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Kleine Wunden –
Petites
Coupures
Die
Sonne des Oktobers
Die
Hoffnung, zuletzt doch nicht erwachsen werden zu müssen: Pascal Bonitzers
Film "Petites coupures" läuft im Wettbewerbs-Programm (der Berlinale
[der fz-Herausgeber]) - und Daniel Auteuil spielt darin einen schüchternen
Kommunisten, der ordentlich den Intensitätshahn aufdreht
Womanizer
ist nicht das richtige Wort, es ist kein sexistisches Prozessieren oder Verarbeiten.
Bruno Beckman (Daniel Auteuil) ist auch keine Wiedergänger von Truffauts
jungshaftem "Mann, der die Frauen liebte", dem die Welt ein erotischer
Gabentisch war und die Frauen rätselhafte Objekte, deren Anderssein studiert
wie genossen werden wollte. Bruno Beckman ist eine eher ängstliche und
unsichere Type, und die Liebe, und zwar in allem Ernst, ist der einzige Weg
zur Intensität, den er kennt.
Doch
er ignoriert die Konsequenzen, das Wort, den Vertrag "Liebe". Beckman
sucht nicht nach Abenteuern, sondern weiß aus den vielen prekären
Lagen, in die ihn schwacher Wille und nachgiebiges Naturell manövriert
haben, keinen anderen Ausweg als den Intensitätshahn aufzudrehen - denn
mit intensiven Situation kennt er sich aus. Außerdem ist er Kommunist,
und es ist vergnüglich, Pascal Bonitzers "Petites coupures" daraufhin
anzusehen, ob es einen Zusammenhang zwischen diesen Überzeugungen und dem
Leben Beckmans gibt.
Gegen
den Kommunismus gibt es ebenso wie gegen das Stephen-Stills-Credo "Love
the One Youre With" oder die Weigerung, erwachsen zu werden, eine Fülle
von Gegenargumenten. Aber gibt es, um ein Argument des realen Kapitalismus zu
borgen, eine Alternative? Bei der Frage des Erwachsenwerdens ist deutlicher:
Es sind grauenhafte Typen, die nicht erwachsen werden können, schlimmer
sind nur Erwachsene. - Bei Bonitzer wird die Welt noch in der tiefsten Provinz
und im Schatten der höchsten Berge ausschließlich von Leuten bewohnt,
die einander verletzen, betrügen und tyrannisieren. Es ist eine Hölle,
und keine Wahrheit über diese Hölle hilft gegen sie. Die Hoffnung
auf eine "Rückkehr der Sonne nach der finsteren Zeit" scheint
das zu sein, was Bruno von allen anderen unterscheidet, seinen Charme definiert.
"Welche Sonne", fragt ihn die neurotische Béatrice. "Die
Sonne des Oktobers natürlich."
Die
Regie hält zu Bruno durch unerwachsene Scherze unter ihrem Niveau. Wenn
beim Sex auf dem Rücksitz ein kleiner Comic-Hund auf dem Vordersitz die
Ohren spitzt etwa. Das ist das Äquivalent zum Kommunismus und zum Glauben
an Liebe und Intensität trotz all der Dinge, die man weiß und die
der Film die ganze Zeit so dicht und virtuos ausbuchstabiert, dass eben kein
Lob der Naivität entstanden ist, sondern ein veritabler Anti-Houellebecq.
DIEDRICH
DIEDERICHSEN
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Berlin lokal Nr. 6979 vom 13.2.2003
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