zur startseite
zum archiv
Der kleine Cäsar
Die zwanziger Jahre läuteten
eine Umbruchszeit in der amerikanischen Kultur und Gesellschaft ein. Vom weltpolitischen
Geschehen hatte man sich weitgehend gelöst. Dennoch war das Land um die
Jahrhundertwende einem großen Einwandererstrom ausgesetzt gewesen. Die
Bevölkerungszahl wuchs und mit ihr die Kluft zwischen Arm und Reich. Der
Urbanisierungsprozess befand sich auf dem Höhepunkt. Die Städte entwickelten
sich zu Schmelztiegeln aus Kulturen und Sprachen und bildeten Anziehungspunkte
für ambitionierte Leute aus allen Schichten der Gesellschaft. Die Aufbruchstimmung
war spürbar, der Fortschritt war das Gebot der Stunde. Der Glaube an soziale
Mobilität war immanent, aber er brachte auch Zweifel, Verunsicherung, Anonymität
und Isolation. Die Stadt war nicht nur ein Ort, an dem man aufsteigen konnte
– er war auch einer, an dem man fallen, an dem man untergehen konnte. Die Städte
waren auch Brennpunkte sozialer Probleme, die Ungleichheit und damit Unruhen
zur Folge hatten. Die Prohibition, die 1920 über das Land verhängt
wurde, bildete ein zusätzliches dynamisches Moment. Schmuggel und Bandenkriminalität
breiteten sich aus. Das Verbrechen boomte und begann bald, feste Strukturen
auszubilden – die Prohibition hatte die organisierte Kriminalität nach
Amerika gebracht.
Das wirkte sich auch auf die Kultur
aus. Vor allem die Filmlandschaft wurde dadurch nachhaltig geprägt. Der
Kriminalfilm wurde zu einem bedeutsamen Spiegel der gesellschaftlichen Situation.
Dabei standen jedoch zunächst Polizisten und die Opfer von Verbrechen im
Mittelpunkt. Das sollte sich Ende der Zwanziger schlagartig ändern. Mittlerweile
hatte der große Börsencrash das Land in ein wirtschaftliches Chaos
gestürzt, von dem auch der Rest der Welt nicht verschont blieb. Das Elend
grassierte, Leute verhungerten hilflos auf den Straßen. Die Depression
hatte das Land im Griff. Und in Chicago war ein Mann berühmt geworden,
der sich aus der Gosse nach oben gearbeitet hatte: Al Capone – ein Name,
der untrennbar mit den zwanziger Jahren und der Zeit der Prohibition verbunden
ist. Das von ihm inszenierte „St.Valentine’s Massacre“ von 1929 ist noch immer
Teil der amerikanischen Geschichte. Schlagartig wurde den Leuten bewusst, dass
das organisierte Verbechen schon längst keine Marginalie mehr war – es
war ein Phänomen von erschreckenden Ausmaßen geworden. Al Capone
gab dem Verbrechen ein Gesicht. Aber wer war dieser Mann? Was war seine Geschichte?
Fragen, die auch an der Filmwelt nicht spurlos vorübergingen, denn auf
einmal standen nicht mehr die Gesetzeshüter im Mittlepunkt, sondern deren
Gegner. Der Gangsterfilm war geboren.
Dabei stach ein Werk besonders
hervor, ein Film, der zwar mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln gedreht
worden war, der sich aber nichtsdestotrotz als genrebildend herausstellen sollte:
Mervyn LeRoys „Little Caesar“, der 1930 veröffentlicht wurde und umgehend
zum Kassenschlager avancierte. Ihn zeichnete eine Besonderheit aus: obwohl er
nicht der erste Tonfilm war, der im Gangstermilieu spielte, verwendete er eine
Sprache, die bis dato in Filmen nicht zu hören gewesen war. Er brachte
den Slang der Gosse, der Unterwelt in die amerikanischen Kinos – authentisch
und ehrlich, ohne romantische oder poetische Verklärungen. Für seine
Zeit war er hart, wenngleich er auf die explizite Darstellung von Gewalt verzichtete.
Er deutete sie an, ohne sie zu verharmlosen. Er erschien, und das war das grundweg
Neuartige, durch und durch realistisch.
Der Plot des Films beruhte auf
dem gleichnamigen Roman von W.R. Burnett, dessen Protagonist klare Parallelen
zu Al Capone aufwies, auch wenn er nicht ausschließlich auf dessen Biografie
basierte. Der Film reflektierte den Aufstieg und Fall eines Kriminellen und
wurde so zur Blaupause für jedweden Gangsterfilm, der in Hollywood fortan
gedreht wurde – bis zum heutigen Tag. Die Hauptfigur, Enrico "Rico"
Bandello (alias „Little Caesar“), wurde von Edward G. Robinson gespielt, der
über Nacht zum Star wurde.
Schon der Anfang des Films, eine
Visitenkarte mit dem Bibelzitat „...for all they that take the sword shall perish
with the sword“, nimmt die Handlung vorweg. Ein Auto fährt vor einer Tankstelle
vor, bleibt stehen. Einer steigt aus, stößt den Tankwart in sein
Häuschen. Das Licht geht aus, drei Schüsse fallen. Der ruchlose Mörder
kommt aus dem Tankhäuschen heraus und steigt schnell in den Fluchtwagen,
der davonrast. Die nächste Szene zeigt die Täter in einem Diner. Der
Schütze ist Enrico Bandello, der Fahrer sein enger Freund Joe Massara (Douglas
Fairbanks Jr.). Der Blick fällt auf die Schlagzeile einer Zeitung: „Underworld
pays respect to ‚Diamond’ Pete Montana“ – ein Satz, der Rico inspiriert und
zum Nachdenken bringt: „Diamond Pete Montana. He doesn't
have to waste his time on cheap gas stations. He's somebody. He's in the big
town, doing things in a big way. And look at us, just a couple of nobodies,
nothin'.” Schon
in diesen ersten Sätzen wird klar, wie ambitioniert und energisch Rico
ist. Er will sich nicht mit seinem Dasein begnügen, sondern hoch hinaus:
“I could do all the things that fella does, and more, only I never got my chance.”
“Big” und “ being
somebody” spielen eine wichtige Rolle in Ricos Vokabular. Sie markieren das,
was er erreichen will, was er sein will. Er strotzt vor Tatkraft und Selbstvertrauen,
scheint vor nichts und niemandem Angst zu haben und hat gleichzeitig die nötige
Skrupellosigkeit, die es in seinem Geschäft braucht: „Why, what's there
to be afraid of? And when I get in a tight spot, I shoot my way out of it. Why
sure. Shoot first and argue afterwards. You know, this game ain't for guys that's
soft!”
Enrico Bandello erscheint in diesen
Momenten des Films als Produkt seiner Zeit – er ist der wirtschaftlichen Situation
genauso ausgesetzt wie seine Landsleute. Nur während für die meisten
von ihnen der amerikanische Traum als Illusion erscheint, ist er für Rico
erreichbar. Die gesellschaftliche Moral war zu jener Zeit gebrochen, gelockert
– man konnte den Traum leben; man musste nur einen Schritt außerhalb des
Gesetzes wagen. Das hatte Rico schon längst. Diamond Pete Montana – das
war der amerikanische Traum für ihn und er wusste, dass er greifbar war,
dass die Traumwelt nicht verwaist war, wenn man nur hatte, was es dafür
brauchte. Geld und Reichtum erscheinen dabei für Rico nur als Nebenprodukte
– Ansehen und Ruhm sind die Dinge, nach denen er strebt. Rico
möchte sich selbst in jener Zeitung sehen: „Yeah, money's all right, but
it ain't everything. Yeah, I'll be somebody. Look hard at a bunch of guys and
know that they'll do anything you tell 'em. Have your own way or nothin'. Be
somebody.“ Sein Ziel ist dabei klar: „the big city”, die nie genannt wird, „where things
break big“. Sein Freund
Joe hat ähnliche Pläne, wenn auch auf einem anderen Sektor. Er träumt
davon, ein erfolgreicher Tänzer zu werden – eine Idee, mit der der toughe
Rico nicht viel anfangen kann ("I don't want no dancin'. I'm figurin' on
makin' other people dance!"). Er heuert schon bald bei der Bande eines
Kleinkriminellen, Sam Vettori (Stanley Fields), an, von dem er auch seinen neuen
Spitznamen „Little Caesar“ erhält. Er steigt schnell in der Hierarchie
auf, wenngleich er sich mit seiner aggressiven und ungezügelten Art, die
ihn oft unbedacht zu seiner Schusswaffe greifen lässt, wenig Freunde macht.
Auch die Unstimmigkeiten mit Vettori nehmen zu, als Rico einen geplanten Überfall
auf den Spielclub „Bronze Peacock“ in seine Hand nehmen und seinen Freund Joe,
der dort mitlerweile als Tänzer arbeitet, als Informanten verwenden will.
Joe, der eine Romanze mit der Tänzerin Olga Strassoff (Glenda Farrell)
angefangen hat, gefällt Ricos Plan nicht, er denkt ans Aussteigen – aber
er ist hin- und hergerissen („You can't go back on the gang“), bis ihn Rico
doch überredet, mitzumachen („You're gonna be in on this and you'll like
it!“).
Bei dem Überfall läuft
jedoch nicht alles rund. Rico erschießt den neuen Polizeichef McClure
(Landers Stevens) – eine folgenschwere Tat, die für viel Wirbel sorgt,
aber nichtsdestotrotz (im sprichwörtlichen Sinn) den Startschuss für
Ricos Karriere darstellt. Als ihn Vettori für sein kopfloses Verhalten
zur Rechenschaft ziehen will, setzt sich Rico endgültig über ihn hinweg
(„I've been takin' orders from you too long.“), die Gangmitglieder stellen sich
auf seine Seite. Als Rico erfährt, dass der Fahrer des Fluchtwagens, Tony
Passa (William Collier Jr.), der von Gewissenbissen geplagt, seine Mitschuld
an dem Mord einem Priester beichten will, zögert Rico keine Sekunde – kaltblütig
erschießt er Tony auf dem Treppenaufgang zur Kirche. Von diesem Augenblick
an, sind Ricos Aufstieg, so meint man, keine Grenzen gesetzt. Einzig Sergeant
Tom Flaherty (Thomas Jackson), der „Little Caesar“ ständig im Auge hat,
kann ihm gefährlich werden – doch der hat keine Beweise gegen Rico in der
Hand (zumal dieser von Joe gedeckt wird). Mervin LeRoy erzählt diesen Aufstieg
episodenweise – so wie Rico Sprosse um Sprosse die Karriereleiter hinaufsteigt,
so folgen die Szenen des Films aufeinander und stellen mit jedem neuen Abschnitt
einen weiteren Karrieresprung seines Protagonisten dar.
Tatsächlich wird zu Ricos
Ehren bald ein Festbankett abgehalten. Er hat sein Ziel erreicht, selbst sein
Idol aus den Anfangsszenen des Films, Diamond Pete Montana, wohnt dem Festessen
bei – genauso wie Vertreter der Presse, für die Rico allzu bereitwillig
posiert (nachdem er sich gründlich die Haare gekämmt hat) – Montana
hingegen hält sich lieber im Hintergrund („I haven't had my picture taken
in the last fifteen years."). Bei dem Fest selbst ist
Rico ansonsten zurückhaltend. Er ist kein Mann großer Worte, seine
Dankesrede stammelt er herunter und auch Alkohol rührt er nicht an. Er
gibt sich keinen weltlichen Genüssen hin, sondern ist einzig auf seinen
persönlichen Erfolg und Aufstieg fokussiert, der ihm langsam zu Kopf steigt.
Sein ohnehin ausgeprägtes Ego vergrößert sich dadurch noch.
Sgt. Flaherty etwa tritt er hochmütig und arrogant entgegen („The downstairs
is open to anybody, even cops, but the upstairs is private”) – der zeigt sich
jedoch unbeeindruckt („I like to see a young fellow getting up in the world.
That's all.”).
Wodurch sich Rico in diesem Teil
des Films auszeichnet, ist seine Individualität. Er kennt weder Normen,
noch Regeln. Er ist ein Einzelgänger, einer der stur seinen Weg verfolgt
und sich dabei von niemandem beeindrucken lässt – gerade daraus leitete
sich die Faszination ab, die ein Charakter wie Enrico Bandello auf die amerikanische
Gesellschaft jener Zeit ausüben musste. Am Tag nach dem Fest hat er endlich
sein Ziel erreicht, er ist in der Zeitung: „’Little Caesar’ Bandello given testimonial
by followers“. Als er sich in seiner Eitelkeit zehn Exemplare der Zeitung an
einem Straßenstand kauft, wird er von den Leuten eines rivalisierenden
Gangsters, Arnie Lorch (Maurice Black), angeschossen – nicht allen gefällt
sein Aufstieg. Doch Rico wäre nicht Rico, wenn er sich dadurch beirren
ließe. Kurzerhand rechnet er mit Lorch ab, der die Stadt verlässt
und sein Gebiet an Rico übergibt („If you ain't out of town by tomorrow
morning, you won't ever leave it except in a pine box. I'm takin' over this
territory.”).
Rico steigt weiter auf, doch die
Gefilde, in denen er sich nun bewegt, entsprechen nicht mehr seiner Kragenweite.
Bald wird er vom „Big Boss“ (Sidney Blackmer), der die Unterwelt der Stadt regiert,
eingeladen. In seinem feinen Anzug fühlt er sich merklich unwohl, der Prunk
der Villa des „Big Boss“ macht jedoch einen bleibenden Eindruck auf ihn, auch
wenn er die Luxusartikel nicht schätzt – achtlos ascht er seine Zigarre
auf einen großen Teppich. Der Unterweltboss macht ihm schließlich,
um einen anderen berühmten Unterweltpatriarchen zu zitieren, ein Angebot,
das er nicht ablehnen kann – er soll das Territorium von Pete Montana übernehmen
(„Suppose I were to tell you that from now on, you were Pete Montana. That
you were to take over his territory in addition to your own.
Would you shake on it?”).
“Little Caesar” ist am Ziel seines amerikanischen
Traums, den er, wie eine weitere Visitenkarte in Großaufnahme zu erzählen
weiß, voll auskostet: „Rico continued to take care of himself, his hair
and his gun - with excellent results“.
Doch nichts wärt ewig – auch
Ricos Erfolgswelle nicht. Und nicht mal, und das wiegt schwerer, die Freundschaft
zu Joe. Als Rico erfährt, dass Flaherty einem Sänger auf der Spur
ist, der den Mörder des Polizeichefs identifizieren könnte, lässt
er seinen Freund zu sich kommen. Mitlerweile hat sich Rico einen Habitus zugelegt,
der an den „Big Boss“ erinnert. Doch seinen alten Freund kann er damit wenig
beeindrucken – Joe will endgültig aus dem Gangstergeschäft aussteigen.
Der Grund dafür ist vor allem Olga, die er wirklich liebt („I love her.
We're in love with one another. Doesn't that mean nothin' to ya?”).
Doch mit diesem Argument
stößt er bei Rico auf taube Ohren („Nothin'. Less than
nothin'. Love! Soft stuff! When she's got you, you ain't no good for
anything. We ain't out of this yet. Now we don't want no softies spilling things.”).
Rico, der, so scheint
es zumindest, sein ganzes Leben nichts für Frauen übrig hatte, erscheint
in diesem Moment verletzlich. Er ist eifersüchtig, ängstlich, seinen
engen Freund ausgerechnet an eine Frau zu verlieren. Seinen engen Freund, mit
dem ihn vielleicht mehr verbindet als nur Freundschaft – tatsächlich haben
in der Vergangenheit einige Kritiker auf eine homerotische Beziehung zwischen
Rico und Joe hingedeutet, oder zumindest Ricos Interesse daran. Auch wenn Zeichen
dafür vorhanden sind, so scheint Ricos Selbstwertgefühl für ihn
stärker zu sein als jedwede Sympathie. Joe mag der einzige Mensch sein,
der ihm in seinem Leben je etwas bedeutet hat, doch was Rico zuallererst und
vor allem Anderen gelten lässt, ist sich selbst. Er kann es nicht mit seinem
Macho-Ego vereinbaren, von einer Frau verdrängt zu werden („I ain't layin'
off of her. I'm after her. One of us is gonna lose and it ain't gonna be me.
There's ways
of stoppin' that dame.“). Auch in dieser Hinsicht erscheint Ricos Figur für
den amerikanischen Gangsterfilm stilprägend – wenngleich dieser Punkt wenig
schmeichelhaft ist.
Joe bricht mit Rico. Olga überredet
ihn schließlich Sgt. Flaherty einzuschalten, doch das scheint zu spät,
als Rico mit einem seiner Schergen, Otero (George E. Stone), in Olgas Wohnung
aufkreuzt, um mit seinem alten Freund abzurechnen. Doch Rico ist innerlich gebrochen
– den Verrat seines Freundes kann er nicht verarbeiten. Er bringt es nicht übers
Herz, Joe zu erschießen – als Otello auf Joe anlegt, schlägt er dessen
Pistole zur Seite. In der Zwischenzeit ist die Polizei eingetroffen. Während
Rico die Flucht gelingt, wird Otero erschossen. Ausgerechnet sein bester und
einziger Freund hatte den Fall des „kleinen Caesar“ verschuldet – oder vielmehr
Ricos Unfähigkeit ihn an eine Frau „abzugeben“. Bezeichnend kommentiert
er seinen Fall: „This is what I get for liking a guy too much!” – ein Satz,
der tatsächlich in besonderer Weise ein homoerotisches Element in seiner
Freundschaft zu Joe zum Ausdruck bringt.
Ricos Karriere ist ruiniert. Er
versteckt sich in einem kleinen Hinterzimmer – über Monate hinweg: „Months
passed -- Rico's career had been like a skyrocket -- starting from the gutter
and returning there." Der amerikanische Traum ist ausgeträumt. Der
tragische Held ist gefallen. Diese Hybris – ein aufsteigender Gangster, der
sich seinen Weg nach oben ergaunert, um schließlich an Selbstüberschätzung
und einer persönlichen Schwäche zugrunde zu gehen – wurde seither
in gleicher Weise in unzähligen anderen Gangsterfilmen verarbeitet. Doch
nur selten mit einer ähnlichen moralischen Botschaft wie in „Little Caesar“.
In einer Zeit der sozialen Unruhe und Verunsicherung, als die moralischen Maßstäbe
der Gesellschaft hinterfragt wurden, präsentierte LeRoys Film nicht nur
einen Mann, der versucht, den amerikanischen Traum durch illegale Mittel zu
erreichen, sondern auch einen, der letztendlich damit nicht durchkommt – das
gesellschaftliche Gleichgewicht, der Status Quo, so die Botschaft des Films,
muss auch in schlechten Zeiten gewahrt werden. Verbrechen zahlt sich nicht aus.
Es waren nicht die Zeiten für einen erfolgsverwöhnten Individualisten
wie Enrico Bandello. Doch er musste nicht nur fallen, um diese Botschaft zu
vermitteln – er musste an seiner Selbstüberschätzung und seinem Hochmut
sterben.
Sgt. Flaherty, der Ricos Schwächen
mittlerweile genau kennt, gibt schließlich einen Zeitungsartikel heraus,
in dem er „den kleinen Caesar“ als Feigling verhöhnt – eine Beleidigung,
die ein Rico Bandello nicht auf sich sitzen lassen kann. Wutentbrannt ruft er
Flaherty an, um seine Rache anzukündigen („This is Rico speaking. Rico!
Little Caesar, that's who! Listen, you crummy, flat-footed copper, I'll show
you whether I've lost my nerve and my brains!“) – ein Telefonat, das zurückverfolgt
wird. Auf der Flucht
vor der Polizei verschanzt sich Rico schließlich hinter einem großen
Werbeplakat, das ausgerechnet eine Tanzshow seines ehemaligen Freundes Joe und
dessen Freundin Olga ankündigt. Nicht gewillt, sich zu ergeben, wird Rico
hier schließlich, durch das Plakat hindurch, von Flaherty erschossen.
Der Gangster hat verloren, sein Freund, der dem Verbrechen den Rücken gekehrt
hatte, hat gewonnen. Mit seinem letzten Atemzug flüstert Rico seine berühmten
letzten Worte: „Mother of Mercy! Is this the end of Rico?“. Das war es. Aber
es war der Auftakt einer Reihe von Gangsterfilmen, die die Filmgeschichte grundlegend
geprägt haben, so wie etwa „Public Enemy“ (1931) oder „Scarface“ (1932)
– Filme, die im Jahre 1934 durch den Hays Production Code aus dem Verleih genommen
wurden, um erst in den 50er Jahren wieder auf den Markt zu kommen. Letztendlich
hatte sich der Gangsterfilm, der den Verbrecher zum Protagonisten erhob und
ihn dabei nicht selten romantisierte, als nicht tragbar für die damalige
Gesellschaft erwiesen.
„Little Caesar“ war ein Film,
der das amerikanische Kino für immer prägte und veränderte. Ein
bedeutendes Zeitdokument – damals wie heute. Ein Film, der zählt.
Christopher Schliephake
Der kleine Cäsar
LITTLE CAESAR
USA - 1930 - 80 min. - Erstaufführung: 2.3.1970 ZDF - Produktion: Hal B. Wallis
Regie: Mervyn LeRoy
Buch: Robert N. Lee, Francis Edward Faragoh (ungenannt),
Darryl F. Zanuck, Robert Lord
Vorlage: nach einem Roman von William Richard Burnett
Kamera: Tony Gaudio
Musik: Erno Rapee
Schnitt: Ray Curtiss
Darsteller:
Edward G. Robinson (Rico)
Douglas Fairbanks jr. (Joe Massara)
Ralph Ince (Diamond Pete Montana)
Glenda Farrell (Olga Strassoff)
William Collier jr. (Tony Passa)
George E. Stone (Otero)
Thomas E. Jackson (Lt. Tom Flaherty)
Stanley Fields (Sam Vettori)
zur startseite
zum archiv