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Klaras
Mutter
German Autorenfilm at it’s
most modern
oder so würden wohl die Leute der Filmzeitschrift Revolver Tankred Dorsts
Klaras Mutter (auf Deutsch) bezeichnen, Leute
wie Christoph Hochhäusler und Benjamin Heisenberg, deren selbstgemachte
Filme wie Falscher Bekenner oder Schläfer der "Berliner Schule" zugerechnet werden. In Zusammenarbeit
mit filmgalerie 451 entsteht zurzeit die Revolver-Edition. „Die Idee ist aus der Not geboren: Viele
der Filme, die uns wichtig sind, haben es schwer an der Kinokasse. Manche schaffen
es gar nicht auf die Leinwand. Die Gründe sind vielfältig. Der deutsche
Medienmarkt ist heiss umkämpft. Irgendwo muss eine Goldgrube sein. Filme,
die nicht blenden wollen, die leise sind, und genau, gehen da oft unter“, sagen
die Initiatoren. Mit Recht, findet die filmzentrale, die sich da aus ganz ähnlichen
Gründen mitärgert. Löblich und sehr begrüßenswert
war schon die Auswahl der ersten beiden für zivile 14,90 € erhältlichen
Revolver-Filme, der Einstieg schon jetzt ein Klassiker der "Berliner Schule",
Marseille von Angela Schanelec, als Zweiten Der Sohn von den Dardenne-Brüdern, beides
Filme, bei denen man sich nur darüber wundern kann, wieso die nicht schon
lange auf DVD zu kaufen waren.
Klaras Mutter nun ist ein Schritt zurück
in eine ganz andere, eher geschmähte und kaum mehr bekannte vergangene
deutsche Filmphase, die Zeit der siebziger Jahre, von der man filmisch eigentlich
nicht mehr viel erwartet hätte, außer den üblichen Verdächtigen:
Fassbinder, Herzog, Wenders, Praunheim oder einem bierensten Häuflein „linker“
Autorenfilmer, denen Pädagogik und/oder ausgestellte Betroffenheit wichtiger
waren als, sagen wir mal, das offenen cineastischen Auges sich Ausliefern an
wirklich schwer erträgliche, da schwer undogmatisch zu durchschauende Verhältnisse.
Der Film Klaras
Mutter
ist ein vom Autor, d.h. Prosa-, Bühnen-, und Drehbuchautor Dorst ursprünglich
literarisch konzipierter, dann, als seine erste Regiearbeit ein bewusst dem
Filmischen anverwandelter Stoff, spröde und bewusst als spröd belassen.
Mit viel Liebe zum historisch authentischen Detail inszeniert und stilisiert,
dabei stilistisch ein schwer einzuordnendes Werk, irgendwo zwischen Straub/Huilliet
und kühler Öko-Tragödie - falls es das Genre gibt.
Ein 1978 vom WDR fürs Fernsehen
produzierter und dabei doch leinwandtauglicher Film, in dem vieles steckt, z.B.
ein das R rollender Marius Müller-Westernhagen (noch vor Theo
gegen den Rest der Welt), der auch das wiederkehrende Gitarrenmotiv im Film komponierte.
Der Film ist eine Art Spiegelung der endsiebziger Jahre in der BRD und - als
inhaltlicher Rahmen und Spiegel - das Anklopfen des Hitler-Regimes zu Beginn
der Dreißiger auf dem fränkischen Dorfe. Die Historie bzw. das Scheitern
einer kommunistischen Zelle als Anatomie einer Utopie, und diese Utopie wiederum
als Topographie einer „Neuen Innerlichkeit“ - wenn man es nicht Rückzug
ins Private nennen will. Der Film funktioniert als Stimmungsbild vor dem Hintergrund
des „Deutschen Herbstes“, angesichts der damaligen Furcht vor dem Erstarken
eines totalitären Staates und der um sich greifenden Resignation der 68er
Generation, der Aufgabe ihrer Utopien, aber er funktioniert auch als deutsches
Sittengemälde, als Porträt kleinlicher, hässlicher Intoleranz,
die einem die Luft zum Atmen raubt, und bei deren Urbarmachung durch die Politik
der Faschismus immer die Nase vorn hat. Oder man mag Klaras Mutter zur Gänze als minimalistische Allegorie auf das 20. Jahrhundert
verstehen, als kleine Phänomenologie seiner Utopien und ihres Zerbrechens.
Dabei ist Klaras Mutter ein eher privatimer Film, der von drei Privatleuten handelt,
die sich am öffentlichen Leben reiben, die deshalb politisch auffallen,
weil sie anders, eben frei und selbstbestimmt, leben wollen:
Mutter Falk (Katharina Tüschen)
und ihre Tochter, die Lehrerin Klara (Elisabeth), ein „spätes Mädchen“,
leben in einem eheähnlichen Verhältnis zusammen, teilen sich ein Haus
und ein Bett, die Matratze liegt auf dem bloßen Boden, „weil das gesünder
ist“. Beide sind anarchistische Pazifistinnen und Vegetarierinnen, die Mutter
überzeugter, die Tochter zweifelnder, sie werden verhöhnt als „Grasfresserinnen“
(dabei sind sie eher „Graswurzelrevolutionärinnen“), aber leben einigermaßen
geduldet, und ein wenig abgeschieden von der Dorfgemeinschaft, bis eines Tages
ein polnischer „Genosse“ namens Herbert Kupka (Marius Müller-Westernhagen)
bei ihnen einzieht, ihr Leben durcheinander und das Dorf gegen sie auf bringt.
Der unstete Fleischesser Kupka
ist Katalysator, er entzündet die Liebe zu ihm und die Eifersucht beider
Frauen aufeinander und er zerstört nach und nach ihre friedlich-paradiesische
Eintracht, bis er so plötzlich verschwunden ist, wie er gekommen war. Danach
ist alles verändert. Aber warum genau, dieses und manch anderes Geheimnis
muss man dem Film Klaras
Mutter
erst einmal abgerungen haben. Ein anstrengender Film, der ohne die Mitarbeit
des Zuschauers nicht aufgeht, der trotzdem in sich ruht, der sicherlich in den
Kanon jener vom Revolver apostrophierten unbekannten stillen und detaillierten
Werke gehört, aber mit seiner unentrinnbaren Kargheit vielleicht den einen
oder anderen Geduldsfaden zum Zerreißen bringen mag, bevor der Abspann
gekommen ist.
Wem nun der Film bohrende Fragen
nach weiteren immanenten Qualitäten introjiziert haben mag, der wird im
einblättrigen Cover außer ein paar Regisseurs-Notizen keine Antworten
finden. In der kommenden Ausgabe (2/07) der Halbjahreszeitschrift Revolver aber
umso mehr, und das ist der Trick, mit dem man Neu-Abonnenten wirbt. Ich jedenfalls
bin vorgestern einer geworden und ich bereue nichts. Für mich steht in
Revolver das Aufregendste, was man deutschsprachig und zurzeit – gedruckt -
über Filme lesen kann...
Andreas Thomas
Klaras
Mutter
Deutschland
1978
s/w,
FSK: 6, 103 min.
Regie
und Buch: Tankred Dorst
Kamera:
Dietrich Lohmann
Darsteller:
Katharina Tüschen, Elisabeth Schwarz, Marius Müller-Westernhagen,
Dieter Kirchlechner
DVD-Daten:
codefree, Ton DD 2.0, Bild 4:3
Sprachen:
deutsch Untertitel: englisch
DVD
14,90 Euro
Bestellnummer:
45374
EAN-Code:
9783937045740
ISBN:
978-3-937045-74-0
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