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Mein
Stern und
Klassenfahrt
Ganz
nah ist die Kamera von Janne Busse an ihren Protagonisten, fast wirkt es, als
wäre sie ebenso im Wasser des Schwimmbades wie das Dreiergespann aus Ronny
(Steven Sperling), Isa (Sophie Kempe) und Marek (Bartek Blaszczyk). Der Ausgangspunkt
der Geschichte ist schnell erzählt: Klassenfahrt nach Polen. Einzelgänger
Ronny ist verliebt in Isa, Isa lernt den Einheimischen Marek kennen, von da
ab verbringen die drei ihre Zeit gemeinsam, zwischen ihnen immer die gespannte
Atmosphäre der Konkurrenz der beiden Jungen um Isa.
Nicht
nur an einer Stelle erinnert Henner Wincklers „Klassenfahrt“ an Valeska Grisebachs
Debutfilm „Mein Stern“. Beide arbeiten mit Laienschauspielern, und in beiden
übertreffen diese ungelernten jungen Darsteller viele ihrer professionellen
Kollegen um Längen. In beiden Filmen schafft es die Regie, mit Hilfe der
großartigen Darsteller und der intimen Handkamera eine filmische Welt
zu schaffen, der es gelingt, jugendliche Liebe mit enormem Einfühlungsvermögen
und dennoch bestechender Leichtigkeit zu erzählen. Die Leichtigkeit ist
es jedoch auch, die „Klassenfahrt“ ganz im Gegensatz zu „Mein Stern“ im Laufe
der Handlung langsam verliert.
„Mein
Stern“ beschäftigt sich über die ganze Länge hin mit wenigen
Handlungssträngen, mit den frisch Verliebten und wieder getrennten, mit
jenen, die zum ersten Mal im Leben Verantwortung übernehmen und den nicht
zum letzten Mal enttäuschten, und diese Konzentration auf wenige Emotionen
verleiht dem Film auch seine besondere Intensität und erlaubt es, gleichzeitig
leicht und tiefgründig zu ein. Christopher Schöps und Nicole Gläser
spielen in „Mein Stern“ die gleichnamigen Protagonisten, und es ist wohl gerade
ihre Unerfahrenheit mit der Schauspielerei, die sie so natürlich wirken
läßt, dass man beinahe einen dokumentarischen Eindruck bekommen könnte,
wären da nicht die stilbewusst durchkomponierten Bilder von Kameramann
Bernhard Keller, der mit minimalen Mitteln eindrucksvolle Arrangements auf die
Leinwand zaubert, so etwa, wenn Schöps, wie er auch im Film genannt wird,
in einer der schönsten Szenen des Films lange Zeit über vor einem
diagonal klar in zwei verschiedene Farben geteilten Hintergrund tanzt.
„Klassenfahrt“
ist in Bezug auf sein Buch durchaus anders: Nach anfänglicher Konzentration
auf die Klasse, um die es geht, wendet sich der Film immer mehr seinem eindeutigen
Protagonisten Ronny zu, begleitet ihn auf seinen Wegen rund um das Ausflugsziel
der Klasse, einen tristen Plattenbau am polnischen Strand. Auch das Drehbuch
geht in „Klassenfahrt“ schnell weiter als in „Mein Stern“: Die Konkurrenz zwischen
Marek und Ronny wird ausführlich dramatisiert, bis sich die Spannung in
der immer unvermeidlicher werdenden Konfrontation der beiden angenehm unspektakulär
inszeniert entlädt.
Welcher
der beiden Ansätze besser funktioniert ist schwer zu sagen. „Klassenfahrt“
in seiner vielschichtigen Analyse einer Konfliktsituation in der Umgebung einer
wunderbar eingefangenen Ostblocktristesse, oder „Mein Stern“ in seiner menschlichen,
angenehm unaufdringlichen Heiterkeit. Beides sind großartige Filme, deren
bloße Existenz - wenn auch beide an viel zu wenigen Tagen in viel zu wenigen
Kinos zu sehen waren - ein Lebensbeweis des deutschsprachigen Kinos ist. In
Filmen wie diesen liegt eine mögliche Zukunft des deutschen Films, die
Darstellung von alltäglichen Situationen und solchen, die sich an den Abgründen
des Alltags abspielen, funktioniert - insbesondere mit Laiendarstellern - bereits
seit Fassbinders „Warum
läuft Herr R. Amok?“
ganz vorzüglich.
Auch
die Befreiung der Kamera von ihren schwerfälligen Schienen und Kränen
in die Hand des jeweiligen Kameramannes trägt zu der enormen Wirkung bei,
die von „Klassenfahrt“ und „Mein Stern“ ausgeht. Die Kamera wirkt, wie in der
eingangs beschriebenen Szene oftmals weder als Eindringling noch als Voyeur,
sondern tatsächlich als gleichberechtigter Akteur neben den Darstellern,
der an deren Leben teilnimmt und gerade durch diese Teilnahme ihre Schicksale
so lebendig, so dreidimensional und so anrührend werden läßt.
Valeska Grisebach und Henner Winckler haben zwei wunderbare Filme geschaffen.
Hoffen wir, daß sie in Zukunft, und sei es nur durch wiederholte Fernsehausstrahlung,
mehr Menschen zugänglich werden, als dies bisher der Fall war.
Benjamin
Happel
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Zu
"Klassenfahrt" gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Seit dem 15.10.2007 gibt es bei der filmgalerie 451(www.filmgalerie451.de ) endlich die "Klassenfahrt"-DVD mit einem Interview-Auszug mit dem Regisseur (aus Revolver, Heft 11, www..revolver-film.de) und mit drei schönen Kurzfilmen von Henner Winckler. (A. Thomas)
Mein
Stern
Österreich
/ Deutschland 2001 - Regie: Valeska Grisebach - Darsteller: Nicole Gläser,
Christopher Schöps, Monique Gläser, Jeanine Gläser, Christina
Sandke, Anika Jahn, Sebastian Rinka, Daniel Zühlke, Paul Skibbe - FSK:
ab 6 - Länge: 65 min. - Start: 3.1.2002
Klassenfahrt
Deutschland
2002 - Regie: Henner Winckler - Darsteller: Sophie Kempe, Steven Sperling, Bartek
Blaszczyk, Maxi Warwel, Jakob Panzek, Fritz Roth - FSK: ab 12 - Länge:
85 min. - Start: 26.9.2002
Klassenfahrt. DVD-Daten: codefree, Dolby SR, Bild 16:9, Sprachen: deutsch/polnisch / Untertitel: englisch
Extras: Biographie von Henner Winckler, Kinotrailer, 3 Kurzfilme von Henner Winckler: TIP TOP (14min.), POOL (8:40min.), DARLINGS (4:50min.)
empf. VK: 19,90 EUR, Bestellnummer: 45373, EAN-Code: 9783937045733, ISBN: 978-3-937045-73-3
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