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Kill
Bill - Volume 2
zwei
Kritiken von G. Seeßlen
„Ein
System tut, was es tut“, schreibt Niklas Luhmann. Der Satz könnte auch
die Filme von Quentin Tarantino beschreiben. In der Fortsetzung seines im letzten
Jahr begonnenen Pop-Epos sorgt der Regisseur für Überraschungen –
ohne das „System Tarantino“ zu verlassen.
Es gibt, was Sequels anbetrifft, kaum etwas Enttäuschenderes als „more of the same“, und vollends verstimmt es, jemandem wie den Wachowski-Brüdern in ihren Matrix-Sequels dabei zuzusehen, wie kraftmeierisch sie die Bälle auffangen müssen, die am Beginn so elegant in die Luft geworfen wurden. Quentin Tarantino, der film buff, weiß natürlich um die Gefahren, die sich aus der Erwartung des Publikums ergeben. Er versucht nicht, uns dabei auszutricksen, im Gegenteil, er treibt von der ersten – schwarzweißen – Einstellung von Kill Bill – Volume 2 an ein offenes Spiel damit. Der Tonwechsel gegenüber dem Ende des ersten Teils könnte kaum radikaler sein; man ist zwar sofort im „Tarantinoverse“, im Tarantino-Universum, aber doch zugleich in einem ganz neuen Film.
Nun
ist Kill
Bill – Volume 2
allerdings gar kein richtiges Sequel, sondern der zweite Teil einer am Stück
produzierten Geschichte. Und eines darf man wohl, ohne irgendwie die Spannung
zu nehmen, erklären: Die Geschichte wird wirklich zu Ende erzählt.
„Kill Bill – Vol. 3“ wäre nur als schlechter cineastischer Witz denkbar.
Aber es ist auch nicht einfach der zweite Teil eines geschlossenen Werkes, so
wie man bei Ben Hur einst seine Schokoriegel-Kaufpause hatte. Zwischen Volume
1
und Volume 2 gibt es einen Schritt hinter den Spiegel; nicht nur, dass der erste
Teil, wie Quentin Tarantino sagte, ein Eastern und der zweite Teil ein Western
ist; der Weg einer Empfindung (nennen wir sie „verletzte Mütterlichkeit“)
und der Weg eines Gründungsmythos (nennen wir ihn den von den liebenden
Mördern, die ewige Wiederkehr jener Geister, die nicht wissen, ob sie den
Tod oder das Leben bringen) kehren sich auf der Reise durch die Erzählungen
und Bilder in ihrer Richtung um. Hinein in die Spiegelwelt ging es im ersten
Teil, aus ihr heraus will Alice mit dem Schwert in Teil 2.
Wir
erinnern uns: Bei den Hochzeitsvorbereitungen der Braut veranstalteten Bill
und seine Leute von der Viper-Killerorganisation ein schreckliches Massaker.
Bill selbst, der Chef der Organisation und frühere Geliebte der Braut,
schoss ihr in den Kopf. Die Braut fiel ins Koma, erwachte Jahre später,
musste feststellen, dass sie ihr Kind verloren hatte und im Krankenhaus während
ihrer mentalen Abwesenheit missbraucht worden war. Nun begann ein langer Rachefeldzug
gegen die Mitglieder ihrer Organisation und Mörder ihrer Familie. Im ersten
Kapitel des neuen Films, der eine wundervolle John-Ford-Sergio-Leone-Hommage
aufweist, kommt Bill als ungebetener Gast zur Hochzeitsprobe. Sie stellt ihn
ihrem Bräutigam, einem freundlichen Verkäufer von gebrauchten Schallplatten,
als ihren Vater vor. Die Geschichte beginnt damit, dass wir Bill nicht mehr
als den fernen, sadistischen Bösewicht ansehen, sondern als einen gefährlichen
Kerl mit Gefühlen. Die nächsten Kapitel behandeln die Fortsetzung
des Rachefeldzuges. Zuerst muss die Braut mit Bills Bruder Budd fertig werden,
der sie lebendig begraben hat; dann muss sie Elle Driver besiegen, die Böseste
unter den Killern. Zu einer großen Überraschung wird der finale Besuch
bei Bill. Dort begegnet die Heldin ihrer Tochter, die lange schon sehnlich auf
ihre wieder erwachte Mutter wartet, und Bill zeigt sich als fürsorglicher
Daddy. Aber diese Wendung ist noch lange kein Happy End.
Es
ist dennoch eine glückliche Rückkehr ins Tarantinoverse. Denn der
Autor und Regisseur versteht es, uns mit genau den Tricks, die wir von ihm kennen,
wieder zu verblüffen, aber aus immer neuen Kombinationen auch eine neue
Qualität zu gewinnen. Es gibt das Spiel mit den Zitaten, die schräge,
einander überlappende Kapiteleinteilung, die harten Schnitte zwischen dem
Absurden und dem Anrührenden, die offene Verfremdung der filmischen Mittel,
die Reibung zwischen Erzählfluss und einzelner Einstellung, die Comic-Strip-Beziehungen
und das Einweben der Pop-Songs in Handlung und Charakterisierung, die Verknüpfung
beinahe jeder Szene mit anderen Szenen im Tarantinoverse (etwa Samuel L. Jacksons
kurzer Auftritt in der Kirche) und nicht zuletzt das untrügliche Gespür
für die kosmische Komik, die im Zusammentreffen des Banalen und des Erhabenen
entsteht. Nur so ein Beispiel: Der furiose Endkampf zwischen der Braut und Elle
Driver, der vor mythologischen Konnotationen nur so strotzt, findet in einem
Wohnwagen in der Wüste statt. Die beiden bedienen sich dazu der besten
japanischen Schwerter, die je hergestellt wurden. Aber weil es in diesem schmuddeligen
Wohnwagen des bekennenden Cowboys Budd, der obendrein noch tot am Boden herumliegt,
einigermaßen eng ist, haben die beiden Kämpferinnen immer wieder
Schwierigkeiten, ihre Schwerter aus der Scheide zu ziehen, oder sie bleiben
im eleganten Schwung des blitzenden Stahls an Gegenständen des alltäglichen
Gebrauchs hängen. Wohlgemerkt: So etwas inszeniert Tarantino nicht als
running gag im Vordergrund, sondern in schöner Beiläufigkeit in einem
kinetischen Geschehen am Rand der Übersichtlichkeit.
In
Kill
Bill
muss uns Tarantino nicht mehr beweisen, dass es keinen Widerspruch zwischen
Trash und Kunst gibt. Er bewegt sich schon mit der neugierigen Gelassenheit
eines Meisters in seinem eigenen Universum, wie Fellini, wie Ford, und er kann
in dieser Meisterschaft ein paar Fragen stellen, das Leben und die Fiktionen
betreffend, die schmerzender sein können, als es bei all dem kinetisch
verschärften Zeichenspaß zunächst scheinen mag. Wie zu Hause
sind wir denn noch in unseren Bildern?
Man
muss dazu Godard und Superman-Comics gleichzeitig denken. Tarantino benutzt
ja nicht nur die endlos zerfallende populäre Mythologie, unsere zweite
Wirklichkeit, unsere Metaphysik, um aus ihren Trümmern sein eigenes Ding
zu basteln. Er hat eine gemeine Technik, mehrere Punkte im gleichen Augenblick
so heftig zu berühren, dass etwas inwendig zerplatzt. Diese Technik beherrscht
übrigens auch die Braut.
Georg
Seeßlen
Kill
Bill – Volume 2 vollendet das große Epos von Liebe und Rache, Traum und
Meta-Traum im Film-Universum des Quentin Tarantino: der kunstvollste Trash und
die trashhaltigste Kunst im Kino des 21. Jahrhunderts, bisher.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd
film
Dornröschens
Erwachen
Man
kann auf den Gefühlen der Zuschauer spielen wie auf einer Orgel - sagte
Hitchcock. Quentin Tarantino ist längst beim Cool Jazz angekommen. "Kill
Bill Vol. 2." macht klar: Dies ist das erste Meisterepos im Werk dieses
Regisseurs. Die große Führung durchs Tarantinoverse - Volume 1 und
2!
VON
GEORG SEESSLEN
So
habe ich die Sache noch nie gesehen. Ich meine die "Superman-Mythologie",
von der Bill spricht, bevor es zum Blutvergießen geht in "Kill Bill
Vol. 2". Die meisten Superhelden nämlich müssen erst durch irgendetwas
"gemacht" werden: Peter Parker wird von einer radioaktiven Spinne
gebissen und wird Spiderman, die X-Men müssen ihre mutagenen Anlagen in
einer speziellen Schule entwickeln usw. Die auf diese Weise erwählten Menschen
legen sich eine Heldenmaskerade zu, eben das Superheldenkostüm. Bei Superman
aber verhält es sich genau andersherum, er ist von Natur aus Superman,
und sein Kostüm ist nichts anderes als die Decke, in die ihn seine Mutter
gewickelt hat, bevor er mit der Rakete vom sterbenden Planeten Krypton geschossen
wurde.
Seine
Maskerade auf Erden ist der weiße, amerikanische Kleinbürger, so
wie ihn ein Außerirdischer sehen mag: Clark Kent, der schüchterne
Reporter mit der Kassenbrille, der opportunistische Feigling, ist genau das,
was der außerirdische Übermensch in uns normalen Menschen sieht.
Eine Karikatur als Traumbild. Unser Psychologie-vergiftetes Denken hat immer
nur den schmächtigen Durchschnittsmenschen gesehen, der in seinen Träumen
der verehrte, omnipotente Superman ist. Wie aber, wenn es sich genau andersherum
verhält? Wenn es nicht das kleine Würstchen ist, das sich den Übermenschen
träumt, sondern das fremde Wesen, das sich in die Rolle des kleinen Würstchen
träumt (und sich ein wenig darin verliebt). Und was ist, wenn nicht die
Bürger träumen, Killer zu werden, sondern die Killer davon, Bürger
zu sein? So weit Bill, der dunkle Verführer.
Solches
Fragen, das vor langer Zeit mit einem Schmetterling begann, der träumte,
ein Mensch zu sein, der träumte, ein Schmetterling zu sein, setzt auch
die Spirale der inneren Logik in "Kill Bill" in Gang. Ist es die Geschichte
einer Mutter, die träumt, eine Mörderin zu sein, oder ist es die Geschichte
einer Mörderin, die träumt, eine Mutter zu sein? Ist es der Traum
von Menschen, zu Comic-Strip-Figuren zu werden, oder ist es der Traum von Comic-Strip-Figuren,
zu Menschen zu werden? Ist es der Traum von Pulp Fiction, zu Kunst zu werden,
oder ist es der Traum von Kunst, zu Pulp Fiction zu werden? Träumt sich
die Geburt den Tod oder der Tod die Geburt?
Das
sind Fragen, die man nicht mit einer Lösung, sondern mit einer Form beantwortet.
Mit einem Ornament oder mit einem Film. Und genauso verhält sich auch der
zweite Teil von "Kill Bill" zum ersten: wie eine Rachegeschichte,
die sich eine Liebesgeschichte träumt, die sich eine Rachegeschichte träumt,
die sich und so weiter. Wie ein Blick nach Osten, der einem Blick nach Westen,
der einem Blick nach Osten begegnet (im Popuniversum natürlich). Und diese
Spiegelungen bestimmen in "Kill Bill", dem ersten "Epos"
im Tarantinoverse (nach der Short Story von "Reservoir Dogs", der
Anthologie von "Pulp Fiction" und dem Roman von "Jackie Brown"),
sowohl die Mikro- als auch die Makrostruktur der Bilder und Erzählungen
(von denen natürlich, wie im Tarantinoverse üblich, nichts, aber auch
gar nichts etwas "Originales" sein kann).
Der
zweite Teil von "Kill Bill" jedenfalls ist ganz und gar nicht einfach
more
of the same
und kann getrost auch auf die Überbietungsstrategien von Sequels verzichten,
wie wir sie gewohnt sind. Tarantino (dieses arrogant grinsende Arschloch) kann
es sich sogar leisten, den Motor herunterzuschalten und sich bedächtiger
als zuvor zu bewegen. Der Tonwechsel gegenüber dem offenen Ende des ersten
Teils könnte kaum radikaler sein; man ist zwar sofort im "Tarantinoverse",
aber doch zugleich in einem ganz neuen Film, der ganz folgerichtig seine Vorgeschichte
(das wedding chapel massacre) als inhaltliche und formale Korrektur desselben
Geschehens aus Teil 1 präsentiert.
Mal
ganz davon abgesehen, dass die allererste Einstellung uns die Braut in ihrem
Auto (komplett mit durchsichtiger Rückblende) und als Erzählerin in
eigener Sache zeigt, wie in einem Film noir aus den Vierzigerjahren: "When
I arrive at my destination, I am gonna kill Bill." Und aus den Films noirs
kennen wir das Gefühl, solche off-narration stamme von Menschen, die in
der einen oder anderen Weise schon tot sind.
Nun
ist "Kill Bill Vol. 2" ja gar kein richtiges Sequel, sondern der zweite
Teil einer am Stück produzierten Geschichte. Und eines darf man wohl erklären,
ohne die Spannung zu nehmen: Die Geschichte wird wirklich zu Ende erzählt.
Wie die Nibelungen, "King Lear" oder "The Searchers": Am
Ende, da ohnehin beinahe alle tot sind, haben sich nicht nur die Helden, sondern
auch die Sprachen für ihre Erzählungen erschöpft. Am Ende eines
Epos kann nur ein neues Zeitalter beginnen. (Nichtsdestoweniger kündigt
Tarantino schon einen dritten Teil an: die Geschichte jener Rache, die das kleine
Mädchen vom Anfang des ersten Teils der Braut schwören musste.)
Aber
Vol. 2 ist auch nicht einfach der zweite Teil eines geschlossenen Werks, so
wie man bei "Ben Hur" einst seine Schokoriegel-Kaufpause hatte, die
bei "Kill Bill" aus marktstrategischen Gründen um ein paar Monate
zu lang ausgefallen wäre. Stil- und Genrewechsel innerhalb eines Films
sind wir von Tarantino ja gewöhnt, wenn sie auch nicht immer so abrupt
ausfallen müssen wie in "From Dusk Till Dawn". Zwischen Vol.
1 und Vol. 2 gibt es einen Schritt hinter den Spiegel, einen Sturz durch den
Kaninchenbau. Nicht nur dass der erste Teil, wie Quentin Tarantino sagte, ein
Eastern und der zweite Teil ein Western ist; der Weg einer Empfindung (nennen
wir es "verletzte Mütterlichkeit"), der Weg eines Gründungsmythos
(nennen wir ihn den von den "liebenden Mördern", die ewige Wiederkehr
jener Geister, die nicht wissen, ob sie den Tod oder das Leben bringen) kehrt
sich auf seiner Reise durch die Erzählungen und Bilder in seiner Richtung
um. Hinein in die Spiegelwelt ging es im ersten Teil, aus ihr heraus will Alice
mit dem Schwert in Teil 2.
Wir
erinnern uns: Bei den Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande veranstalteten Bill
und seine Leute von der Viper-Killerorganisation ein schreckliches Massaker.
Bill selbst, der Chef der Organisation und früherer Geliebter der Braut,
schoss ihr in den Kopf. Sie fiel ins Koma, erwachte vier Jahre später und
musste feststellen, dass sie ihr Kind verloren hatte und im Krankenhaus während
ihrer mentalen Abwesenheit missbraucht worden war. So haben wir das Erwachen
von Dornröschen auch noch nie gesehen.
Nun
begann ein langer Rachefeldzug gegen die Mitglieder ihrer Organisation und Mörder
ihrer Familie. Killing by Numbers: Dornröschens Rachefeldzug bildet beständig
neue narrative und ästhetische Felder aus. Jede vollendete Rache ist zugleich
ein eigener Film, eine Farbe im Gemälde, ein Solo im Track und ein Puzzleteil
für eine dahinter liegende Geschichte. Bill, der im ersten Teil eine ferne
Schimäre, ein Phantasma der Schuld bleiben musste, steht nun im Zentrum
des zweiten Teils, und wie gut die Figur, das Timing und der Darsteller David
Carradine funktionieren, das zeigt sich daran, wie mühelos Bill/Carradine
die enorme Erwartungsspannung aushalten kann, die in "Kill Bill Vol. 1"
aufgebaut wurde. Carradines Bill ist cool wie Höllenfeuer.
Im
ersten Kapitel des neuen Films, das mit einer wundervollen John Ford/Sergio
Leone-Hommage beginnt (in Schwarzweiß, um noch einmal an das Kompositionsprinzip
des Films zu erinnern: immer etwas ganz anderes im Gleichen), kommt Bill als
ungebetener Gast zur Hochzeitsprobe. Sie stellt ihn ihrem Bräutigam, einem
freundlichen Verkäufer von gebrauchten Schallplatten, als ihren Vater vor.
Bill spielt das Spiel - so scheint es - mit. Die Braut hat Angst vor diesem
sanften Ungeheuer, aber sie steht noch immer in seinem Bann. Und dann beginnt
das Morden.
Die
Geschichte fängt also sozusagen noch einmal neu an - insofern, als wir
Bill nicht mehr als den fernen, sadistischen Bösewicht ansehen, sondern
als einen gefährlichen Kerl mit Gefühlen. Jetzt wissen wir, dass das
Massaker eine Folge nicht des Hasses, nicht der Berechnung, sondern eine der
Liebe war. Wie es der Tragödie angemessen ist.
Die
nächsten Kapitel behandeln die Fortsetzung des Rachefeldzuges. Zuerst muss
die Braut mit Budd fertig werden, der sie lebendig begraben hat. Budd ist Bills
kleiner Bruder. Während die Braut sich verzweifelt zu befreien sucht, schweift
die Geschichte noch einmal zurück nach Asien, wo sie bei einem weisen Meister
sehr effektive Kampftechniken und das Reisessen mit Stäbchen in zerschundenen
Händen erlernte. Und dann muss die Braut noch Elle Driver besiegen, die
Böseste unter den Killern (vielleicht ist sie vor allem deshalb so böse,
weil sie versuchte, den Platz in Bills Leben einzunehmen, den die Braut verließ,
und weil sie weiß, dass sie das nicht kann). Und das wird, im Wortsinne,
so ziemlich der schmutzigste Teil des Films.
Allerdings
auch der, bei dem sich am ehesten das "more of the same"-Gefühl
einstellt. Mr. T. tobt sich wieder einmal aus. Zu einer großen Überraschung
wird dann der finale Besuch bei Bill. Er knüpft an den letzten Satz in
Vol. 1 an: "Is she aware her daughter is still alive?". Bill hat ein
kleines Traumreich am Ozean errichtet, und dort begegnet die Braut ihrer Tochter,
die lange schon sehnlich auf ihre wiedererwachte Mutter wartet, und Bill zeigt
sich als fürsorglicher Daddy, der die hohe Kunst des Sandwich-Bereitens
versteht. Was für eine hübsche, glückliche Familie für den
Augenblick. Aber Mom und Dad sind liebende Mörder.
Es
grenzt nicht an Unverschämtheit, was Tarantino mit uns anstellt, so zwischen
Einfühlung und Verfremdung, Tragödie und Clownerie, es geht in seiner
Unverschämtheit vielmehr weit über den Pakt hinaus, den das Kino mal
mit seinen Gläubigen geschlossen hat. Kein fester Boden mehr, keine linearen
Gleichungen zwischen Bewegung und Gefühl, keine verlässliche Ableitung
von Tragödie und Farce ins Melodrama, kein Drei-Akt-Schema des Plots und
keine innere continuity. Man kann mit den Gefühlen der Zuschauer spielen
wie auf einer Orgel, hat Hitchcock gesagt. Und Quentin Tarantino ist dabei beim
Jazz angelangt. Beim Cool Jazz. Klar, dass so einer den Szenenapplaus schon
in seinem Spiel mit einkalkuliert, klar, dass seine Soli immer auch etwas Narzisstisches
haben.
Es
ist dennoch eine glückliche Rückkehr ins Tarantinoverse. Denn der
Autor und Regisseur versteht es, uns mit genau den Tricks, die wir von ihm kennen,
wieder zu verblüffen, aber aus immer neuen Kombinationen auch eine neue
Qualität zu gewinnen. Das Spiel mit den Zitaten, die schräge, einander
überlappende Kapiteleinteilung, die harten Schnitte zwischen dem Absurden
und dem Anrührenden, die offene Verfremdung der filmischen Mittel, die
Reibung zwischen Erzählfluss und einzelner Einstellung, die Comic-Strip-Beziehungen
und das Einweben der Popsongs in Handlung und Charakteristik, die Verknüpfung
beinahe jeder Szene mit anderen Szenen im Tarantinoverse (zum Beispiel Samuel
L. Jacksons kurzer Auftritt in der Kirche) und nicht zuletzt das untrügliche
Gespür für die kosmische Komik, die im Zusammentreffen des Banalen
und des Erhabenen entsteht.
Nur
so ein Beispiel: Der finale, furiose Endkampf zwischen der Braut und Elle Driver,
der vor mythologischen Konnotationen nur so strotzt, findet in einem Wohnwagen
in der Wüste statt. Die beiden bedienen sich dazu der besten japanischen
Schwerter, die je hergestellt wurden. Aber weil es in diesem schmuddeligen Wohnwagen
des bekennenden Cowboys Budd, der obendrein noch tot am Boden herumliegt, einigermaßen
eng ist, haben die beiden Kämpferinnen immer wieder Schwierigkeiten, ihre
Schwerter aus der Scheide zu ziehen, oder sie bleiben im eleganten Schwung des
blitzenden Stahls an Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs hängen.
Wohlgemerkt: So etwas inszeniert Tarantino nicht als Running Gag im Vordergrund,
sondern in schöner Beiläufigkeit in einem kinetischen Geschehen am
Rand der Übersichtlichkeit.
In
"Kill Bill" muss uns Tarantino nicht mehr beweisen, dass es keinen
Widerspruch zwischen Trash und Kunst gibt. Er bewegt sich schon mit der neugierigen
Gelassenheit eines Meisters in seinem eigenen Universum, wie Fellini, wie Ford,
und er kann in dieser Meisterschaft ein paar Fragen stellen, das Leben und die
Fiktionen betreffend, die schmerzender sein können, als es bei all dem
kinetisch verschärften Zeichenspaß zunächst scheinen mag. Wie
zu Hause sind wir denn noch in unseren Bildern? Man muss dazu Godard und "Superman"-Comics
gleichzeitig denken. Darauf reagieren, wie in der Kultur des Global Village
das Fremde und das Vertraute nicht mehr an kulturellen Grenzen geschieden sind,
sondern in den Produkten des konstanten Flusses der Codes und Sensationen wieder
aufbrechen.
Tarantino
benutzt ja nicht nur die endlos zerfallende populäre Mythologie, unsere
zweite Wirklichkeit, unsere Metaphysik, um aus ihren Trümmern sein eigenes
Ding zu basteln. Er hat da eine gemeine Technik, mehrere Punkte im gleichen
Augenblick so heftig zu berühren, dass etwas inwendig zerplatzt. (Diese
Technik beherrscht übrigens auch die Braut.)
Und
während er sich im Chaos der Codes bewegt, rührt er dabei, anders
als die meisten seiner Epigonen, immer wieder an sehr fundamentale Empfindungen.
Es passieren lauter absurde und fantastische Dinge, und dauernd zeigt man uns,
dass es sich dabei nur um Bilder, nur um Kino, nur um ein Spiel handelt. Früher
nannte man so etwas "Camp". Und beinahe im selben Moment geschehen
Dinge, die wir alle nur zu gut kennen: Angst haben, verlassen werden, Cornflakes
essen. Das Grauen und die Sehnsucht in der Fantasie von Familie.
Dass
die Braut getötet hat, was sie liebte, wird auch in der Ordnung der kleinen
Dinge so deutlich wie in der Schleife zum Mutter/Tochter-Motiv der ersten Station
ihres Rachefeldzuges. Dort stand sie bereits einer Frau gegenüber, die
von einer Killerin zur Mutter zu werden versuchte. Alle Lebensmöglichkeiten
werden nach der Flucht aus dem Krankenhaus (der Flucht vor dem Tod) durchmessen:
das von Konformitätsdruck gebildete Suburbia-Reihenhaus, der paradiesische
Garten, das low life zwischen Trailer und Stripclub, das Krankenhaus, die Selbstfindung
in der Reise in den Orient, die Konferenzzimmer der mafiosen Business-Herrschaft.
"Kill Bill" ist unter anderem eine Reise durch die Knotenpunkte von
Bürgerlichkeit und Macht. Man kann den Film wie ein aberwitziges audiovisuelles
Mixtape ansehen oder eine Montage der Urmärchen im Popgewand. Als Ineinanderstürzen
von Geburtstrauma und Todesangst.
Und
ganz nebenbei ist es eine ziemlich tückische Geschichte von den Transformationen
des Künstlerischen und des Familiären, des Wilden und des Bürgerlichen,
ein Blick zurück und ein Blick nach vorn in der magischen Biografie des
Quentin Tarantino. Die Geschichte vom schwarzen Vater, den es zu verjagen und
zu bewahren gilt.
Was
man sich bei Tarantino-Filmen immer fragt: warum die Schauspieler so teuflisch
gut sind. Vielleicht, weil sie sich immer auch einen eigenen Traum erfüllen
dürfen. Weil der narzisstisch coole Jazzer im Regiestuhl sehr gut auf seine
Mitspieler hören kann. Und ihnen den Raum für ihre eigenen Soli schafft.
Und weil es beim Spielen immer etwas zu entdecken gibt, wenn man dann wieder
überraschend zusammenkommt.
Vom
ersten Bild ihrer Begegnung in der Kirche ist die Spannung zwischen Carradine
und Thurman da, die das Sexuelle, das Symbolische und das Väterlich-Mythische
umfasst; der Tod ist beinahe so spürbar um ihn, dass man an gewisse laszive,
symbolistische Gemälde von "Tod und Mädchen" erinnert ist;
Bills magische Flöte (die ihn auch zu einer Art von "Rattenfänger"
macht) spielt eine Todesmelodie, der die Braut einmal nicht mehr folgen wollte.
Es ist die Melancholie in dieser Liebes- und Rachegeschichte, dass man von vornherein
ahnt, dass all diese grausige, komische, eklige Gewalt vor allem Verkleidung
und Inszenierung ist.
Noch
mehr als bei David Lynchs "Blue
Velvet"
kann man bei "Kill Bill" vermuten, dass es sich bei all dem schrecklichen
Geschehen um nichts anderes handelt als um die Inszenierung einer Fantasie gegen
eine todkranke Melancholie. Eine Frau, die dem Tode nahe ist, träumt sich
ins Leben zurück. Ist es der Film, in dem eine Frau tötet, was sie
liebt, oder ist es der Film, in dem sich ein Mann, der sie liebt, fünfmal
töten lässt, um sie zu retten? Oder noch einmal ganz andersherum:
Nimmt man einmal all dieses Hauen, Stechen und Schießen, die Genres, Zitate
und Satiren weg, dann bleibt die Geschichte einer schwangeren Frau, die sich
auf eine bürgerliche Ehe mit einem netten Nerd vorbereitet, als die Clique
wieder auftaucht, mit der sie vordem um die Häuser gezogen ist. Um sie
zu verabschieden oder um sie aus dem selbst gewählten Gefängnis zu
befreien? Oder nur, um noch einmal kräftig Zoff zu machen.
Abenteuer
sind Masken der Übergänge im Leben. Abgemacht, wenn es um das Ende
der Kindheit geht. Als wäre das der letzte Übergang im Leben und deswegen
das letzte Abenteuer! Und Abenteuer sind letztlich immer Albträume (und
immer gibt es in ihnen einen Long John Silver, einen Lex Luthor, einen Indianer-Joe,
einen Bill).
Rite
de passage, hä? "Kill
Bill" erzählt eine Liebesgeschichte mit dem Tod. Dornröschen,
wachgeschossen. Und vielleicht ist ja "Kill Bill" auch nichts anderes
als Quentin Tarantinos Art zu sagen, dass er sich eine Familie, dass er sich
ein Kind wünscht und dass er weiß, dass das eine ziemlich schwierige
Angelegenheit wird, wenn er sich recht erinnert oder recht träumt.
Ist
aber letztendlich wurscht, denn ein Film erzählt uns ja nichts. Er ist
eine Interpretationsmaschine, zu der lauter verschiedene Gebrauchsanweisungen
herumliegen. Nützliche, schöne, sogar gefährliche. Und wenn man
erst einmal anfängt, mit einer Maschine wie "Kill Bill" herumzuspielen.
There's no END.
Georg
Seeßlen
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der:
Kill
Bill – Volume 2
USA
2004. R: Quentin Tarantino. B: Quentin Tarantino, Uma Thurman. P: Quentin Tarantino,
Lawrence Bender. K:
Robert Richardson. Sch: Sally Menke. M: RZA, Robert Rodriguez, Ennio Morricone.
T: Adam Lantz, Jon Title. A: Yohei Taneda, David Wasco, Daniel Bradford. Ko:
Kumiko Ogawa, Catherine Marie Thomas. Sp: Jason Gustafson. Pg: Miramax/A Band
Apart/Super Cool ManChu. V:
Buena Vista. L: 110 Min. Da: Uma Thurman (Die Braut/Black Mamba), David Carradine
(Bill), Daryl Hannah (Elle Driver/California Mountain Snake), Samuel L. Jackson
(Orgelspieler), Michael Madsen (Budd/Sidewinder), Lucy Liu (O-Ren Ishii).
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