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Die Krähe
Das hätte schon etwas werden können: Die Comic-Serie „The Crow" von James O'Barr zeichnet sich durch ein wahrhaft düsteres Gemenge von Gothic Horror, SuperheldenTradition und Rock-Feeling aus. Sie bricht ein paar der Genre-Klischees auf, läßt aber seine Grundstruktur bestehen. Die Originalstory bringt die alten Rachemotive mit ein paar visuellen Bizarrerien zusammen: Der Gitarrist Eric Draven und seine Verlobte werden von einer im Auftrag des sadistischen Drogen-Gangsters Top Dollar stehenden Gang ermordet. Ein Jahr später, in der Nacht vor Halloween, kommt Eric aus dem Grab zurück, begleitet von einem Raben, der ihm Späher und Hilfe ist. Seine Kraft ist ins Unermeßliche gewachsen, Kugeln können ihm nichts anhaben - einen Toten kann man nicht ermorden. „The Crow" gibt sich ein düsteres Outfit, das Gesicht ist geschminkt zwischen Clown und Todesmaske. Sein freudloses Lachen ängstigt seine Gegner, auf die er von den Dächern der verrotteten Stadt herabstößt. Und in der Nacht klingt seine Gitarre über die Straßen, in denen sich nichts Gutes tut. Einer nach dem anderen werden seine Mörder und schließlich der Boß hinter dem Terror von ihm zur Strecke gebracht. Aber nicht so sehr diese Geschichte ist wichtig als vielmehr die Charakterisierung eines Helden, der nicht von Heroismus und Sendungsbewußtsein getragen wird, sondern von sehr menschlichen Gefühlen wie Angst und Verzweiflung, und der weder für sich noch für die Menschen der Stadt wirklich Hoffnung finden kann. Er wandert an der Grenze zwischen Traum und Tag, zwischen Leben und Tod, und wenn früher die Superhelden durch allerlei geheimnisvolle Essenzen oder Gesteine bezwungen werden konnten, so „The Crow" durch seine Fähigkeit. sich zu erinnern und mit anderen zu leiden. Seine Gewalttätigkeit steht in unauflösbarem Widerspruch zu einer mehr oder weniger zarten Seele; er rezitiert Gedichte und spricht auch in eher sonderbaren Situationen von der großen Liebe, die sein Leben bestimmt hat. „The Crow" ist, unter anderem, ein kaputtes und krankes Gespenst der untergegangenen Hippie-Kultur.
Der Stoff bot sich für eine gothische Filmphantasie
in der Tradition von Tim Burtons BATMAN und
dessen Nachfolgern geradezu an. Auch die Wahl der Drehbuchautoren David J. Schow
und John Shirley versprach einiges: Schow ist ein Vertreter der modernen Schule
der phantastischen Kurzgeschichte, der an den Drehbüchern für einige
Horrorfilme wie NIGHTMARE ON ELM STREET PART V
mitgearbeitet hat, und Shirley ein profilierter Vertreter des literarischen
Cyberpunk, dessen „Eclipse"-Trilogie unter Fans hoch geschätzt wird.
Der Film überträgt die Schwarzweiß-Welt
des Comics in eine dunkle, morbide Modell-Stadt, in der die Dämonen
von Notre-Dame und Renaissance-Phantasien mit Reklametafeln korrespondieren,
die nichts anderes mehr versprechen als das, worin sich die Menschen hier bewegen:
„Trash". Und es regnet dauernd wie in den Gangsterfilmen der vierziger
Jahre.
Im Comic ist Eric nach dem Vorbild verschiedener
Pop-Helden gezeichnet; im wesentlichen ist er eine Mischung aus Peter Murphy
von der Gruppe „Bauhaus" und Iggy Pop. Die Wahl von Brandon Lee betont
zwar das Athletische in der Erscheinung des Helden, aber der Schauspieler
erwies sich als durchaus mit dem Charisma eines jugendlichen Rebel Hero
begabt. Er macht diese Mischung aus Zorn und Verletzlichkeit, The Doors und
Edgar Allan Poe, Alptraum und Poesie durchaus glaubhaft und übersteht auch
jene Stellen des Drehbuchs, wo Sentimentalität und Überdeutlichkeit
in unfreiwillige Komik umzukippen drohen.
Die Musik ist die treibende Kraft in diesem Film, und
so schien auch die Wahl eines Regisseurs wie Alex Proyas, der vor allem durch
Video-Clips bekannt geworden ist, sinnvoll. Aber dadurch entstand ein Film,
der vor allem auf die Visualisierung und Musikalisierung setzte. In einer
Welt, aus der die Farben Grün und Blau ebenso verdammt sind, wie alle leuchtenden
und sanften Töne, werden die Personen von der Kraft des „Industrial Rock"
angetrieben, wie es der Regisseur will. Auf der Strecke bleibt dabei freilich
die Dramaturgie und jedes innere Verständnis für die Figuren: die
vier psychotisch mörderischen Gangster, der Superschurke und
seine chinesische Geliebte, der gute schwarze Polizist, der zum Freund und Retter
des Helden wird und das kleine Mädchen, das auf der Straße lebt,
weil seine Mutter an der Nadel hängt. Sie sind so klischeehaft
gezeichnet, daß wir auch dem Helden nicht mehr so ganz trauen. Was dem
Film schließlich ganz und gar nicht bekommt, ist sein unangenehmer Geschmack
an ausführlich präsentierter, eher realistisch als gothisch bestimmter
Gewalt, und dort, wo die Verbindung von Zorn und Melancholie in schieren
Sadismus umkippt, zerstört der Film seinen eigenen Grundton. Es scheint,
als habe sich der Regisseur dann doch nicht getraut, bei einem düsteren
Comic-Märchen zu bleiben und statt dessen dem Action-Publikum die gewohnte
gedankenlose Phantasie von Selbstjustiz, Blut, Schießerei, knochenbrecherischem
Overkill und vom Abschaum, der von der Straße geräumt werden muß,
wenigstens nebenbei servieren wollen.
Brandon Lee ist bei den Dreharbeiten durch eine furchtbare
Schlamperei der technischen Crew ums Leben gekommen. Die Szenen mit ihm waren
zwar größtenteils abgedreht, dennoch mußte mit dem Material
danach ein wenig gearbeitet werden, was hier und dort zu bemerken ist. Aber
mehr noch verändert das Bewußtsein von seinem Tod den Blick: Die
Todesbilder des Films erhalten eine andere Bedeutung. Seltsame Wehmut durchspukt
ein B-Movie, das unter anderem davon handelt, daß die Helden nur noch
schlimme Träume der Toten sind.
Georg Seeßlen
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
DIE KRÄHE (THE CROW) USA 1994. R: Alex Proyas. B: David J. Schow, John Shirley (nach einer Comic-Serie
von James 0'Barr). P: Edward R. Pressman, Jeff Post, Robert L. Rosen. K:
Dariusz Wolski. Sch: Dov Hoenig, Scott Smith. M: Graeme Revell. T: Buddy Alper.
A: Alex McDowell, Simon Murton. Ko: Arianne Phillips. Pg: Miramax/Dimension FiIms/Entertainment Media
Investment. V: Buena Vista. L: 100 Min. St: 14.7.1994. D: Brandon Lee (Eric Draven),
Ernie Hudson (Albrecht), Michael Wincott (Top Dollar), David Patrick Kelly (T-Bird)
Angel David (Skank), Rochelle Davis (Sarah), Bai Ling (Myca), Lawrence
Mason (Tin Tin).
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