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King
of California
Zottelfreak Charlie
auf Schatzsuche
"Charlie Freak" lautet der Titel eines
schönen Songs der Band Steely Dan, und "Charlie Freak" wäre
auch ein passender Titel für dieses Spielfilmdebüt von Mike Cahill
gewesen. Es ist ein etwas versponnener Wohlfühlfilm geworden, der - in
der Tradition von "Gilbert Grape", "Garp" oder "Rain
Man" - eine mentale Herausforderung (wie man in den USA politisch korrekt
zu formulieren pflegt) dazu hernimmt, der kalten, seelenlosen, gleichgeschalteten
und durchkommerzialisierten Zivilisation eine andere Melodie vorspielen und
so die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen zu bringen - freilich ohne
jemandem dabei wehzutun.
Als wir Charlie (Michael Douglas), einen in die Jahre
gekommenen ehemaligen Jazzbassisten, zum ersten Mal begegnen, ist er nach zwei
Jahren Aufenthalt gerade aus der Psychiatrie entlassen worden. Er wird von seiner
minderjährigen Tochter Miranda (Evan Rachel Wood) heimgeholt, die sich
früh auf eigene Faust mit Mc-Jobs durchschlagen musste, weil auch die Mutter
die Familie längst im Stich gelassen hat. Miranda ist nicht gut auf ihren
spleenigen Vater zu sprechen, der sogleich wieder von nackten Chinesen an der
Küste Kaliforniens zu fabulieren beginnt. Charlies versponnener Eigensinn
mag zwar auf Dauer etwas anstrengend sein, ist aber letztlich auch zutiefst
harmlos. Zumal im scharfen Kontrast zum äußerst gleichförmigen
Leben in den bis zur Unwirtlichkeit gepflegten Suburbs wirkt Charlies anarchischer
Drive wie eine Erinnerung an längst verdrängte Freiheiten. Dennoch
gilt für Miranda: wenn alternde Beatniks sich weigern, erwachsen zu werden,
müssen ihre Kinder eben umso reifer erscheinen, um sich ein Quäntchen
Normalität zu sichern.
So ist die Konstellation, als Charlie von seinem
neuesten Projekt erzählt. In der Bibliothek der Psychiatrie ist er einem
seit Jahrhunderten verschollenen Schatz der Konquistadoren auf die Spur gekommen,
hat - wie ein professioneller Historiker - entlegene Quellen studiert und begibt
sich jetzt engagiert auf Schatzsuche. Diese seltsame Schatzsuche mit der mürrischen
Tochter und dem alten Kumpel Pepper (Willis Burks II) im Gepäck führt
über Baustellen und Golfplätze kreuz und quer durch Südkalifornien
und erregt die Aufmerksamkeit der Polizei. Doch immerhin häufen sich die
Anzeichen, dass Charlie auf der richtigen Spur ist. Schließlich steht
nur noch das meterdicke Betonfundament eines riesigen Supermarkts den Schatzsuchern
im Weg, für Charlie natürlich ein kaum der Rede wertes Hindernis,
das allerdings eine etwas unkonventionelle Auslegung der Ladenöffnungszeiten
erfordert.
Es ist hübsch anzuschauen, aber vielleicht auch
eine Spur zu vorweihnachtlich harmlos, wie hier ein zottelmähniger Freak
und seine beiden Begleiter beharrlich ihres Weges gehen und wie psychische Probleme
zur charmanten Schrulligkeit verklärt werden. Am Schluss wählt Charlie
sogar konsequent eine radikale Lösung, um nie wieder "denen ihr Spiel"
spielen zu müssen. Er wird zum echten Aussteiger, dessen Hellsicht sich
beweist, als die Tochter eines Tages ans Meer fährt und ihr dort nackte
chinesische Boatpeople entgegentaumeln. Siehe da, der amerikanische Traum, er
hat seine Anziehungskraft noch immer nicht verloren!
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der Stuttgarter Zeitung vom 15.11.2007
King
of California
USA 2007 - Regie: Mike Cahill - Darsteller: Michael Douglas, Evan Rachel Wood, Willis Burks II, Laura Kachergus, Paul Lieber, Greg Davis Jr., Angel Oquendo, Gerald Emerick, Mousa Kraish - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 93 min. - Start: 15.11.2007
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