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Kekexili
- Mountain Patrol
(eine Kritik zur Berlinale 2005)
Kekexili, der geografische Ort, ist das letzte Reservat
der tibetischen Antilope. "Kekexili", der Film, erzählt vom Kampf
eines Trüppchens Aufrechter gegen das massenhafte Abschlachten der Antilopen.
Der Pelz bringt Geld, das die Bauern der höchst unwirtlichen Gegend nicht
haben. Kekexili liegt mehr als 5000 Meter über dem Meeresspiegel, kein
Baum, kein Strauch, nur Sand und Wind und Schnee und Eis. Es ist kalt, die Flüsse
sind matschig zugefroren, und wenn das Auto stehenbleibt, irgendwo im Nirgendwo,
kann das den Tod bedeuten. "Kekexili" ist ein Film über Kekexili.
Ein Reporter aus der Großstadt will eine Geschichte
über Kekexili schreiben und den Kampf Ritais und seiner vom Gesetz nur
halb gedeckten, von keinerlei institutionellem Halt gestützten Truppe.
Die Antilope, könnte man sagen, ist nicht mehr als ein vorgeschobener Grund
für das Abenteuer, das diese Männer in der Ödnis der Hocheebene
suchen. Es ist ein Abenteuer der Entbehrung, des Kampfes am Rand des Überlebens,
ein Kampf um die Stützen, die ständig wegzubrechen drohen: um Freundschaft,
die mit dem Tod der Freunde endet, um Liebe, die flüchtig bleibt. Noch
die Rettung der Antilope ist durch den zum Überleben nötigen Verkauf
ihres Fells kompromittiert. Und manchmal ist es auch nur der Kampf um den Atem,
der in der dünnen Luft auszubleiben droht. Ein Kampf um den Grund, auf
dem man steht, und der sich doch einfach so auftun kann, um einen zu verschlucken.
Diese eine Szene, in der ein Mann im Sand versinkt, ist die eindrücklichste
des Films, der ihre Furchtbarkeit nicht ausbeutet, sondern einfach zeigt. Erst
kämpft der Mann um sein Leben, dann gibt er es auf, ergibt er sich in sein
Schicksal und wird vom Erdboden verschluckt. Es bleiben seine Fußspuren
im Sand, sie enden im Nichts, es bleibt nichts als ein menschenleeres Bild.
"Kekexili" ist ein Film über die Menschenleere
und die Menschen, die die Leere ertragen. Einer hält seit drei Jahren Wacht,
in einer kleinen Hütte im Nichts, den Freunden winkt er lange nach, wenn
sie nach einem kurzen Besuch wieder verschwinden. Ein Film auch über Größenverhältnisse.
Immer wieder erscheinen die Menschen auf der Breitleinwand an den Rand gerückt,
wenn nicht gedrückt, ein kleiner Flecken Leben und Bewegung in weiter,
die Leinwand füllender Natur. Die Musik, die das unterstreicht, müsste
nicht sein. Der Widerspruch von Groß und Klein, Bewegt und Unbewegt, Frist
und Dauer wird einmal als Bild von der Erhabenheit formuliert. Die Männer
vor dem sternenübersäten Horizont, mehr Licht fast als Dunkelheit
am Himmel. Von diesem Anblick schneidet der Regisseur auf Großaufnahmen
der Gesichter der Männer, die da stehen, vor dem Horizont. Verhältnisbilder.
"Kekexili" ist ein konsequenter Film, der
dem Betrachter das Furchterregende weder erspart noch spekulativ um die Ohren
haut. Dass es kein ganz großer Film ist, liegt dann wohl daran, dass er
an den entscheidenden Stellen den Rahmen des Buchstäblichen nicht sprengt.
Regisseur Lu Chuan ist kein Werner Herzog. Er begegnet dem Wahnsinn mit einer
gewissen geschäftsmäßigen Nüchternheit. Er glüht nicht
für das, was er zeigt. Dazu passt, dass er zuletzt den Rahmen wieder schließt
mit ein paar Zeilen im Nachspann, die erzählen, was weiter geschah. Damit
bekommt das Maßlose wieder ein Maß, wird zur Vorgeschichte einer
geglückten Naturreservatsgründung. Die Bilder, die "Kekexili"
findet, scheinen nach dem Mythos zu verlangen. An dessen Stelle stehen am Ende
nur die nüchternen Fakten. Vielleicht ist es falsch, sich den Mythos zu
wünschen, wenn man auch Tatsachen haben kann. Aber vielleicht liegt eines
der Potenziale zur Größe des Kinos eben doch im Wahnsinn seiner mythopoetischen
Kraft. Es ist bisher der eine Film, den man unbedingt gesehen haben sollte.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Kekexili
- Mountain Patrol
China
/ Hongkong 2004 - Regie: Lu Chuan - Darsteller: Duo Bujie, Zhang Lei, Qi Liang,
Zhao Xueying, Ma Zhanlin - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 95 min.
- Start: 8.12.2005
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