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Katzelmacher
„Ist
auch egal eigentlich, wo man hinkommt“
„Eigentlich
hätte dies ein Stück
über
ältere Leute werden müssen.
Aber
es sollte am ‘antitheater’ (1)
realisiert
werden. Jetzt sind sie alle jung.“
(Rainer
Werber Fassbinder)
Marie
(Hanna Schygulla) geht mit Erich (Hans Hirschmüller), Paul (Rudolf Waldemar
Brem) schläft mit Helga (Lilith Ungerer), Elisabeth (Irm Hermann) gestattet
Peter (Peter Moland) den Aufenthalt in der von ihr finanzierten Wohnung mit
den von ihr finanzierten Lebensmitteln und Kleidern, Rosy (Elga Sorbas) träumt
von einer Fernsehkarriere und schläft mit Franz (Harry Baer) – für
Geld. Gunda (Doris Mattes) ist allein, ihr Freund irgendwo auf Montage. Paul
treibt es zudem mit Klaus (Hannes Gromball) und zwar für Geld.
Eine
Hauswand, zwei kleine und ein großes Fenster; Geranien und irgendein Gestrüpp
zieren die Blumenkästen. Vor der Wand zieht sich eine Absperrung, hinter
der es wohl in den Keller geht. Wie die Vögel sitzen Marie, Erich und die
anderen auf der Stange der Absperrung, mal geht einer, mal kommt einer. Sie
schauen nach vorne, in Richtung Publikum, aber sie schauen, stieren eigentlich
ins Nichts, der eine dort hin, die andere da hin. Die Besetzung der Stange wechselt.
Was gesagt wird, bedeutet nichts, was nicht gesagt wird, bedeutet alles. Die
Kamera ist statisch und damit bewusst immer als solche präsent. Sie fängt
dieses Bild von den genannten Figuren wie für ein Fotoalbum ein. Knips.
Wie durch ein Guckloch blickt man die Personen an, als ob man von der Straßenseite
gegenüber hierher schaue. Auch wenn sie am Tisch sitzen und Karten spielen,
die Plätze wechseln, zwei Männer auf die Toilette gehen, die anderen
sich wieder anders gruppieren – die Bewegungen, die sie vollziehen, haben mit
Bewegung kaum etwas zu tun.
Die
Beziehungen der Personen sind eindeutig bestimmt durch Geld und Gewalt. Erich
schlägt Marie, Paul Helga, Peter lässt sich von Elisabeth aushalten,
Rosy lässt sich von Franz, der Arbeit hat und Geld, für Sex bezahlen.
Der Sex der anderen ist nicht anders. Wenn Helga danach Paul, der sich gerade
die Hose anzieht, am Bein festzuhalten versucht, um mehr zu bekommen als Tauschhandlung,
wird sie mehr als unsanft zurückgestoßen. Nackt und gekrümmt
liegt sie im Bett, gibt aber keinen Ton von sich, sagt nichts, schreit nicht,
protestiert nicht. Später legt sie ihren Kopf wieder an seine Schulter.
Das ist eingespielt, eingefahren. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen Tätern
und Opfern, ihre Rollen wechseln in der Mechanik und Vorgeschriebenheit ihres
eigenen Verhaltens.
In
der Luft der jungen Leute liegt zudem Kriminalität. Erich und Paul denken
über das große Geld nach. Daraus wird nichts. Nichts, was irgendwie
fassbar wäre.
„Es
ist besser, neue Fehler zu machen,
als
die alten bis zur allgemeinen
Bewusstlosigkeit
zu konstituieren“,
zitiert
Fassbinder anfangs des Films Yaak Karsunke (2). Als Jorges (Rainer Werner Fassbinder)
von Elisabeth als Untermieter aufgenommen wird, ändert sich einiges und
letztlich ändert sich nichts. Die Männer halten wie Pech und Schwefel
gegen den griechischen „Fremdarbeiter“ zusammen, er bezieht sogar ordentlich
Prügel. Auch Gunda zieht über ihn her und verbreitet, er habe sie
am Kinderspielplatz vergewaltigt. Schnell ist Jorges auch noch Kommunist. Man
zimmert sich aus seiner Anwesenheit ein wunderbares Feindbild. Und wieder läuft
alles über Gewalt, Sex und Macht. Jorges, erzählt Peter den anderen
Männern, sei besser gebaut als sie, „vor allem am Schwanz“. Er wolle Geld
und er sei verdorben, behaupten andere.
Marie:
„Im Sommer nimmt er mich mit nach Griechenland.“
Helga:
„Und seine Frau?“
Marie:
„Das macht nichts. In Griechenland ist alles anders wie da.“
Helga:
„Ich weiß nicht. Einfach wegfahren. Und so weit.“
Die
Verhältnisse scheinen nur durcheinander geraten. Scheinen. Peter glaubt,
Elisabeth schlafe mit Jorges, geht zu Rosy mit Geld, um auch mit ihr zu schlafen.
Sex ist hier nichts anderes als der Versuch, eigene Macht zu gewinnen. Aber
Rosy will nicht, hat ein Angebot für eine Rolle beim Fernsehen, sagt sie.
Erich treibt’s mit Helga. Peter trifft eine Frau (Katrin Schaake), die was hermacht:
sie ist gut angezogen und hat ein Auto. Marie verlässt Erich und geht mit
Jorges. Sie träumt von einem anderen Leben in Griechenland. Aber die Träume
haben nichts Handfestes, sind schwache Sehnsüchte, unterentwickelt, eigentlich
fast gar nicht entwickelt – wie die Spaziergänge der Paare, die in den
Film eingestreut sind, begleitet von Schuberts „Sehnsuchtswalzer“ (überarbeit
von Peer Raaben).
Der
Grieche bringt nur scheinbar Unordnung in die öde Welt und die Tristesse
des Lebens – und bezieht dafür die Prügel, dass er nicht so ist, wie
die anderen ihn beschimpfen, sondern dass alle anderen so sind, wie sie es von
Jorges behaupten. Die Welt dieser jungen Leute ist eine ohne Gefühle. Selbst
die Gewalt hat kaum etwas Emotionales, sondern dient bei Schläger und Geschlagenen
nur der Wiederherstellung der Ordnung der Bindungslosigkeit und kalten Abhängigkeit.
„Der Grieche muss weg, eine Ordnung muss wieder her. Rache muss sein.“ Zuvor
waren sie alle über Rosy hergezogen, die sich für Geld verkauft. Der
Polizei müsse man das melden, hatte Gunda gemeint. Jetzt ist es der Grieche
und morgen?
Die
ewige Wiederkehr dieser Abfolgen, die Aufrechterhaltung dieses psychisch eingefahrenen,
aber nicht verrosteten, sondern gut geschmierten Mechanismus aus den Elementen
Geld und Gewalt, der die Beziehungen der Charaktere vollkommen zu beherrschen
scheint, beinhaltet eine noch kaum sichtbare, aber vor dem Hintergrund seiner
späteren Filme in der Rückschau doch erkennbare Verbindung zwischen
zwei Elementen in Fassbinders Werk. Die Art und Weise, wie er seine Geschichten
auf die von einzelnen Personen fokussiert, führt uns zu einer Geschichte
auch des Landes, in dem sie spielen – insbesondere vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit.
Fassbinder
zeigt zudem, wie das vermeintlich „Fremde“ in das vermeintlich „Eigene“ „eindringt“
– um in der Sprache der Rassisten zu bleiben –, aufgenommen, verarbeitet wird,
bis es zu einem Teil des „Eigenen“ wird, in dem das „Fremde“ zwar noch aufgehoben,
aber zu weiten Teilen verhackstückt ist. Jorges wird vielleicht bleiben,
vielleicht nicht. Das lässt der Film offen, und muss es im Jahr 1969 offen
lassen. Neben das Prophetische in bezug auf die gut zehn Jahre später einsetzende
Welle ausländerfeindlicher Kampagnen zu Beginn der Ära Kohl und die
visuelle Verarbeitung der „Kritischen Theorie“ bezüglich des von ihr behaupteten
„autoritären Charakters“, der zum Gutteil den Faschismus hervorgebracht
habe, tritt eine geradezu tragische, durch die statische Kamera immer wieder
hervorgehobene Visualisierung einer Gesellschaft, in der sich „nichts tut“,
sich alles im Kreis bewegt, sich nichts ändern kann.
„Katzelmacher“
– übrigens ein bayerisch-österreichisches Schimpfwort für Fremde
– deutet schon hin auf die späteren Filme, in denen das Melodramatische
im Rückbezug auf Fassbinders „Vorbild“ Douglas Sirk die Beziehungen zwischen
Personen und Gesellschaft noch deutlicher konturiert. In „Katzelmacher“ ist
es vor allem die minimalistische Sprache, eine fast tote Sprache, die zum Ausdruck
von Verhalten wird, dessen sich die Handelnden nicht (mehr) bewusst sind. Die
Gesellschaft, die sie repräsentieren, ist erstarrt und dreht sich in immer
gleichen Bahnen.
•
D V D •
Der
Rainer Werner Fassbinder Foundation und der e.m.s.-new-media ist es zu verdanken,
dass bislang 19 Fassbinder-Filme seit 2002 auf DVD erscheinen konnten, darunter
auch „Katzelmacher“. Die Boxen umfassen jeweils zwei DVDs mit umfangreichem
Zusatzmaterial, u.a. einem Kurzfilm Fassbinders von 1967 („Das kleine Chaos“)
sowie ein Filmporträt von 1977. Die Filme wurden durch ein aufwändiges
und kostenintensives Verfahren neu abgetastet und haben trotz ihres Alters und
der zum Teil schlechten Vorlagen eine außerordentliche Ton- und Bildqualität.
Der Film ist in schwarz-weiß zu sehen, Tonformat mono, Untertitel Englisch.
Die Gesamtspielzeit beider DVDs beträgt 261 Minuten.
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Wertung
DVD: 9,5 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.yopi.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale
mehrere Texte
(1)
Theater in Frankfurt, an dem Fassbinder einige Zeit experimentierte. Später
wurde ihm gekündigt. Seine Feinde hatten gewonnen (vgl. dazu: Gerhard Zwerenz,
Der langsame Tod des Rainer Werner Fassbinder. Ein Bericht, München 1982).
(2)
Yaak Karsunke wurde am 4. Juni 1934 in Berlin geboren. Nachdem er eine kurze
Zeit Jura studiert hatte, begann er eine Schauspielausbildung und hielt sich
mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. In München war er 1965 bis 1968
Chefredakteur der alternativen, linken Zeitschrift kürbiskern, die er mit
begründet hatte. 1976 bis 1979 lehrte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie,
seit 1981 an der Berliner Hochschule der Künste im Fach Schauspiel.
Katzelmacher
Deutschland
1969, 88 Minuten
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Rainer Werner Fassbinder, nach seinem Bühnenstück
Musik:
Peer Raben, nach Franz Schuberts „Sehnsuchtswalzer“
Director
of Photography: Dietrich Lohmann
Schnitt:
Franz Walsch (= Rainer Werner Fassbinder)
Hauptdarsteller:
Hanna Schygulla (Marie), Lilith Ungerer (Helga), Elga Sorbas (Rosy), Doris Mattes
(Gunda), Rainer Werner Fassbinder (Jorges), Rudolf Waldemar Brem (Paul), Hans
Hirschmüller (Erich), Harry Baer (Franz), Peter Moland (Peter), Hannes
Gromball (Klaus), Irm Hermann (Elisabeth), Katrin Schaake (Frau im Restaurant)
Internet
Movie Database:
http://german.imdb.com/title/tt0064536/
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