich
klar macht, dass er von ihr nichts mehr wissen möchte. Maggie hingegen
versucht immer wieder, ein Gespräch mit Brick zu beginnen. Doch sie scheitert.
Über
allen Familienmitgliedern schwebt nicht nur eine Lüge. Die neueste Lüge
ist die über den Gesundheitszustand Big Daddys. Dr. Baugh hat es nicht
fertig gebracht, ihm und seiner Frau zu sagen, dass der alte Mann unheilbar
an Krebs erkrankt ist. Nur Gooper weiß Bescheid. Und Dr. Baugh erzählt
Brick davon.
Andere
Lügen überschatten die Familiengeschichte. Brick gibt Maggie die Schuld
am Selbstmord seines besten Freundes Skipper. Gooper und vor allem Mae haben
nichts anderes im Sinn, als nach dem Tod Big Daddys den Besitz der Familie zu
übernehmen. Big Daddy schaut zurück auf sein Leben als einer Aneinanderreihung
von Lügen und Heuchelei. Schon lange scheint er seine Frau nicht mehr zu
lieben. Mae hasst Maggie und intrigiert gegen Brick. Gooper will seinen Bruder
matt setzen, als es um die Frage des Erbes geht.
Es
kommt zu zwei intensiven Aussprachen zwischen Brick und seinem Vater. Und nur,
weil sich beide auf Drängen des je anderen schonungslos die Wahrheit sagen,
kommen Dinge ans Tageslicht, was für fast alle zu einem heilsamen Schock
führt.
„Das
Leben ist kannibalisch. Das
eine
Ich frisst das andere Ich.
Immer
ist jemand dabei, an einem
anderen
zu nagen, aus Neid, aus
Profitgier,
aus Angst. Wissen Sie,
die
Vorstellung, in einem Zimmer
zu
schlafen, wo nicht irgendwo eine
Flasche
steht, finde ich ziemlich
schrecklich.
Es könnte ja immerhin
sein,
dass ich nachts aufwache und
einen
Schluck brauche.”
(Tennessee
Williams, 1974) (3)
Williams
und in ihm in nichts nachstehend Richard Brooks enthüllen schonungslos,
aber trotz allem in kritischer Sympathie zu ihren Protagonisten, das Gewebe
aus Lügen und Heuchelei, das sich im Laufe der Jahre über die Familie
Pollitt ausgebreitet hat. Der „Clou” dabei ist, dass diese Entzauberung der
zerrissenen persönlichen Beziehungen nicht von außen, durch eine
dritte Person, oder durch psychologische Mittel erreicht, sondern durch drei
der Familienmitglieder selbst bewerkstelligt wird: durch Big Daddy, Brick und
Maggie. Und obwohl es sich um ein Theaterstück handelt, überzeugt
Brooks’ Inszenierung, die fast ausschließlich in den Räumen des Landsitzes
der Familie spielt und extrem „dialoglastig” ist, durch eine gekonnte Mischung
aus schauspielerischen Leistungen, exzellenter Kameraführung und einem
Produktionsdesign, das dem Spiel der Darsteller und der Dramatik der Handlung
den optimalen Background liefert.
Paul
Newman, Burt Ives und Elizabeth Taylor können in ihren Rollen im wahrsten
Sinn des Wortes glänzen. Ives spielt einen Patriarchen, der im Laufe seines
Lebens Reichtum angehäuft hat und dem sein Sohn Brick bescheinigt, dass
er nicht Liebe gegeben habe, sondern sich Zuneigung erkaufen wollte. Ives Darstellung
vermittelt den Eindruck von einem Menschen, der zwar keine Macht neben sich
duldet, aber gleichzeitig das Geflecht aus Heuchelei und Intrigen innerhalb
und in der Nähe seiner Familie nie aufzudecken vermochte. Newman spielt
einen dem Selbstmitleid und entsprechend dem Alkohol verfallenen Ex-Footballspieler,
der sich die Schuld am Tod seines besten Freundes gibt, diesen Selbsthass aber
voll und ganz auf seine Frau projiziert, von der er (fälschlicherweise)
annimmt, sie habe mit seinem verstorbenen Freund Skipper geschlafen. Newman
spielt hier eine seiner besten Rollen. Für Elizabeth Taylor gilt das gleiche.
Sie verkörpert eine Frau, die vergeblich immer wieder versucht, Brick zum
Gespräch zu verleiten, ohne zu merken, dass ohne eine Aussprache Bricks
mit seinem Vater ihr Ansinnen völlig hoffnungslos ist.
Auch
die anderen Darsteller leisten hervorragende Arbeit in der Darstellung einer
Familie, deren Konsistenz, sprich: gegenseitige emotionale Abhängigkeit,
und zugleich Zerrissenheit in seltener Klarheit und Glaubwürdigkeit in
diesem Film dramatisiert wurde. Dabei scheint es vordergründig vor allem
um eine Art „Südstaatendrama” zu gehen, d.h. eine Auseinandersetzung Williams
und auch Brooks mit den tragenden Werten von Macht, Geld(gier) und äußerlicher
Größe. Bei näherer Betrachtung erschließt sich allerdings
eine wesentlich weiter reichende Bedeutung der in Stück wie Film gemachten
Aussagen und Verhaltensweisen der handelnden Personen.
Übrigens
enthält der Film, wie schon angedeutet, selbst eine Lüge: Die im Drama
deutlich vorgebrachte Homosexualität Bricks wird im Film kaschiert durch
die (angebliche) sexuelle Beziehung Maggies zu Skipper.
Wertung:
10 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Katze auf dem heißen Blechdach
(Cat
on a Hot Tin Roof)
USA
1958, 108 Minuten
Regie:
Richard Brooks
Drehbuch:
Richard Brooks, James Poe, nach dem Schauspiel von Tennessee Williams
Musik:
Charles Wolcott
Kamera:
William H. Daniels
Schnitt:
Ferris Webster
Ausstattung:
William A. Horning, Urie McCleary, Henry Grace, Robert Priestley
Darsteller:
Elizabeth Taylor (Maggie „The Cat” Pollitt), Paul Newman (Brick Pollitt), Burt
Ives (Harvey „Big Daddy” Pollitt), Jack Carson (Gooper Pollitt), Judith Anderson
(Ida „Big Momma” Pollitt), Madeleine Sherwood (Mae Pollitt), Larry Gates (Br.
Baugh), Vaughn Taylor (Deacon Davies)
(1)
zit. n.: http://www.staatstheater-hannover.de/sstuecke04/katze.shtml)
(2)
zit. n.: http://www.filmsite.org/cato.html
(3)
zit. n.: http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/tips/73517/
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