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Kehraus
Das
Pandämonium des betrieblichen Karnevals
Mei,
der Herr von Mehling – das ist ein ganz ein Gescheiter. Dem macht so leicht
keiner was vor. Schon gar kein X für ein U. Der ist smart, beruflich erfolgreich
und auch bei den Damen sehr beliebt. Hat ein eigenes Reitpferd, sagt man. Mit
anderen Worten: eine aalglatte Type. Mit allen Wassern gewaschen – findig, wendig,
windig.
Der
Weitel-Ferdinand hingegen ist ein Mann aus dem Volke. Fährt Gabelstapler,
wohnt in einem Mehrfamilienhaus zur Miete und ist auch sonst ein eher unauffälliger
Mensch. Mit anderen Worten: einer, der kein Wässerchen trüben kann.
Wenig raffiniert, aber dafür grundanständig.
Menschen
wie der Herr von Mehling nennen Menschen wie den Herrn Weitel in deren Abwesenheit
deshalb auch gern mal Depp oder Blödmann. Berührungspunkte zwischen
den beiden Menschenschlägen gibt es meist nur wenige, und in der Regel
beschränken sich die Kontakte denn auch aufs Geschäftliche. Im Falle
des Herrn von Mehling (Nikolaus Paryla) und des Ferdinand Weitel (Gerhard Polt)
ist das nicht anders: Bevor der Ferdl weiß, wie ihm geschieht, hat der
wortgewandte Herr von Mehling ihm Versicherungsschutz verkauft, der so umfassend
wie überflüssig ist. Vor allem aber ist er für Weitel, den kleinen
Mann von der Straße mit dem kleinen Einkommen, unerschwinglich, ja geradezu
ruinös.
Bevor
Weitel allerdings zur Besinnung kommt, hat der wieselflinke von Mehling bereits
das Weite gesucht. So bleibt dem Überrumpelten nur der Griff zum Telefonhörer:
Ein Anruf bei der Fidelitas Assekuranz müsste doch genügen, um den
übereilten Vertragsabschluss rückgängig zu machen. Denkt er.
Schließlich kann es sich doch bei der ganzen Sache nur um ein Missverständnis
handeln: offensichtlich hat der Herr von Mehling einfach nur übersehen,
dass er, Weitel, kein Mietshausbesitzer ist, sondern lediglich in einem Mietshaus
wohnt. Glaubt er.
Dass
der einfache Rücktritt vom Haustürgeschäft nicht mehr als ein
frommer Wunsch ist, wird Weitel allerdings schneller klar, als ihm lieb ist.
Nachdem die Dame, die seinen Anruf entgegennimmt, ihren privaten Plausch mit
einer Kollegin endlich beendet hat, erfährt Weitel zunächst einmal,
dass da telefonisch grundsätzlich nichts zu machen ist. Leider. Um die
Angelegenheit zu klären, müsse er, bitteschön, schon persönlich
vorbeikommen.
Zu
dumm nur, dass an der Isar gerade der Fasching losbricht – und der macht auch
vor großen Teilen der Fidelitas-Belegschaft nicht halt.
Im
gesamten sechsten Stock zum Beispiel ist man kreuzfidel, arbeitet mit noch stärker
gebremstem Schaum als gewöhnlich, lässt sich’s statt dessen bei gefüllten
Krapfen, Kaffee und kopierten Witzen gut gehen und zeigt sich wenig beeindruckt
von Weitel. Der ist zum einen ja viel zu früh dran (schließlich herrscht
noch minutenlang Mittagspause), und zum anderen ohnehin zur Unzeit erschienen,
da der Herr von Mehling gerade nicht im Hause ist. Oder nicht mehr. Jedenfalls
ist er für den Deppen Weitel nicht zu sprechen: Sekretärin Annerose
Waguscheit (Gisela Schneeberger) wird schon wissen, wie man den lästigen
Bittsteller am besten abwimmelt.
Den
Vogel schießt dann allerdings deren Kollege Winfried Deutelmoser (Karl
Obermayr) mit dem Vorschlag ab, Weitel möge sich mit seinem Anliegen doch
am besten gleich an den Vorstand wenden. Blauäugig macht Weitel sich auf
den Weg in die oberste Etage, in der die hohen Herren sitzen, und die Belegschaft
feixt ob des vermeintlich doppelten Fliegenschlags:
Natürlich
wird man Weitel gar nicht erst vorlassen – und wenn doch, dann hat ja vielleicht
irgend jemand in der Firmenleitung auch ein Ohr für die seltsamen Methoden,
mit denen der umtriebige Powerseller von Mehling seine Policen an den Mann bringt.
In jedem Fall lässt es sich trefflich auf Kosten des arglosen Weitel scherzen,
den man von Pontius zu Pilatus schickt.
Was
niemand ahnen kann: Per Zufall erhält Weitel tatsächlich Zugang zum
Fidelitas-Allerheiligsten, wo er mitten in eine Sitzung hineinplatzt und so
Zeuge wird, wie das auf Anraten von Unternehmensberater Dr. Berzelmeier (Dieter
Hildebrandt) jüngst installierte Video-Überwachungssystem vorgeführt
wird. Der Vorstand ist entgeistert: die Sekretärinnen nutzen die Telefonanlage
der Firma offenbar nur intern und zum Austausch von Tipps für Schlankheitskuren,
das jüngste Belegschaftsmitglied wird vornehmlich zur Besorgung von Schmalzgebackenem
und dem Kopieren von Schrifstücken ohne jeglichen Bezug zum Dienstlichen
abgestellt und selbst Berzelmeiers Protegé Heinz Böhm (Wolfgang
Gropper) tut sich nicht etwa durch den ihm von seinem Mentor stolz attestierten
Arbeitseifer hervor, sondern tritt vor der versteckten Kamera in erster Linie
als Erzähler von Brüllwitzen in Erscheinung.
Ist
es ein Wunder, wenn die Betriebsergebnisse regelmäßig hinter den
Erwartungen zurückbleiben? So kann ja auch aus der geplanten Effizienzsteigerung
nichts werden. Bald ist die Reduzierung der Belegschaft beschlossene Sache:
bis auf den Büroboten Bemmerl (Hans Stadtmüller), den man wohl leider
nicht mehr so ohne weiteres wird loswerden können, kann man den sechsten
Stock eigentlich geschlossen nach Hause schicken.
Als
auch der aushäusig gewähnte von Mehling auf der Bildfläche erscheint,
werden die zu allem entschlossenen Entscheider dann auch auf Weitel aufmerksam,
der die ganze Zeit im Türrahmen gestanden und die Spionagefilmvorführung
von dort aus mit verfolgt hat. Natürlich wird Weitel umgehend der Vorstandsetage
verwiesen und beeilt sich jetzt, des Herrn von Mehling doch noch habhaft zu
werden. Der spielt allerdings weiter Katz und Maus mit Weitel, und Sekretärin
Waguscheit behauptet weiterhin tapfer, ihr Chef sei ja gar nicht im Hause.
Hellhörig
wird die dralle Dame erst, als Weitel einwendet, er habe von Mehling, wie auch
den Rest der Abteilung, doch „im Fernsehen“ gesehen. Hat sie es nicht schon
immer geahnt? Die ham an Video da oben! Aber wo ist die Kamera? Nachdem das
unsichtbare Auge entdeckt und mithilfe eines übrig gebliebenen Gebäcks
unschädlich gemacht worden ist („Nehmen’s den Krapfen – der pappt!“), fühlt
sich Frau Waguscheit in Weitels Schuld und gibt ihm den Tipp, wenn er sich beeile,
könne er von Mehling, der sich in der Zwischenzeit tatsächlich aus
dem Staub gemacht hat, vielleicht noch in der Tiefgarage erwischen.
Weitel
dankt brav, folgt dem Rat – und verpasst von Mehling um Haaresbreite.
Nur
gut, dass Frau Waguscheit noch einen Tipp parat hat: Mit ein bisschen Glück
könnte Weitel den flüchtigen Außendienstler wohl auch beim abendlichen
Karnevalsball der Versicherungsanstalten stellen. Gesagt, getan – und obwohl
Weitel als kleiner Versicherungsnehmer eigentlich gar keinen Zutritt zur Veranstaltung
haben dürfte, gelingt es Frau Waguscheit tatsächlich, Weitel an der
Türkontrolle vorbeizuschleusen.
Die
Festivität, die man unter das Motto „Traumpolice“ gestellt hat, entpuppt
sich als quasi-prototypische Karnevalsveranstaltung: ein Pandämonium von
Vollprofis im Dienste der organisierten Fröhlichkeit, volltrunkenen Mannsbildern
und vollbusigen Damen. Der bajuwarisch-neckisch herausgeputzte Spießbürger
Deutelmoser steigt den Röcken hinterher und testet den Anmachspruch aus,
den er sich passend zum Kostüm zurechtgelegt hat („I am a Wolpertinger
– and what are you?“), der blasse Laufbursche Markus Wandrey (Peter Welz) markiert
den Revolverhelden und die eher bieder wirkende Annerose Waguscheit versucht
sich als rassige Spanierin.
Rechts
und links der eigentlichen Handlung wird viel getrunken, viel geschunkelt, noch
mehr getrunken, viel getorkelt, noch viel mehr getrunken und schließlich
erbrochen: „Kehraus“ ist nicht nur eine bitterböse Satire, sondern gerade
für Zeitgenossen, die einmal im Jahr die Karnevalshasskappe tragen, ein
wahres Fest – und außerdem ein Film, der in rund zwanzig Jahren erstaunlich
wenig Staub angesetzt hat.
Ob
aufgeblasener, zynischer Führungskräfte-Jargon der Herren Berzelmeier
& Co. oder typische Entgleisungen wild zum Frohsinn entschlossener Zeitgenossen,
die den Fasching als Freibrief dafür ansehen, einmal im Jahr noch etwas
mehr über die Stränge schlagen (dass im Karneval „alles erlaubt“ sei,
ist ja von jeher das Credo derer, die sich auch an allen anderen Tagen des Jahres
schon ziemlich viel herausnehmen) – in „Kehraus“ werden sie so treffend karikiert,
dass der 1983 entstandene Film heute so viel Biss wie eh und je hat.
Manche
der Namen, die auf der Besetzungsliste erscheinen, mögen manchem vielleicht
nicht oder nicht mehr auf Anhieb etwas sagen – aber das dürfte dem Vergnügen
keinen Abbruch tun: Man muss Bruno Jonas und Dieter Hildebrandt nicht kennen
– dass sie treffend besetzt sind, erkennt man auch so. Überhaupt ist „Kehraus“
bis in die Nebenrollen ausgezeichnet besetzt, die Pointen sind geschliffen und
mit der Figur des linkischen, gutmütigen Ferdinand Weitel hat Drehbuchautor
Hanns Christian Müller seinem Spezl Gerhard Polt eine Paraderolle auf den
Leib geschrieben.
So
böse „Kehraus“ auch sein mag (und er ist sehr böse: wenn Mauerblümchen
Annerose Waguscheit zur stolzen Rose aufzublühen versucht und bei der Damenwahl
dann trotzdem einen Korb erhält, ist das eine der Szenen, in der der Film
schlagartig vom Komischen ins Traurige kippt) – dem Film auch ein durch und
durch böses Ende zu verpassen hat Regisseur Hanns Christian Müller
sich dann wohl doch nicht getraut. Ende gut, alles gut: Wenn sich der Staplerfahrer
mit dem lausbübischen Kichern („Magst Ferdl zu mir sagen?“) und die verhuschte
Sekretärin („Zu mir sagen’s Rosi.“) in der sprichwörtlich letzten
Minute dann doch nahe genug kommen, um endlich miteinander anzubandeln, ist
das für mich eines der schönsten und ungekünstelsten Happy Ends
der Filmgeschichte.
Meine
Empfehlung: Anschauen – am besten am Rosenmontag und im Kreise guter Freunde!
Gemeinwesen
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Kehraus
BRD
- 1983 - 92 min.
Prädikat:
besonders wertvoll
Verleih:
Neue Constantin
Erstaufführung:
11.11.1983
Regie:
Hanns Christian Müller
Buch:
Hanns Christian Müller, Gerhard Polt, Carlo Fedier
Kamera:
James Jacobs
Musik:
Hanns Christian Müller
Schnitt:
Thea Eymèsz
Darsteller:
Gerhard
Polt (Ferdinand Weitel)
Gisela
Schneeberger (Annerose Waguschelt)
Nikolaus
Paryla (Arno von Mehling)
Dieter
Hildebrandt (Dr. Berzelmeier)
Jochen
Busse (Professor Heinzel)
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