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Kroko
Radikale
Kopfidee
Es
wird den Filmstudenten von einer ganzen Generation Filmemacher eingebläut,
die aus dem sperrigen Autorenfilm der 70er Jahre ihre Konsequenzen gezogen haben:
Erzählt Geschichten, die etwas mit eurem Leben zu tun haben! Deshalb dürfen
wir uns seit Jahren beim Erwachsenwerden auf der Leinwand zusehen. Ohne Zweifel
ist das eine Erfolgsgeschichte, die höchstens das Bedauern aufkommen läßt,
daß Leidenschaft und Überzeugungskraft des deutschen Films meist
nur hier aufblitzen.
Wenn
die Generation "um die 30", wie zu hören ist, das Erwachsensein
tatsächlich auf unbestimmte Zeit verschoben hat, dann würde es also
durchaus unsere Lebenswirklichkeit spiegeln, wenn sich der "junge Film"
thematisch in der Familie als letztem Schlachtfeld oder im Prozeß jugendlicher
Selbstfindung einrichtet. Und dort ist auch Sylke Enders' Debütfilm "Kroko"
zu finden.
Kroko
ist eiskalt und unnahbar, eine Femme fatale der Hinterhöfe. 16 Jahre, blond
und Königin ihrer Clique, deren Mitglieder sich auf den Straßen Berlins
herumtreiben. Franziska Jünger ist Kroko, und man muß Enders bei
dieser Besetzung einen sehr exakten Blick für ihr angepeiltes Milieu bescheinigen.
Jünger ist schön und eine Spur vulgär. Ihr Gesicht zeigt Facetten
einer Verletzlichkeit und ist doch Maske eines ständigen Kampfes um Kontrolle
und Respekt. Wenn Kroko hinter Schminke, Lippenstift und Wimperntusche verschwindet,
gelangweilt die Augenlider senkt, dann spiegelt sie das Dilemma ihrer ganzen
Clique wider.
Eddie,
Rolle und die anderen haben keinen Bock auf Schule und Ausbildung und wissen
nicht, wohin sie eigentlich wollen. Sie inszenieren sich zwischen graffitibeschmierten
Höfen und zweitklassigen Diskotheken als Ghetto-Kids. Entspannt rumhängen,
Sprüche klopfen und für die Party den Alkohol aus dem Laden klauen.
Kurz: das lädierte Ego lässig aufpolieren.
Kroko
allerdings manövriert sich immer weiter in die Isolation. Ihre Maskerade
ist aufgesetzt und fast unbeholfen. Und doch spürt man eine ungeklärte
Verzweiflung, die ihrem unterkühlten Spiel eine beängstigende Härte
gibt.
Während
die Mutter angesichts Krokos Eiseskälte resigniert, hofft man anfangs noch
auf Krokos Freund Eddie. Er zumindest bietet ihr die Stirn, zeigt ihr Grenzen
auf, was sie vielleicht zurück auf den Boden holt. Das mündet jedoch
in einen Kampf um Selbstbehauptung, bei dem irgendwann der Weg in eine normale
Beziehung verbaut ist. Bis sie schließlich ihre nächtliche Wahnsinnsfahrt
mit dem Auto, bei der ein Fahrradfahrer verletzt wird, vor Gericht bringt. 60
Stunden gemeinnütziger Arbeit in einem Heim für Behinderte.
Eine
wunderbare Wendung, wie Enders Krokos rotzige Coolness, ihre frostigen Sprüche
und legeren Gesten hier völlig ins Leere Laufen läßt. Die Königin
hat hier nichts zu melden. Daß die Begegnungen mit den Behinderten letztlich
diese Kunstfigur Kroko zerbricht und ihre Verletzlichkeit offen legt, das ist
abzusehen. Daß sie damit ihren Status in ihrer Clique verlieren wird und
den Rückweg in ihr altes Leben verbaut ist, ebenfalls.
Diese
Vorhersehbarkeit schadet dem Film allerdings nicht, denn die Figur der Kroko,
die Regisseurin Enders selbst als "Kopfidee" bezeichnet, ist derart
radikal angelegt, daß ihre Entwicklung beinahe parabelhafte Deutlichkeit
gewinnt. Die Erlösung von ihrer Maskerade ist ein klar vorgezeichneter
Weg. Dass der Film aus einem Kurzfilm entwickelt wurde, bleibt jedoch spürbar.
Dem Kurzfilmformat kommt die einfache, klar abgezirkelte Geschichte sehr entgegen.
Aber gerade mit einer derart spröden und verschlossenen Protagonistin hätten
die 96 Minuten von einer dichteren und prägnanteren Inszenierung profitiert.
In der Flüchtigkeit des Kamerablicks und Offenheit der Szenen schlägt
die erhoffte Unmittelbarkeit bisweilen um in Distanz dem Geschehen gegenüber.
Christoph
Pasour
Diese Kritik ist zuerst erschienen im: Schnitt
Kroko
D
2003. R,B: Sylke Enders. K: Matthias Schellenberg. S: Frank Brummundt. M:
Robert Philipp. P:
Luna Film. D:
Franziska Jünger, Alexander Lange, Hinnerk Schönemann, Danilo Bauer
u.a. 96 Min. Ventura ab 4.3.04
Der
Film ist kürzlich bei Absolut
Medien auf
DVD erschienen.
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