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Kleinruppin
forever
Zwei Zwillingsbabys auf einer Parkplatzbank, die Eltern
vergessen ihre beiden Söhne. Dann ein Autounfall im Off, die Babys plötzlich
verlassen und ganz unterschiedlichen Schicksalen ausgeliefert: Der Beginn für
eine klassische Verwechslungskomödie. Um Verwechslungen wird es dann auch
gehen, allerdings erst später. Bis man erfährt, was es mit den beiden
Babys der Anfangsequenz auf sich hat, dauert es noch eine Weile, zunächst
sieht man den 19-jährigen Tim (Tobias Schenke) beim Tennisspielen, beim
Streit mit seinem Vater, beim Trinken und Baggern mit seinen Freunden. Dann
ein Schulausflug in den Osten: Kleinruppin steht auf dem Programm. Kaum angekommen,
steht Tim seinem Zwillingsbruder Ronnie (ebenfalls Schenke) gegenüber,
von dessen Existenz er bis dato gar nichts wusste, und am nächsten Morgen
hat sich sein Leben geändert.
Eine Flasche hat er von seinem Bruder über den Kopf
bekommen, jetzt liegt er im Krankenhaus Kleinruppin und alle halten ihn für
Bruder Ronnie. Die Geschichte vom unbekannten Zwilling glaubt niemand – natürlich.
Eine schöne Idee ist das: Die beiden deutschen Staaten als Zwillinge zu
apostrophieren, und das Kennenlernen des Nachbarlandes als Einleben in eine
neuen Haut. Neue Freunde, abends nicht mehr ins Beach, sondern in den Jugendclub Gehege und statt Tennis die Schwimmermannschaft. Schwimmen
wird schnell zu Tims neuem Lieblingssport, denn mit der Mannschaft wird sich
in wenigen Wochen die Gelegenheit bieten, in den Westen zurückzukehren.
Damit die Verwirrung für Tim möglichst groß wird, läuft
natürlich alles anders als gehofft: Sein Vater, endlich erreicht, ist mit
dem neuen Sohn weitaus glücklicher als mit dem alten, und Tims große
Liebe findet er ausgerechnet in Kleinruppin.
Trotz der netten Ausgangsidee wirkt Kleinruppin Forever schal: Eine Komödie in einer Diktatur spielen zu
lassen, ist eine schwierige Ausgangsposition, für deren Bewältigung
man wohl Roberto Begnini heißen muss. Die Ostalgie aber, die Carstel Fiebeler
hier vorexerziert, zehrt gewaltig an den Nerven des Zuschauers. Die Charakterisierung
der Ostdeutschen erinnert an rassistische Karikaturen – der typische Ossie ist
hier emotional, kauzig und im Grunde irgendwie immer harmlos, während der
Wessie sich intelligent und rational ans kapitalistische Geldverdienen macht. Eine vergleichbare Unterscheidung zwischen Rationalität
und Emotion zeichneten imperialistische Staaten zwischen sich und den von ihnen
unterjochten Völkern, eine vergleichbare Unterscheidung ist auch das wohl
am längsten überdauernde Klischee vom rationalen Mann und der emotionalen
Frau. Die menschenverachtenden Methoden der Stasi werden nicht annähernd
ernst genommen, wenn die Geheimdienstmitarbeiter zu Witzfiguren werden, von
denen keinerlei Gefahr ausgeht, die von Tim versuchte Flucht aus der DDR geht
zwar schief, endet aber nicht im Gefängnis, sondern im gemütlichen
Schiffsrumpf eines gutmütigen Fischers, der zufällig direkt an der
Grenze entlang schipperte. Es geht keine Gefahr aus von der Diktatur, in der
Tim gelandet ist, die DDR wird zu einem Paradies, in dem Menschen noch "natürlich"
(FKK!) und damit auf ihre Art auch frei sind, und die Zwillingsmetapher verstärkt
die behauptete Ähnlichkeit der beiden Staaten nur noch weiter.
Eine wunderbar gelungene deutsch-deutsche Komödie
ist sicherlich Good Bye, Lenin!, und dass Lenin so gut funktioniert hat, liegt an seinem grundverschiedenen
Umgang mit der Historie: Eine Frau ist hier (durch die Schuld des DDR-Regimes,
übrigens!) ins Koma gefallen, und um einen Schock zu vermeiden, wird ihr
von ihrem Sohn nach dem Erwachen in einer Welt ohne DDR der Fortbestand der
alten Heimat vorgegaukelt. Die Eigenheiten und liebenswerten Details des untergegangenen
Regimes werden so aus ihrem historische Kontext gelöst, es wird in Good Bye Lenin! möglich, genussvoll Spreewälder Gurken zu konsumieren,
weil man weiß, dass sie einer vergangenen Epoche angehören, deren
Schrecken mit ihr gemeinsam vergessen wurden. Lenin transportiert das Abbild einer gefälschten Geschichte
in die Gegenwart und schafft es damit, sie gleichzeitig der Lächerlichkeit
preiszugeben und – dank postmoderner Ironie neutralisierte – Melancholie an
den Tag zu legen. Eben dieser Spagat kann Kleinruppin Forever nicht gelingen, da bei ihm die Historie nicht in ironische
Distanz rückt, sondern zum verklärten Hintergrund genommen wird, vor
dem sich die Ereignisse abspielen. Da hilft auch das ganz wunderbare Production
Design nichts mehr, denn der wiedererweckte Osten bleibt so sehr in seinen Klischees
stecken, dass man nicht einmal mehr darüber lachen möchte.
Benjamin Happel
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Kleinruppin
forever
Deutschland
2003 - Regie: Carsten Fiebeler - Darsteller: Tobias Schenke, Anna Brüggemann,
Michael Gwisdek, Uwe Kockisch, Tino Mewes, Toni Snètberger, Florian Panzner,
Sebastian Kroehnert - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 6 - Länge: 103
min. - Start: 9.9.2004
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