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Der
Kreis
Jafar Panahis Der
Kreis ist ein Zwitter aus Realismus
und artifizieller Form. Anders als sein Lehrer Abbas Kiarostami nutzt Panahi
diesen Doppelcharakter nicht zur Reflexion aufs Medium, sondern zu politischer
Schlagkraft. Formal gehorcht der Film der Struktur des Reigens, der Verbindung
eines Abschnitts mit dem nächsten in der Begegnung der einander ablösenden
Zentralfiguren (ganz ähnlich wie bei Richard Linklaters Slacker). Das Ende holt, vielleicht ein wenig überdeutlich,
dann den Anfang ein: wenn die Frauen des ersten Abschnitts in einer 360°-Kamerafahrt
in derselben Gefängniszelle mit den anderen Heldinnen zu einem vorläufigen
Schlussbild zusammengeführt werden. Auch die eigentliche Schluss-Einstellung
holt, nun noch dazu deutlich metaphorisch, den Anfang wieder ein: ein Blick
durch ein Glasfenster in einer Tür, dann fällt die Klappe, nicht nur
die Tür ist versperrt, auch der Blick ist verwehrt - ein wenig jedoch,
zur Abmilderung der Botschaft, ist auch ein sich schließender Theatervorhang
als Implikation denkbar.
Der Kreis
erzählt bittere Geschichten aus dem Leben mehrerer Frauen in Teheran, und
er tut dies, innerhalb der strengen formalen Struktur, auf beinahe dokumentarische
Weise. Was er erzählt, sind nur Ausschnitte, die sich jedoch gerade in
ihrer Häufung zur bitteren Erkenntnis qua Detailansicht summieren, dass
die religiös geprägte iranische Gesellschaft - von der Freundlichkeit
oder Gnadenlosigkeit von Individuen erst einmal ganz abgesehen - Frauen wenig
Freiheiten lässt. Die Charaktere des Films sind nur skizziert, was ihre
Geschichten und Schicksale angeht, jedenfalls: alle kommen sie aus dem Gefängnis,
drohen, (wieder) ins Gefängnis geworfen zu werden. Viel mehr erfährt
man über die meisten nicht, die Perspektive verpflichtet sich recht streng
auf die Realzeit der Anschauung, die punktuellen, nur leise allegorisch zur
Verallgemeinerbarkeit aufgerundeten, Momente der Verzweiflung und Ausweglosigkeit
in einer gnadenlosen Umwelt.
Die Ausschnitthaftigkeit bezieht sich jedoch ganz
auf die Produktion von Wissen um die Geschichten der Figuren - auf seine Weise
nämlich lässt der Film seinen Figuren ungeheuren Raum. Lässt
ihnen die Handkamera in engster, stets auf die Frauen fokussierter Solidarität
durch die Straßen folgen. Schafft ihnen filmischen Raum und Zeit in langen,
stillen Einstellungen, auch für Akte des Widerstands: etwa wenn die Prostituierte
im Polizeiwagen, allen (durch den ganzen Film wiederholten) Verboten zum Trotz
eine Zigarette raucht. Gibt und lässt ihnen ihre Gesichter, auf denen er
verweilt, in denen Schrecken und Verzweiflung geschrieben stehen. Es sind diese
starken Momente, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob der Drang zur „Vollständigkeit"
des Schrecklichen überhaupt nötig gewesen wäre: ob nicht Wirkung
und Aussage in der Konzentration auf eine der Frauen von größerer
Klarheit wären. Es ist dies aber ein beinahe unwesentlicher Einwand.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Der
Kreis
Iran,
Italien 2000
Regie:
Jafar Panahi
Buch:
Kambuzia Partovi
Kamera:
Bahram Badakhshani
Produzent:
Jafar Panahi
Mit: Maryiam Palvin Almani, Nargess Mamizadeh, Fereshteh Sadr Orfani, Fatemeh Naghavi, Monir Arab, Elham Saboktakin, Mojgan Faramarzi, Fereshteh Sadr Orfai, Maedeh Tahmasbi, Ataollah Moghadas, Abbas Alizadeh.
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