zur
startseite
zum
archiv
Die
Könige der Nutzholzgewinnung
In der Dorfkneipe des Ortes Tanne im Harz herrscht
Lethargie. Gelangweilt schichtet der Eberwirt seine Mindereinnahmen von einer
Zigarrenkiste in die andere um, während seine Schnapstrinker den Mund nicht
aufkriegen. Der Stammtisch schweigt. Wohl könnte man über Langzeitarbeitslosigkeit,
brachliegendes Familienglück und sexuelle Not jammern. Während jedoch
die Frauen von Tanne sich in einer Country-Tanzgruppe allein amüsieren
und die Männer auch in der Arbeitswelt mit Improvisationsgeschick abgehängt
haben, lassen die Herren der Schöpfung sprach- und tatenlos die Köpfe
hängen. Ein Retter muss her. Der trägt Sechstagebart, ein rotkariertes
Holzfällerhemd, heißt Krischan – und ist gar nicht willkommen in
Tanne. Der verlorene Sohn des Dorfes tritt nach zwölf Jahren Abwesenheit
unvermittelt auf den Plan und redet viel. Seine Berichte vom Holzfällerglück
in Übersee, vom Leben und Sägen in den weiten kanadischen Wäldern
klingen freilich zu schön, um wahr zu sein. Da praktisch alle Männer
im Dorf noch mit ihrem Schicksal als arbeitslose Ex-Waldarbeiter hadern, fällt
die Begrüßung des Aufschneiders ohnehin hölzern aus. Ronnie
und Bert, Kumpels aus alten Wiedervereinigungstagen, haben mit dem Heimkehrer
noch das eine oder andere Huhn zu rupfen. Krischan hatte just in dem Moment
das Weite gesucht, als sich das Scheitern seiner Geschäftsidee vom „Broiler
Express“ abzuzeichnen begann. Die Freunde blieben auf Schulden und tonnenweise
Tiefkühlhähnchen sitzen. Männerfreundschaften sind indes strapazierbar:
Immerhin darf Krischan im seither ungenutzten Imbisswagen (mit Fachwerkdekoration)
nächtigen, wo er darüber nachsinnt, wie er seine Geschlechtsgenossen
in Glückspilze verwandeln kann – diesmal aber wirklich. Dass ein liebenswerter
Spinner und Hallodri tatsächlich ein 700-Seelen-Dorf aus der Lethargie
zu reißen vermag, kann wohl nur im Kino passieren. In seinem Spielfilmdebüt
fädelt Matthias Keilich die Männerkrisen-Humoreske über Frust,
Freundschaft und freudige Forstarbeit so überzeugend ein, dass auch einige
eher laubgesägte Nebenfiguren dem gelungenen Ganzen nicht abträglich
sind. Mit Bjarne Ingmar Mädel hat das Team einen guten Fang gemacht: Als
Wackelkandidat Krischan, der sich zwischen dem Bedürfnis, in der alten
Heimat Wurzeln zu schlagen und einer aufgesetzten Lonesome-Cowboy-Attitüde
kaum entscheiden kann, jongliert er geschickt mit Männlichkeitsklischees
und kreiert eine Vollblutfigur. Wenn Krischan verwegen die Augen zukneift, weiß
man nie genau, ob er dahinter gerade einen coolen Plan ausheckt oder vor Überforderung
schlicht die Jalousien heruntergelassen hat. Seine Rückkehr nach über
einem Jahrzehnt wird mit komischem Understatement behandelt: „Bin wieder da“,
bemerkt Krischan auf der Türschwelle seiner früheren Freundin Ellen.
„Warum?“, fragt sie mit einem Hauch von Überraschung und erhält die
knappe Antwort: „Sehnsucht.“ Ob dieses Gefühl bei Krischan von Dauer ist
oder sich wieder zu Fernweh wandelt, ist eine der spannenden Fragen des Films.
Die Grundstimmung ist weit entfernt vom schwermütigen
Lebensgefühl in Valeska Grisebachs „Sehnsucht“, einem anderen, tieferen
Blick auf das Leben in der ostdeutschen Provinz. Vor allem im Vergleich mit
Andreas Dresens (urbanem) „Sommer
vorm Balkon“ (fd 37 419) lässt
Keilichs Film den kleinen, bitterwürzigen Schuss Tragik vermissen, der
Komödien die Tiefe gibt. Etwas zu leichthändig schlagen sich „Die
Könige der Nutzholzgewinnung“ durchs Dickicht ihrer Probleme. Berts krebskranke
Mutter bleibt eine unentwegt muntere Randfigur, Ronnie greift nach dem Abgang
von Frau und Kindern zwar zum Strick, aber nur, um eine Schaukel am Baum zu
befestigen. Auch Krischans ungeahnte Vaterschaft ist kein Fall zum Grübeln.
Peter ist zwölf Jahre alt. Im Zuge der Vater-Sohn-Annäherung ist nie
klar, wer hier eigentlich wen erzieht. So lernt Krischan dank Peter, dass zu
einem „ganzen Mann“ auch eine kräftige Portion Verantwortungsgefühl
gehört. Heimliche Hauptfigur, in den Nachtszenen auch unheimlicher Schauplatz
des Films, ist der Wald. Der holzgetäfelten Enge im Dorf, der Sterilität
von Behördenfluren, in denen Hartz-IV-Empfänger Fragebögen ausfüllen,
stellt der Film ein verführerisches Harz-Panorama entgegen, in dem sich
das Protagonisten-Trio nach Herzenslust austoben darf, um sich und seine abhanden
gekommene Männlichkeit wiederzuentdecken. Wo Keilich augenzwinkernd den
röhrenden Hirsch vor riesiger Mondscheibe herbeizitiert, wird durch Übertreibung
deutlich, dass nicht nur Krischans Handwerksburschen-Wunschbild etwas morsch
geworden ist, sondern auch die romantischen Naturvorstellungen nur Projektionen
sind.
Der finale Holzfällerwettbewerb, den die Männer
anzetteln, belebt zwar die Dorfkultur, mündet aus privatwirtschaftlicher
Sicht aber im Fiasko: Die Initiatoren haben irrtümlich darauf gesetzt,
das hohe Preisgeld am Ende des Kräftemessens im „Neuen Waldstadion Tanne“
selbst einstreichen zu können. Zwar schlägt sich Ronnie in der von
kanadischen Wettkämpfen abgekupferten Disziplin „Underhand Chop“ erstaunlich
wacker, und Bert überwindet beim Tannenzapfenpflücken seine Höhenangst;
aber ausgerechnet Krischan unterliegt im Duell gegen den Konkurrenten der dann
siegreichen „Brock’n’Roller“, weil er eben doch kein wirklicher Motorsägenvirtuose
ist. Übrig bleibt Krischan, der Süßholzraspler. „Es schmeckt
nicht mehr so wie früher“, stellt indes die ernüchterte Ellen nach
einem Kuss fest. Dennoch bietet sie dem Möchtegern-Waldmeister ein Dach
über dem Kopf. Irgendjemand muss ja das Kaminholz hacken.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Die
Könige der Nutzholzgewinnung
Deutschland
2006 - Originaltitel: Lumber Kings - Regie: Matthias Keilich - Darsteller: Bjarne
Ingmar Mädel, Frank Auerbach, Steven Merting, Peter Sodann, Barbara Phillip,
Christina Große, Monika Lennartz, Simon Schwarz - Länge: 94 min.
- Start: 24.8.2006
zur
startseite
zum
archiv