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Knallhart
Wie
es euch gefällt
Gangsterkitsch sticht Sozialrealismus:
»Knallhart« von Detlev Buck
Alle Studien der letzten Jahre
weisen darauf hin, daß »neben
den unbefriedigenden schulischen Leistungen auch die damit verbundene soziale
Frage, d.h. die Überwindung der herkunftsabhängigen Unterschiede im
deutschen Bildungssystem, nicht wirklich gelöst wird.«
So steht es im Zwölften Kinder- und Jugendbericht, der am Donnerstag im
gähnend leeren Bundestag beraten wurde. Seit Herbst hatten die Volksvertreter
den Termin vor sich hergeschoben.
Am selben Tag startete »Knallhart«
in den deutschen Kinos. Es sind »herkunftsabhängige Unterschiede
im deutschen Bildungssystem« die von diesem Film ausgeschlachtet werden
(Regie: Detlev Buck, Drehbuch: Zoran Drvenkar und Gregor Tessnow nach dessen
gleichnamigem Roman). Ein blonder Schüler zieht vom Villenviertel am Rande
Berlins stadteinwärts. Das ist der Anfang. Die Ankunft des Helden im Ghetto.
Soft und smart hat der Luxus ihn werden lassen. In seiner neuen Schule nimmt
er noch mal die Grundrechenarten durch: Wer in der Woche fünf Beulen kassiert
und dreimal abgezogen wird, wieviel Schutzgeld muß der zahlen? So geht
der inoffizielle Lehrplan. Die Lösung der Rechenaufgabe (vorläufig
50 Euro) kennt immer nur Erol, ein Türke mit Unterschichtenkaries, die
allerbrutalste Sau. Durchs Dorf Neukölln gejagt wird sie vom Schauspieler
Oktay Özdemir. Der macht das gut. Überhaupt ist die Besetzungsliste
erste Sahne, gehört in jedem deutschen Filmproduktionsbüro an die
Wand genagelt.
Als Erol den Helden gerade abstechen
will, kommt Rettung von oben: Hamal, ein Araber mit geschliffenem Stilbewußtsein.
Der Pate. Mit seiner rechten Hand schneidet er durch die Machtverhältnisse
im Kiez wie mit der Rasierklinge durch die Butter, macht den zarten Blonden
zum Drogenkurier. Erol kuscht erst, muckt dann aber auf, wird schließlich
ordnungsgemäß gefesselt und hingerichtet: Der Held schießt
ihm in den Nacken, was sich zieht, weil er ja Skrupel hat, die Seite zu wechseln,
ins Reich der Schatten.
In diesem Ghetto hast du nur eine
Wahl, suggeriert »Knallhart«: verrecken oder organisiertes Verbrechen.
Das muß der schmächtige Blonde kapieren. Als einziger Deutscher wohlgemerkt
(die Jungs von Erol sind ausnahmslos Türken, Frauen und Mädchen auch
nur dezentes Dekor). Auf die naheliegende Frage, ob das nicht rassistisch ist,
antwortete Detlev Buck dieser Tage eigentlich immer dasselbe: »Ich haben
einen Genrefilm gemacht«.
Was ist ein Genre? »Gangsterfilm«
soll eines heißen. Tatsächlich gibt es Abertausende. Der Begriff
ist sehr unscharf. Im Kern steht er für die Bedienung von Klischees. Er
geht zurück auf die Serienproduktion trivialer Kassenschlager im Hollywood-Studiosystem.
Und auf die Volksweisheit vom Bauern, der nicht frißt, was er nicht kennt.
Mit »Gangsterfilm« verbindet er bestimmte Erwartungen, wie mit »Western«,
»Thriller«, »Porno«. Wenn die erfüllt werden, hat
sich das Kino gelohnt. Eine Regelung zwischen Filmindustrie und Käufermassen.
Auf dieser Grundlage bedient »Knallhart«
Erwartungen eines breit gestreuten Zielpublikums. Allzu derbe Klischees werden
dabei umschifft: Schießeisen ja, Ballerei nein. Autofahrt ja, Verfolgungsrennen
nein. Weibliche Sexobjekte ja, Liebe naja (Sexismus plus Jenny Elvers-Elbertzhagen
plus zwei Minuten Teenie-Romantik). Und weil möglichst vielen Kinobesuchern
die Muffe gehen soll, wenn die Bösen den Blonden vermöbeln, bestätigt
der Film eben auch die rassistischen Vorurteile der meisten Bundesbürger.
Vor Ausländern haben die nun mal mehr Angst. So einfach ist das.
In gewisser Hinsicht ist »Knallhart«
wie »Tal der Wölfe«. In beiden Fällen wird immer wieder
versichert, das seien zwar Genrefilme, aber die hätten was mit der Wirklichkeit
zu tun. Mit irgendeinem Elend, das keiner sehen wolle. Stimmt nicht: Es ist
die stumpfe Alltäglichkeit des Elends, die keiner sehen will. Und auch
den beiden Filmen ist sie viel zu langweilig. Der böse Türke Erol
kann zwar Zoff mit seiner Alten haben, die er zur Mutter gemacht hat. Wenn die
vom Fenster runter in den Hof kreischt: »Mißgeburt, Opfer«
– das zieht, das hält bei Laune. Aber wenn sie ihm dann die Tür aufmacht,
und Erol mit zwei Einkaufstüten die Treppenstufen hochschlurft, bleibt
die Kamera draußen. Würde ja keiner aushalten, diesen normalen Mist.
Genauso hält es die Boulevardpresse mit der Berichterstattung aus den Problembezirken.
Detlev Buck hat vor 15 Jahren
seinen besten Film gemacht, »Karniggels«, hat damit ganz genau erklärt,
warum man nicht zur Polizei geht (weil man am Ende noch seinen letzten Kumpel
verkaufen muß an die, die das Sagen und die Kohle haben). In den letzten
Jahren hat er sich leider auf Werbefilme spezialisiert, vor allem für Flens-Biere.
Es hat in »Knallhart« eine Handvoll spitzenmäßiger Werbespots
(für Porsche, THC etc.) und eine Reihe guterzählter Witze. Aber es
hat auch wieder einen Bullen in »Knallhart«. Und der soll diesmal
unbedingt sympathisch rüberkommen: als allerbester Mensch im Kiez. Grundanständig.
Eine Vertrauensperson. Klingeln Sie unter 110 durch, wenn wieder »einer
von diesen Ausländern« in Ihren Mülltonnen wühlt.
Alexander Reich
Dieser Text
ist zuerst erschienen in:
Knallhart
Deutschland 2005 - Regie: Detlev Buck - Darsteller: David Kross,
Jenny Elvers-Elbertzhagen, Erhan Emre, Oktay Özdemir, Hans Löw, Kida
Khodr Ramadan, Jan Henrik Stahlberg, Arnel Taci - Prädikat: besonders wertvoll
- FSK: ab 12 - Länge: 98 min. - Start: 9.3.2006
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