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Ken
Park
Anmut
in Suburbia
Jugendlicher
Selbstekel revisited: Sex und Gewalt, das sind die Lieblingsthemen des Kinoregisseurs
Larry Clark. In "Ken Park", seinem neuen Film, schwingt eine sublime
Traurigkeit in den Bildern mit
Zu
kalifornischem Punkrock fliegt die Kamera durch eine flache kalifornische Einöde,
vorbei an den spärlichen Ansätzen einer Agrarkultur, an Mustersiedlungen
mit Musterhäuschen, bis sie zu einem einsamen Skater aufschließt.
Ihm auf den Fersen geht die Fahrt weiter durch saubere Vorstadtstraßenzüge
(das "Skaten Verboten"-Schild wird en passant registriert), vorbei
an der örtlichen Shopping Mall, dem Polizeirevier, der Kirche und endet
schließlich in einem Skate-Park - bis zum Schluss der einzig sichtbare
Versammlungsort der Jugendlichen.
Diese
exemplarischen Stationen einer amerikanischen Kleinstadtsozialisation fährt
Larry Clarks neuer Film "Ken Park" ab, noch während die Titelcredits
laufen. Der Skate-Park ist dabei wahrlich ein symbolträchtiger Ort für
suizidale Teenager: Wo die Stadtplaner den Kids etwas öffentlichen Raum
zum Abreagieren gelassen haben, entlädt sich die persönliche Unzufriedenheit
über die eigene Jugend. Ken Park, kaum eingeführt, bringt seine DV-Kamera
in Stellung und jagt sich eine Kugel in den Kopf. Kurz vorher hat er noch einmal
gelächelt.
Mit
einem Selbstmord beginnt also der Film, eine lose verknüpfte Geschichte
um eine Hand voll Jugendliche. An diesem Punkt, dem Tod, endeten bisher die
Filme Larry Clarks. Etwas hat sich mit "Ken Park" geändert. Und
es sind nicht die Lebensumstände, die Clark hier beschreibt. Die sind immer
noch lieblos und verkommen. Ein Vater begeht in einem Anflug von religiösem
Wahn ein bizarres Hochzeitsritual mit seiner eigenen Tochter, weil er sie bei
der Fellatio mit einem Klassenkameraden aus dem "Bibelunterricht"
erwischt hat. Ein anderer Jugendlicher holt sich mithilfe einer Gürtelschlinge
einen runter (zum Gestöhn von Damentennis!). Sex und Gewalt, seit seinen
frühen Fotobänden "Tulsa" und "Teenage Lust" die
Lieblingsthemen Clarks, bestimmen auch in "Ken Park" das Zusammenspiel
der Menschen. Aber eine neue Sanftheit macht sich unter den desolaten Bildern
bemerkbar. Der Ton klingt versöhnlicher, als man es bei Clark gewohnt war.
Vielleicht
auch weil die Häuser in "Ken Park" mit Familienporträts
voll gestellt sind. Meistens evozieren sie nichts als ungute Erinnerungen, wie
bei Claudes Vater, wenn er volltrunken in das Zimmer seines schlafenden Sohnes
torkelt, um ihm an die Wäsche zu gehen. Oder bei Shaun, der so etwas wie
die Erzählerrolle übernimmt: die Bilder einer glücklichen Familie
- High-School- und Babyfotos erinnern ihn daran, dass er gleichzeitig mit Mutter
und Tochter schläft. (Später sieht man diese Musterfamilie einträchtig
auf der Veranda ihres Hauses beisammenstehen; ihr All-American-Lächeln
ist ein Hohn.) Eine sublime Traurigkeit schwingt in diesen Bildern mit, von
der Eltern wie Kinder gleichermaßen befallen sind. Das Gefühl, dass
sie es eigentlich alle besser verdient hätten. Es ist diese Melancholie,
die "Ken Park" maßgeblich von "Kids"
(1995), Clarks erster Zusammenarbeit mit Harmony Korine als Drehbuchautor, unterscheidet.
Nicht
nur räumlich, auch ideologisch liegen die Milieus, in denen die Filme Harmony
Korines ("Gummo",
"Julien Donkey-Boy") und Larry Clarks angesiedelt sind, weit auseinander:
Wo in der White-Trash-Heimeligkeit von Korines Regiearbeiten immer wieder die
krude Faszination hipper Mittelstandskinder am Outsider-Lifestyle im Trailerpark
durchkommt, haben die Filme Clarks diese masochistische Form des Selbstekels
bereits überwunden. Seine Kids (tendenziell eher aus der Mittelklasse stammend)
sind nicht weniger abgefuckt als die Korines, aber zumindest können sie
noch ihre Sehnsüchte artikulieren - ganz bürgerliche mitunter auch:
die nach einer intakten Familie zum Beispiel. Clarks bester Film, "Another
Day in Paradise", handelt von zwei gedrogten Teenagern, die in einem schmierigen
Kleinkriminiellenpärchen eine Ersatzfamilie suchten. Clark selbst nannte
"Another Day in Paradise" damals seinen "Familienfilm".
Um
Mütter und Väter geht es auch in "Ken Park", und sie kommen
überraschend gut dabei weg. Zum Beispiel wenn die Skaterjungs zusammen
kiffen und sich dabei über ihre Erzeuger aufregen. Alles Bastarde. Saufen
und prügeln, das können sie. Aber plötzlich fängt einer
von ihnen an, von seinem toten Vater zu erzählen. Und irgendwann sagt er
dann einfach so, dass Väter vielleicht elende Bastarde seien, aber jeder
von ihnen lernen sollte, seinen Vater für das, was er ist, zu schätzen
- solange man einen hat. Man könnte vielleicht eine gewisse Ironie dahinter
vermuten, dass Clark sich für die Schlusscredits einen Song der Shaggs,
einer dilettantischen Sixties-Girl-Group, ausgesucht hat. Er heißt "Who
are Parents" ("Parents are the ones who really care"), doch der
schräge Gesang und die verstimmten Instrumente der Mädchen lassen
keine Rückschlüsse darauf zu, wie ernst es Clark in diesem Punkt wirklich
ist - die Mädchen sind von ihrem Vater zum Musizieren gezwungen worden.
Dieser
neuen Fürsorglichkeit Clarks ist auch das Lichtkonzept geschuldet. Ed Lachman,
der sich mit Clark die Regie von "Ken Park" teilt, hat sich merklich
dem realistischen Stil des Siebziger-Jahre-Kinos orientiert. Wohl nicht zufällig
erinnert "Ken Park" mit seinen blassen Farben an Jonathan Kaplans
"Wut im Bauch". Von den aufwühlenden Farb- und Lichtspielen,
mit denen Lachman zuletzt ein ganz anderes Suburbia-Drama, Todd Haynes "Dem
Himmel so fern",
ausgestattet hat, ist "Ken Park" Lichtjahre entfernt. Die Absichten
könnten auch nicht gegensätzlicher sein. Die Fallen einer Gettoisierung
haben Clark und Lachman mit "Ken Park" geschickt gemieden. Stattdessen
fließt das Licht natürlich in alle Richtungen. Es ist ein Kalifornien,
wie man es im Kino heute nur selten zu sehen kriegt: vom Sonnenlicht ausgebleicht
und vom trockenen Klima ausgezehrt.
Wie
kann ein jugendliches Utopia in dieser Tristesse schon aussehen? 16-mal am Tag
Sex haben natürlich, mit 16 unterschiedlichen Frauen. Aber der Sex ist
in "Ken Park" nicht einmal das Beste. Viel schöner ist, dass
Clark seine Laiendarsteller dabei zum ersten Mal in Anmut gefilmt hat.
Andreas
Busche
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der: Taz
Zu diesem Film gibt’s im
archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Ken
Park
Regie:
Larry Clark, Ed Lachman. Mit
Stephen Jasso, James Ransome, Tiffany Limos. USA/Niederlande 2002, 95 Min.
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