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Kopf
über Wasser
Dies
ist eine jener amerikanischen Remakes von europäischen Filmen, die beweisen,
daß Hollywood so ziemlich alles kann, nur nicht eine kleine, wirkungsvolle
Geschichte mit kleinen, wirkungsvollen Mitteln erzählen. Was der Film zu
erzählen hat, ist eine jener kleinen, schwarzen als Kriminalgeschichten
getarnten morality tales mit mehr oder weniger bösen Pointen, die man am
liebsten im Zug zwischen Straßburg und Köln liest. Wenn es regnet.
Da
ist ein Richter jenseits der Midlife-Crisis, der eine junge und schöne
Frau hat. Die beiden verbringen einen Sommer auf einer abgelegenen Insel in
einem Haus über dem Meer. Es gehört übrigens der Familie der
Frau. Natur und Kitsch, Plunder und Fallen: der Set Decorator, immerhin, muß
ein paar gute Tage gehabt haben. Nicht weit entfernt lebt Nathalies Jugendfreund
Lance, Naturbursch' und Bildhauer, der guckt wie eine Mischung aus dem Jungen,
dem man die Eiskugel von der Tüte gehauen hat, und einem Pfadfinder, der
vergeblich nach der guten Tat für heute Ausschau hält. In Wirklichkeit
hat Regisseur Craig Sheffer einfach zu sagen vergessen, wie er gucken soll.
So guckt er halt wie immer.
George,
der Richter, und Lance, der Naturbursch', gehen auf eine gemeinsame Angeltour,
und während sie unterwegs sind und versuchen, ein paar tiefsinnige Worte
loszuwerden, kommt ein anderer alter Liebhaber zu Nathalie. Die alte Liebe könnte,
wer weiß, wieder aufflammen, aber vorher verfällt Kent seiner noch
älteren Liebe. Sie hat die Form einer Wodkaflasche. Jedenfalls liegt der
charmante, herzkranke Säufer am nächsten Morgen nackt und tot in Nathalies
Bett. Als das Boot von George und Lance zurückkommt, muß Nathalie
in panischer Eile die Leiche verstecken, und weil sie das im engen Kellereingang
unter dem Frühstückstisch tut, gibt es, knirsch, den einen oder anderen
makabren Gag. Die Hoffnung auf eine neue IMMER-ÄRGER-MIT-HARRY-Variante
schwindet, als George hinter die Geschichte kommt. Die Kleider des Toten hat
Nathalie ins Wasser geworfen, sein Genick hat man aus Ärger über unebene
Dielen gebrochen, nun wird der Richter zum Meister der Spurenvernichtung. (Jetzt
hätte vielleicht, selbst in Los Angeles, die Lektüre von „Der zerbrochene
Krug" den Drehbuchautoren etwas von Maß und Tiefe vermitteln können.)
Erst als Komplizen, dann immer mehr als Gegner versuchen sie, die Leiche loszuwerden
und die Indizien zu vernichten. Wenn nur Lance nicht immer mit seiner naiven
Hilfsbereitschaft dazwischenkäme, während man gerade dabei ist, den
attraktiven Toten zu entsorgen.
Die
Sache wird jetzt komplizierter; bei einem Besuch nämlich sieht Nathalie
die Kleider von Kent vor Lances Hütte, und als sie zurückkehrt, hat
George die Leiche zersägt und eingemauert. Ziemlich betrunken ist er auch.
Und jetzt wird er auch so richtig böse und bedroht seine Frau, jeder kämpft
um sein Leben. Am Ende, als die Leiche doch gefunden und alles zu spät
ist, bricht das schöne Holzrondell zusammen, und wetten, daß die
tolle Spitze, die ihm George am Anfang aufgesetzt hat, am Ende eine blutige
Rolle spielen wird!
Wie
die Puppen in der Puppe stecken hier die Geschichten in der Geschichte. Nur
passen sie nicht wie bei dem hölzernen Metaphernspielzeug. So sieht der
ganze Film aus, als bemühe sich jemand mit Klauen und Zangen, unpassende
Formen aus den jeweils anderen zu zerren. Kaum hat man sich eine schwarze Komödie
eingebildet, kommt ein Thriller zum Vorschein, kaum denkt man „Farce",
antwortet der Film „Psychologie". Eine gute kleine Geschichte enthält
dutzende anderer Geschichten, die man nicht erzählen muß, der schlechte
Film enthält ein Dutzend Geschichten, die sich alle weigern, zu einer guten
kleinen zu verschmelzen. Für uns sind das ein Dutzend gebrochener Versprechen
in anderthalb Stunden.
Ein
schlechtes Drehbuch, auf das ein unerfahrener Regisseur so hereinfällt,
daß er diese Fehler potenziert, mit ein paar seltsamen Highlights (zum
Beispiel, streckenweise, beim Schnitt), mit ein paar alleingelassenen Schauspielern
und einem Set, dessen optische Reize sich schneller verbrauchen als der Regisseur
sich Mühe geben kann, sie herauszustellen - das ergibt einen Film, den
man manchmal einfach in seiner unbeholfenen Art gernhaben möchte und manchmal
in seiner Verschwendung von Material und Talent verfluchen will. Denn Harvey
Keitel spielt den Richter George. Und wir ahnen, wie viel in dieser Figur steckt,
wieviel sie sagen müßte über all das, was die Exposition entworfen
hat: das Recht, die Moral, die Liebe, das Alter, das Meer, die Architektur,
den Alkohol. Über die Zeit, die Wahrheit und Lüge scheidet, wenn man
einen sehr langen Landesteg zu überqueren hat. Und wie ignorant ein Film
sein muß, der einen Harvey Keitel dazu bringt, bloß einen Cocktail
aus Komik und Dämonie zu servieren. Man fühlt sich leicht geschüttelt,
nicht gerührt.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Kopf
über Wasser
HEAD
ABOVE WATER
USA/GB
1996. R: Jim Wilson. B: Theresa Marie (basierend auf dem Drehbuch von Geir Eriksen,
Eirik Ildahl). P:
Jim Wilson, John M. Jacobsen. I(: Richard Bowen. Sch:
Michael R. Miller. M:
Christopher Young. T: Richard Bryce Goodman. A: Jeffrey Beecroft, Joseph P.
Lucky. Ko: Calleen Atwood. Pg: Fine Line/Tig/ Majestic. V:
Nil. L: 92 Min. FBW: besonders wertvoll. DEA:
Hof 1996. St: 19.12.1996. D:
Harvey Keitel (George), Cameron Diaz (Nathalie), Craig Sheffer (Lance), Billy
Zane (Kent), Shay Duffin (Polizist).
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