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Die
Klasse von ’99
Vor
drei Jahren brachte Marco Petry, frisch von der Filmhochschule kommend, sein
Kinodebüt „Schule“ auf die Leinwand – ein Teenie-Film, den Kritikerkollegen,
die niemals jung waren oder schon lange vergessen hatten, dass sie es mal waren,
als oberflächlich und banal bezeichneten. Womit sie ironischerweise sogar
recht hatten, nur nicht so, wie sie dachten: Natürlich war „Schule“ irgendwie
banal, aber das war ja das Schöne daran. Ein Film, der die trivialen Kleinigkeiten
des Schul- und Teenie-Alltags einfing, wie es noch kein deutscher Film wirklich
getan hatte (oder für nötig befunden hatte?), und sich ergo eine zwar
junge, aber sehr dankbare Fangemeinde aneignete. Petry indes bescheinigte sich
selbst ein unaufdringliches, aber sehr gutes Auge für die kleinen Details,
die aus einem simplen Filmszenario ein Stück Realität machen.
Drei
Jahre später kommt nun „Die Klasse von ’99“, Petrys zweiter Film, und konsequenterweise
sind seine Figuren auch drei Jahre älter geworden, das Grundszenario ist
aber immer noch dasselbe: Junge deutsche Menschen zwischen sorgloser Jugend
und dem Ernst des Lebens. Doch während „Schule“ noch recht ungezwungen
in der (letzten) Freiheit des Teenagerseins baden konnte, wird der Tonfall nun
schon deutlich ernster. Denn für die Protagonisten in Petrys Zweitwerk
ist das Erwachsen-werden-Müssen kein Problem in der Ferne, sondern im Jetzt
und Hier.
Die
zentrale Figur ist Felix (Matthias Schweighöfer aus „Soloalbum“), der nach
kurzer Abwesenheit für den Rest seiner Polizeiausbildung in sein Heimatkaff
nahe der holländischen Grenze zurückkehrt, und dort alles mehr oder
weniger wie vorher vorfindet. Sein bester Freund Sören (GZSZ-Veteran Tim
Sander) dealt nach wie vor mit Dope, inzwischen allerdings in größerem
Rahmen, und zu seinen besten Kunden zählen die alten Cliquen-Kumpel Schmidt
(Axel Stein) und Hausschild (Thomas Schmieder). Alles wie früher, zurück
in die unbeschwerten Zeiten mit den Jungs. Oder auch nicht. Langsam wird klar,
dass die Sorglosigkeit vorbei ist, dass die Jungs nicht die alten Zeiten fortleben,
sondern in ihnen fest hängen, und dass früher oder später die
Erkenntnis einsetzen muss, dass es so nicht weiter geht. Als Sören seinen
besten Freund Felix bittet, seinen Job bei der Polizei zu nutzen, um ihm wertvolle
Tipps für einen sicheren Drogenschmuggel über die Grenze zu geben,
ist das zunächst eine Selbstverständlichkeit. Doch bald verschwimmen
die Grenzen zwischen Pflichtbewusstsein und Freundschaftsdienst, und Felix muss
mehr als eine wichtige Entscheidung treffen.
Das
mag soweit ein bisschen schwammig klingen, was einerseits daran liegt, dass
natürlich nicht zuviel vom Inhalt verraten werden soll, andererseits aber
auch daran, dass es einfach schwammig ist. Auch wenn Petry seine Stärken
der genauen Beobachtung hier wieder bestens zur Schau stellt – wo er mit seiner
Geschichte hin will (bzw. was seine Geschichte eigentlich ist) bleibt viel zu
lange viel zu unklar. Ähnlich eintönig und ereignislos wie das Kleinstadtleben
seiner Protagonisten dümpelt der Film wenig zielgerichtet vor sich hin,
um dann ausgerechnet durch einen Plot-Katalysator in Gang gesetzt zu werden,
der gänzlich an den Haaren herbei gezogen wirkt. Ein tragischer Unfall
soll die verstopften Köpfe der Freunde frei räumen, löst indes
zunächst nur Verwirrung beim Zuschauer aus, der von diesem beliebig erscheinenden
Ereignis überrumpelt, aber nicht ergriffen wird.
Weiterhin
tut sich Petry keinen Gefallen damit, ausgerechnet das sattsam bekannte Story-Gerüst
des Polizisten mit dem kriminellen besten Freund zu benutzen. Das riecht zu
sehr nach Klischee und ist eine etwas dürftige Lösung für einen
Regisseur/Autor, der sich ansonsten als solch ein guter Analytiker der jungen
Archetypen von Kleinstadt-Deutschland erweist.
Denn
hier ist es, wo Petry wieder einmal kräftig punktet: Die Kleinigkeiten
stimmen einfach. Das poserhafte Gehabe eines harmlosen Möchtegern-Prolls
wie Schmid (Axel Stein erweist sich einmal mehr als stilles Schauspiel-Wunder
mit den besten Sprüchen), die Abhänge-Wohnung von Sören, das
Kaff mit dem einen einzigen Laden, in den man weg gehen kann – ganz genau wie
bei „Schule“ wird hier jeder Zuschauer, der auch nur ansatzweise etwas ähnliches
durchlaufen hat, in der einen oder anderen Form viel Bekanntes wieder finden
können.
Im
Gegensatz zu „Schule“ kann sich „Die Klasse von ’99“ allerdings nicht mit Verallgemeinerungen
davon stehlen, da der Film einfach nach komplexeren Figuren verlangt und die
Probleme von jungen Leuten Anfang Zwanzig eben nicht mehr so pauschal gefasst
werden können wie von den 16-19jährigen aus Petrys Debüt.
Ebenfalls
stößt es schon etwas sauer auf, wenn zum Beispiel die Rolle von Sörens
Freundin Simona (Anna Bertheau aus „Wie Feuer und Flamme“) so kurz ausfällt,
dass man sie auch gleich hätte weglassen können – wenn nicht gerade
die Tatsache, dass sie Felix’ ewiger Jugendschwarm war noch das alte Süppchen
aufkocht, dass hier für ein Mädel Vertrauensbruch unter Freunden begangen
wurde. Die eingestreuten Gastauftritte der halben Belegschaft von „Schule“ sind
nett gemeinte Side-Gags, aber schlussendlich auch irgendwie überflüssig,
da der Film an diesen Stellen eher wie ein lustiges Klassentreffen wirkt und
sich somit ins eigene ernsthafte Fleisch schneidet.
Trotz
vieler Mankos, unausgegorener Subplots und unglücklicher Storyführung
hinterlässt „Die Klasse von ’99“ dennoch seine Wirkung. Die konsequent
verhangene Stimmung (man kann sich nachher nicht entsinnen, dass im Film einmal
die Sonne geschienen hat) dokumentiert subtil, aber deutlich den Kater nach
der durchfeierten Jugend, wenn man sich mit Händen und Füßen
dagegen wehrt, dass die Dinge anders werden müssen – und sich diese Notwendigkeit
trotzdem nicht ändern lässt. Petry inszeniert die Qual des Erwachsen-werden-Müssens
quasi in Zeitlupe, und macht sie so umso spürbarer. So gesehen ist „Die
Klasse von ’99“ eine konsequente Fortführung von „Schule“, allerdings anders
als es der Verleih mit dem stupiden Untertitel („Schule“ war gestern – Leben
ist jetzt!) zu suggerieren versucht: Hier wartet nicht mehr Spaß, mehr
Leben, mehr alles, sondern nur die ernüchternde Erkenntnis, dass die besten
Jahre vielleicht wirklich schon vorbei sind. Das mögen manche Kritikerkollegen
wieder als banal abstempeln. Aber immerhin macht Marco Petry wenigstens Filme,
in denen man sich wieder finden kann. Und dafür kann man auch nochmal Danke
sagen.
Wertung:
6 von 10
Frank-Michael
Helmke
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: www.filmszene.de
Die
Klasse von ’99: „Schule“ war gestern – Leben ist jetzt!
BRD
2003
Regie:
Marco Petry
Drehbuch:
Marco Petry
Cast:
Matthias Schweighöfer, Tim Sander, Anna Bertheau, Axel Stein, u.a.
Laufzeit:
93 Minuten
Bundesstart:
30.10.2003
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