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Kleine
Morde unter Freunden
Was
würden Sie tun, wenn eines Tages in Ihrer Wohnung ein Koffer voller Geldscheine
auftauchen würde? Nun, die Versuchung wäre sicherlich groß ...
Zwei Mitbewohner einer recht luxuriösen Mini-WG im schottischen Edinburgh
erliegen der Verführung ohne Zaudern; nur David, den Underdog des Trios,
plagen moralische Skrupel - oder einfach Angst. Denn mit dem Koffer ist auch
eine Leiche zurückgeblieben, der es sich zu entledigen gilt: Der smarte
Hugo, der neue Mitbewohner, liegt schon am Morgen nach dem Einzug nackt und
totenstarr im Bett. Juliet, von Beruf Ärztin, stellt fachkundig den Drogentod
fest. Der Koffer soll bleiben, Hugo muß weg. Also wird er vergraben, vorher
zersägt und zerstückelt, um - man und frau kennt sich, mediengebildet,
in solchen Dingen aus - die Identifizierung zu verhindern: Hände, Füße
und Zähne werden zur fachgerechten Entsorgung in Juliets Klinik untergebracht.
Wie
Hugos nackter Fuß immer wieder vorwitzig ins Bild ragt, das erinnert an
eine andere widerspenstige Leiche, die des notorischen Harry in Hitchcocks später
Herbstkomödie THE
TROUBLE WITH HARRY.
Nicht nur Hitchcock wird zitiert, über weite Teile ist SHALLOW GRAVE ein
Film der vergnüglich wiederaufbereiteten Situationen und Motive. Lustvoll
spielt er mit den Topoi vom blutige Realität gewordenen Alptraum und vom
perfekten Verbrechen, lustvoll auch wird die makabre Komik der Situationen ausgebreitet,
in die die Möchtegern-Profis bei ihrem laienhaften Tun geraten.
Schon
die Eingangssequenz, die die Bewerbungsrituale neuer Mitbewohnerkandidaten für
die großzügige und elegant durchgestylte Wohnung über den Dächern
von Edinburgh (die Ausstattung bleibt durch effektvoll eingesetzte Farb- und
Lichtregie im Gedächtnis) zeigt, gibt den Rhythmus für die nächsten
92 Minuten vor. Markante Kamerapositionen, schnelle, suggestive Schnitte, ironisierende
Musik.
Auch
thematisch wird hier angerissen, was SHALLOW GRAVE als Leitmotiv und treibende
Energie charakterisiert: die Lebensweise der jungen Upper Class-Angehörigen
des post-Thatcherschen Großbritannien. Der satten selbstgefälligen
Arroganz von Eliteschulabsolventen, die ihre Lust aus der aggressiven Abgrenzung
nach unten, demonstrativem Konsum und unbegrenztem Aufstiegsdrang beziehen.
Der Koffer Geld, von dem nur Skrupel trennen: Ausdruck einer Gesellschaftsverfassung,
in der nur eines zählt - der Erfolg.
Drei
Varianten solchen Yuppietums führt SHALLOW GRAVE uns vor, allesamt darstellerische
Glanzleistungen: Juliet (Kerry Fox, die Janet Frame aus Jane Campions AN ANGEL
AT MY TABLE - kaum wiederzuerkennen), die Ärztin im halblangen Grobstrick-Jumper,
unterkühlt und unauffällig, doch mit handfestem Machtkalkül hinter
der biederen Fassade; Alex, der selbstbewußte Ekeljournalist, der immer
einen Spruch zuviel auf den Lippen hat; David, der hornbebrillte Buchhalter,
schüchtern und ein wenig altmodisch, doch vielleicht der gefährlichste
von allen, ein stiller Kleinbürger, aus dem unter Druck ein „low-tech Dr.
Mabuse" („Sight and Sound") hervorbricht.
Weniger
Psychologisierung allerdings bestimmt das Drehbuch als Tempo und Aktion, wenn
auch die Psychodynamik, die in der Storyentwicklung zum Ausdruck kommt, beträchtlich
ist. Nicht Suspense, sondern Überraschung ist das Wirkungsprinzip. Leider
geht dem Plot dabei nach einer Weile die Luft aus. Zuviele Drehungen und Wendungen,
eine zunehmend konstruierter erscheinende Konstellation, die die sich anbietenden
komischen Zuspitzungen scheinbar grundlos verschenkt und eine funktionierende
Dramaturgie der übergeordneten Grundidee unterordnet: fressen und gefressen
werden. Aus einer schottischen Kriminalkomödie (in bester britischer Tradition)
wird eine - in ihrer Motivation verständliche und nachvollziehbare -soziale
Haßphantasie. Und wie oft bei Filmen mit nur negativen Helden steIlt sich
irgendwann emotionale Gleichgültigkeit ein. Auch eine gewisse Befriedigung
bei der abschließenden Blutorgie („Geschieht euch recht!") kann über
diesen Mangel nicht hinwegtäuschen.
Intelligente
und gut gemachte Unterhaltung ist SHALLOW GRAVE trotzdem. Und es ist ein FiIm,
der Aufschlußreiches über die Befindlichkeit eines europäischen
Nachbarlandes berichtet. Aus atmosphärischen Gründen empfiehlt es
sich allerdings dringend, die schottische Originalversion anzusehen.
In
Großbritannien war SHALLOW GRAVE ein dicker Erfolg. Das läßt
hoffen, daß Drehbuchtor John Hodge, auch er im Hauptberuf Arzt, nach diesem
Debüt weiterschreibt. Und daß Danny Boyle, der bisher für Theater
und Fernsehen gearbeitet hat, bald mit einem weiteren Film im Kino zu sehen
ist. Von den Schauspielern ganz zu schweigen.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in epd Film 8/95
Kleine
Morde unter Freunden
SHALLOW
GRAVE
Großbitannien
1994. R: Danny Boyle. B:
John Hodge. P: Andrew MacDonald. K: Brian Tufano. Sch:
Masahiro Hirakubo. M:
Simon Boswell. T:
Colin Nicolson. A: Kave Quinn. Ko:
Cate Karin. Pg:
Figment Film. V: MFA. L: 91 Min. St: 10.8.1995. D: Kerry Fox (Juliet Miller),
Christopher Eccleston (David Stevens), Ewan McGregor (Alex Law) Keith Allen
(Hugo), Ken Stott (Detective), John Hodge (Detective).
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