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Klang
der Stille
Man schreibt das Jahr 1824; Titanendämmerung.
Der große Ludwig van Beethoven hat sein Œuvre fast fertig komponiert,
nur der gewaltige Schlusschor der 9. Sinfonie ist noch nicht fertig. Die junge
und hochtalentierte Konservatoriums-Absolventin Anna Holtz ist eigens nach Wien
gekommen, um die Partitur des bewunderten Meisters von Hand zu vervielfältigen.
Was nicht so schwierig wäre, wäre der egomane Beethoven nicht so ein
ausgemachtes Ekel. Im Bewusstsein, durch seine Musik direkt mit den Göttern
zu kommunizieren, behandelt der berühmte, aber bereits etwas aus der Mode
gekommene Komponist seine Zeitgenossen mit ausgesuchter Herablassung. Frauen
hätten, so Beethoven, ohnehin keinen intellektuellen Zugang zu seiner Kunst.
Doch so leicht lässt sich Anna Holtz nicht unterkriegen. Mit Engelsgeduld
sucht sie die Nähe des mittlerweile fast tauben Genies, dessen Lebensgewohnheiten
liebevoll ausgemalt werden. Beethoven verfügt nämlich nicht nur über
rabiate Umgangsformen, sondern ist auch ein Chaot, der sich manchmal kurzerhand
einen Eimer Wasser über den Kopf kippt, was die unter ihm wohnende Familie
gar nicht amüsant findet. Als schließlich die 9. Sinfonie uraufgeführt
wird, muss Anna den Komponisten beim Dirigieren bereits entschieden unterstützen,
damit das Opus tatsächlich zum erhofften Triumph wird. Denn Beethoven kann
aufgrund seiner Taubheit eigentlich nicht mehr dirigieren, weil er nur noch
die Musik in seinem Kopf hört.
„Copying Beethoven“ lautet der Originaltitel dieses
Films, womit einerseits die Kopistentätigkeit der Holtz impliziert ist,
andererseits aber auch der Moment dieser Aufführung, wenn Beethoven die
Dirigentenbewegungen der Anna Holtz kopiert, während sie seine Partitur
mit Leben erfüllt. Man kann in der Beziehung dieser beiden einmal mehr
jenes (misogyne) Modell beobachten, das Klaus Theweleit im „Buch der Könige“
beschrieben hat: „Frauen, die – girlandenartig – das Wirken so vieler schöpferischer
Männer zu umranken pflegen. Inspirierende, beseelende Gestalten, die unter
dem Namen ‚Musen‘ oder ‚Geisteslieben‘ in den Bilanzen der Wechselfälle
der Kunstproduktion geführt werden.“ Als Anna Holtz dem Meister schließlich
eine eigene Komposition vorstellt, wird er sie auf Distanz halten und verspotten.
Allerdings wird Beethoven sein Verhalten später bedauern und sich entschuldigen,
ein einziges Mal in diesem Film. Dafür wird Anna an seinem Sterbebett sitzen.
Damit die Geschichte von der Vermittlung der Ideen
eines asozialen Genies durch eine sensible Frau nicht gar zu stromlinienförmig
ausfällt, hat Regisseurin Agnieszka Holland einige Nebenkonflikte und -handlungen
eingeflochten, die weitere Aspekte von Beethovens Kunst- und Selbstverständnis
liefern. Da ist Beethovens Neffe Karl, ein verschuldeter Spieler und Tunichtgut,
der seinen ihn abgöttisch liebenden Onkel bestiehlt und dies auch noch
legitim findet, weil er von Beethoven in eine Pianistenlaufbahn gedrängt
wurde, aber seine musikalische Talentlosigkeit nicht erträgt. Da ist Annas
Verlobter Martin, ein begabter Ingenieur, der eifersüchtig beobachtet,
welche Faszination das Genie auf Anna ausübt. So changiert „Der Klang der
Stille“ zwischen Künstlerporträt, Geschlechterrollen-Drama, zeithistorischen
Anekdoten und etwas Lokalkolorit, wobei der Film sich nie so recht entscheiden
mag, was er denn nun erzählen will.
Die zentrale Frage aber lautet: Kann der Prozess
des Komponierens eine tragfähige Basis für einen Spielfilm sein? Der
deutsche Titel von Hollands Film suggeriert bereits, dass sie keinen Schritt
in die Sphäre der Kunstproduktion wollte. Beethoven, so die konventionelle
Genieästhetik, ist zwar taub, aber eigentlich ist das egal, weil man das,
was er in seinem Kopf an Musik hört, ohnehin nicht verstehen würde.
Die katastrophale Uraufführung der visionären „Großen Fuge B-Dur
op. 133“ macht dann deutlich, dass Beethoven seinen Zeitgenossen um ein gutes
Jahrhundert voraus war: Die Kunst des Maestro bleibt unverstanden. In der feinen
Wiener Gesellschaft hat Beethoven mit der „Großen Fuge“ seinen letzten
Kredit verspielt; sein Spätwerk wird im gesamten 19. Jahrhundert auf breites
Unverständnis stoßen.
Man fragt sich, auf welches Publikum „Der Klang der
Stille“ wohl zielt? Wer sich mit Beethovens Musik eingehender beschäftigt
hat, dem wird Hollands stilisierter Künstlerquark gewiss zu trivial sein.
Wer aber überhaupt keine Ahnung von E-Musik hat, dem werden einige Anekdoten
und etwas Geraune („B-Dur statt b-Moll!“) auch nicht auf die Sprünge helfen.
Dabei muss man gar nicht erst Huillet/Straubs meisterliche „Die Chronik der
Anna Magdalena Bach“ (fd 15 517) bemühen, um zu unterstreichen, wie mittelmäßig
und unentschieden Hollands Film geraten ist. Beethovens Kunst wird aus der Retrospektive
immer schon als „wertvolles, kulturelles Erbe“ präsentiert. Wenn Anna Beethoven
zum ersten Mal begegnet, sitzt dieser am Klavier und spielt, natürlich,
gerade einen „Hit“: „Seid umschlungen, Millionen!“ Auch später gibt es
stets Musik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu hören – oder nicht
einmal das: Die „Mondscheinsonate“ dient lediglich als Anlass für einen
derben Scherz Beethovens. Letztlich wird der Komponist nur als kulturelle Chiffre
angerissen; bis auf den Schlusschor der 9. Sinfonie, der natürlich Tränen
in die Augen treibt, muss sich der Zuschauer gar nicht erst von Beethovens Musik
belästigt fühlen. Es bleibt bei einer visuellen Tautologie: Siehe
da, der Komponist komponiert! Und zwar gerade seine größten Erfolge!
Vielleicht locken ja die Stars dieses letztlich doch
eher missratenen Films einige Zuschauer in die Kinos: Ed Harris als Beethoven
chargiert „den getriebenen Künstler“, was das Zeug hält und pendelt
zwischen anrührend und lächerlich. Seine exaltierte Performance ist
umso erstaunlicher, wenn man sich erinnert, wie präzise Harris seinerzeit
den Maler Jackson Pollock zu porträtieren wusste. Allerdings scheiterte
auch „Pollock“ (fd 35 446) an der entscheidenden „Leerstelle“,
am Künstlermythos des begrifflich nicht zu fassenden kreativen Akts. Diane
Kruger als Anna Holtz fungiert als freundlicher Widerpart des Genies und löst
ihre Aufgabe mit der gebotenen und durchaus angenehm anzuschauenden Zurückhaltung.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Klang
der Stille - Copying Beethoven
USA / Deutschland 2006 - Originaltitel: Copying Beethoven - Regie: Agnieszka Holland - Darsteller: Ed Harris, Diane Kruger, Matthew Goode, Ralph Riach, Joe Anderson, Nicholas Jones - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 104 min. - Start: 5.4.2007
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