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Kontroll
Nimród
Antal will viel von seinem Debüt-Langspielfilm über eine Gruppe Budapester
U-Bahn-Kontrolleure. Und es fällt ihm auch allerhand ein dazu, unter anderem
ein David-Lynch-Horrormärchen, eine raue Proletenkomödie und ein plausibles
Portrait der Kontroll-Gesellschaft.
Mainstream-Filme,
die vom Arbeiten handeln, erzählen gegenwärtig meist über Kriminelle
(Heist,
Ocean’s Eleven, Collateral) und
Superhelden (Spider-Man
2,
Hellboy).
Des Proletariats und seiner Arbeitsbedingungen nimmt man sich am ehesten im
Autorenfilm an (Luc und Jean-Pierre Dardenne, Eric Zonca, Vincenzo Marra) -
wenn dort nicht gerade Schriftsteller, Musiker und Kunsthändler das Milieu
bestimmen. Natürlich wurden in Hollywood auch in den Dreißigern schon
mehr Filme über Journalisten und Gangster gedreht als über Eisenbahner
(Other
Men’s Women)
oder Postpiloten (Ceiling
Zero),
aber die beinahe vollständige Verdrängung der Arbeiterklasse aus dem
Kino-Mainstream ist eben auch Symptom ihrer Marginalisierung in der öffentlichen
Wahrnehmung. (Wenn ein Film - wie zuletzt The
Woodsman
- ein Arbeiterschicht-Umfeld als Erzählmilieu wählt, hat das schon
das Gewicht eines politischen Statements.)
In
dieser Kinolandschaft ist Kontroll schon
allein für das große Interesse bemerkenswert, mit dem er vor allem
in der ersten Hälfte vom Berufsalltag seiner proletarischen Helden erzählt:
einer Gruppe von U-Bahn-Kontrolleuren in Budapest, die selbst so abgefuckt und
vergammelt daherkommen wie ihre Arbeitsumgebung. Der Film schwelgt förmlich
im Grind der unterirdischen Gänge, den speckigen Lederjacken, schmuddeligen
Pullovern, unrasierten Gesichtern, rohen Sitten und derben Späßen
seiner Figuren, und das mit Recht: Sie geben ihm eine Bodenhaftung, die er dringend
benötigt. Denn der in den USA aufgewachsene, in Ungarn ausgebildete Regisseur
und Co-Drehbuchautor Nimród Antal hat sich mit seinem Debütfilm
allerhand vorgenommen: lässige Gewalt-Groteske wie bei Tarantino, abgründige
Parallelwelten-Mystik und Märchen-Symbolismen à la Lynch, dazu -
möglichst kompetent arrangiert - ein wenig Action, Krimi und Horror samt
pulsierend technoidem Soundtrack - kurz: professionelles Entertainment nach
Genre-Spielregeln, im Idealfall sogar ein Erfolgsmodell für europäisches
Filmemachen jenseits von eigensinniger Nischen- und blödsinniger Prestige-Produktion.
Hört
sich böse nach dem artifiziellen Zeitgeist-Schnickschnack an, der seit
den 80ern in Frankreich cinéma du design geschimpft wird? (Schließlich
hat sich ja auch schon Luc Besson einmal in den Gängen der Subway verkrochen.)
Keine Sorge, Antals Synthesen schmecken im Endergebnis bei weitem nicht so synthetisch
wie Bessons weltabgewandte cinephile Masturbationen, und das verdankt sich neben
seiner beneidenswerten erzählerischen Kontrolle vor allem der Erdung des
Films im konkreten Milieu der Budapester U-Bahn (deren unterirdische, fahl beleuchtete
Parallelwelt der Film nie verlässt) und der rauen Proleten, die er begleitet.
Nicht nur gibt der Arbeitsalltag ein erfrischend ungenutztes erzählerisches
Gerüst samt verschiedener Schauplätze vor (Besprechung in der Kommandozentrale
am Morgen; dann Einsätze in den U-Bahn-Wägen; der Bahnhof, in dem
die Züge am Abend stehen), das der Film für seine mehr oder weniger
phantastischen Genre-Spielchen einfallsreich fiktional auspolstert. Allein,
wie er uns die Kontrolleure bei der Arbeit selbst zeigt - aufgesplittert in
kleine, parallel montierte Vignetten zu treibenden Beats -, wie sie bisweilen
recht hilflos versuchen, im direkten Konflikt mit einer gleichgültigen
bis feindseligen Menge vom selbstherrlichen Zuhälter bis zum renitenten
Jugendlichen eine Ordnung durchzusetzen, die ihnen selbst auch nicht mehr bedeutet
als eben einen ungeliebten Job, das hat hier beachtliche komödiantische
Verve.
Arbeiterschicht
hin oder her: Die U-Bahn-Kontrolleure haben in Kontroll selber
mehr gemeinsam mit den individualistischen, spontan und ungeregelt agierenden
Superhelden-Teams à la X-Men als
mit den uniformen Routine-Arbeitern fordistischer Fließband-Produktion:
Uniformen tragen hier nur die bösartigen Streber von der rivalisierenden
Kontroll-Einheit. Unsere Helden sind in zivil unterwegs, und auch sonst machen
bei ihnen erst die Differenzen die Identität aus. Die vierköpfige
Gruppe ist zusammengesetzt aus altem gleichmütigem Profi, jungem greenhorn,
narkoleptischem Dodel und einzelgängerischem Heroen mit bürgerlicher
Vergangenheit: die ent-disziplinierte Variation einer Gruppen-Arbeitsteilung
der Vielfalt, wie sie in den Hollywood-combat movies der 40er entwickelt und
seither immer wieder neuen, ungeregelteren, unübersichtlicheren Kampf-
und Arbeitsbedingungen angepasst wurde.
Der
Berufsalltag des Schwarzfahrer-Aufstöberns präsentiert sich hier auch
folgerichtig als hochgradig unberechenbarer Nahkampf mit Vertretern diverser
urbaner Milieus, der bisweilen in Schlägereien und Verfolgungsjagden ausartet.
Kontroll(e),
darin stimmt Antal mit Gilles Deleuze (zumal in dessen gesellschafts- und popkultur-theoretisch
schon arg ausgebeutetem Aufsätzchen "Postskriptum zur Kontroll-Gesellschaft")
überein, das bedeutet eine flexiblere, fließendere Form der Überwachung
und Machtausübung als die institutionelle Disziplin des 19. Jahrhunderts.
Statt staatlich legitimierter Gewaltausübung Einschüchterungen durch
private Dienstnehmer, und statt einer gründlichen Ahndung von Regelverstößen
durch öffentliche Apparate ein hastiges Lavieren in einer pragmatischen
Grauzone der Wurschtigkeit, in der nur wenige Schwarzfahrer ein wirkliches Unrechtsempfinden
entwickeln: Der U-Bahn-Kontrolleur ist der Polizist der postfordistischen Gegenwart.
Was
dieser Druck der Eigenverantwortung aus dem einzelnen macht, das fängt
Kontroll recht
nüchtern ein: Letztendlich scheinen all die sozialen Defekte und Lädiertheiten
der Kontrolleure, die versandelte Lethargie der einen wie der bedrohliche Jähzorn
der anderen, ihre Quelle darin zu haben, dass sie im Dienst einer Ordnung stehen,
die schlechterdings nicht durchzusetzen ist.
Der
nette Herr von der Budapester U-Bahn, der zu Beginn des Films verkündet,
der Film stelle keineswegs die Realität dar, sondern sei "symbolisch"
zu verstehen, hat schon recht. Aber nicht bloß symbolisch im Sinne der
universalen Geschichte von dämonischer Bedrohung und erlösender Liebe,
in der der edle Held unter den Kontrolleuren schließlich das Recht gewinnt,
die Unterwelt der U-Bahn zu verlassen. Sondern auch als Sinnbild einer unter
dem Deckmantel der "Eigenverantwortung" ausgebeuteten Arbeiterschicht
in einem neoliberal "privatisierten" Osteuropa.
Joachim
Schätz
Dieser
Text ist auch erschienen in:
Zu diesem Film gibt es im archiv weitere Texte
Kontroll
(Ungarn,
2003)
Regie:
Nimród Antal
Drehbuch:
Jim Adler, Nimród Antal
Musik:
Neo
Kamera:
Gyula Pados
Länge:
105 min
Darsteller:
Sándor
Csányi, Zoltán Mucsi, Csaba Pindroch, Sándor Badár,
Zsolt Nagy, Bence Mátyási, Gyözö Szabó, Eszter
Balla u.v.a.
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