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Klopka
– Die Falle
Die zentrale Metapher
der Zustände, die Klopka
beschreibt,
ist die Architektur. Der großbürgerliche Hausflur, durch den Protagonist
Mladen zu der Beichte geht, die der Handlung ihren Rahmen geben wird, erinnert
an ein Kirchenschiff. Einmal sehen wir Mladen, der Leiter eines staatlichen
Bauunternehmens ist, mit seinen Arbeitern auf der stillgelegten Baustelle sitzen,
warten und Bier trinken, während sich im Hintergrund die Kräne drehen
und Hochhäuser gen Himmel wachsen. Wo andere reich werden, sind sie zu
bloßen Zuschauern des Wachstums degradiert mit der einzigen Hoffnung,
dass sich die globalisierte Welt, die sie zuvor – de facto – wegrationalisierte,
sich wieder ihrer annimmt: Ein belgischer Konzern hat Interesse bekundet, die
Firma zu übernehmen.
Mladen führt
eine glückliche Ehe mit seiner Frau Marija, bis sie erfahren, dass ihr
Sohn Nemanja an einer seltenen Herzerkrankung leidet. Die Operation in Berlin
würde 30.000 Euro kosten, für die serbische Mittelstandsfamilie eine
utopische Summe. Auf ein Spendengesuch in einer Zeitung bekommt Mladen einen
Anruf von einem Mann, der sich bereit erklärt, die Operation zu bezahlen
– wenn Mladen im Gegenzug für ihn einen Mord begeht.
Wo die Straßen
Belgrads im (ehemals) sozialistischen Einheitsgrau von Plattenbausiedlungen
und heruntergekommenen Altbauten kalt und abweisend wirken, entwirft Regisseur
Srdan Golubovic mit tatkräftigster Unterstützung der grandiosen Kameraarbeit
von Aleksandar Ilic die Bilder der Innenräume quasi als Gefängnisarchitekt.
Rahmen spielen eine bedeutende Rolle. Immer wieder wird, wie bei Fassbinder,
der Blick auf die Figuren durch Türen oder Fenster gerahmt, die sie einschließen
und voneinander trennen. Immer wieder sehen wir die beiden im Krankenhaus vor
verschlossenen Türen warten oder Mladen eingeklemmt in seinem kleinen,
alten Auto. In einem Tobsuchtanfall in seiner Wohnung versucht Mladen den Rahmen
zu sprengen, reißt die Tür aus den Angeln. Es ist ein prachtvoller,
leerer Bilderrahmen, den Marija im Hause einer reichen Schülerin sieht,
der so viel kostet, wie das Leben ihres Sohnes und es ist der Rahmen der Erzählung,
zu dem der Plot unausweichlich zurückführt. Es sind Zustände
erzwungener Passivität in allen Bereichen des Lebens, des beständigen
Wartens, des ewigen Ein- oder Ausgeschlossenseins, von denen der Film handelt.
Die klaustrophobische Atmosphäre unterstreicht die Ausweglosigkeit, die
unbedingte Determiniertheit.
„Verschwörungsfantasien“,
schreibt Georg Seeßlen, „sind Symptome der Entfremdung zwischen Subjekt
und Macht, aber auch Versuche, sie zu überwinden.“ In Klopka
geht
es, wie bei Kafka, um die Unüberwindbarkeit dieser Entfremdung. Der Arzt,
der Nemanja behandelt und den Eltern die Hiobsbotschaft von der Krankheit ihres
Sohnes und den Kosten der Operation überbringt, vertraut ihnen in einer
Szene an, dass er dasselbe, 30 Jahre alte Auto fährt wie sie. Ein Bankangestellter
versichert Mladen, dass er absolut nicht kreditwürdig ist und antwortet
auf die Frage, was daran so komisch sei: „Dies ist eine ausländische Bank.
Wenn ich im Beratungsgespräch nicht beständig lächle, werde ich
gefeuert.“ Als sich Mladen in der Bank umsieht, erblickt er überall dieselben,
demütig grinsenden Gesichter. Ja, selbst der Mann, der von sich stets im
Plural spricht und hochdotierte Auftragsmorde vergibt, entpuppt sich schließlich
nicht als hohes Tier von der Mafia, sondern als arme Sau, die sich dafür
rächen will, dass sie alles verloren hat. Die Verschwörungen bleiben
im Verborgenen, die Verschwörer gesichtslos in Luxuslimousinen und internationalen
Chefetagen. Am ersten Türwächter der Macht, die über sein Schicksal
und das seiner Familie entscheidet, kommt er nie vorbei.
Laut Golubovic
gehe es in seinem mehrfach preisgekrönten und inzwischen als Bester Fremdsprachiger
Film für den Oscar nominierten Film um einen „Mann, der zwischen zwei Wegen
wählen kann, die beide gleichermaßen zu Schmerz, Schuld und Unglück
führen“ und also um „die Freiheit der Wahl, die es nicht wirklich gibt.“
Der Film zeichnet das schonungslose Bild einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in
der rote Ampeln, stellvertretend für Normen überhaupt nur für
manche Menschen gelten und der Spielraum für Ehrlichkeit zusehend schwindet.
Doch wo Mladen in Subversion seiner gesellschaftlichen Stellung aufs Gaspedal
und den Abzug drückt, gerät er immer tiefer in das Netz der Schuld,
aus dem ihm schließlich nur die Beichte und der Opfertod „retten“, der
dann auch nicht von ungefähr an Ferraras Bad
Lieutenant
erinnert.
Wie Golubovic diese quasi religiöse Erzählung (der Verweis aus Dostojewski
ist bei der Kritik sehr beliebt) mit einer Bestandsaufnahme der Gesellschaft
der Jetztzeit (nicht nur) in Serbien oder dem ehemaligen Ostblock verbindet,
gehört zum Besten, was ich dieses Jahr im Kino gesehen habe.
Nicolai Bühnemann
Klopka – Die Falle
Serbien, Deutschland, Ungarn 2006; Regie: Srdan Golubovic;
Drehbuch: Srdan Golubovic, Melina Pota Koljevic; Ausführender Produzent:
Igor Kecman; Originalmusik: Mario Schneider; Kamera: Aleksandar Ilic; Schnitt:
Marko Glusac; Darsteller: Nebojša Glogovac, Nataša Ninkovic, Miki Manojlovic,
Anica Dobra, Bogdan Diklic - Prädikat:
besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 102 min. - Start: 11.10.2007
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