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Küss mich – Dummkopf
Kiss me stupid als einer der unbekanntesten und unpopulärsten Filme aus dem großen Oeuvre Billy Wilders, gehört auch zu den zunächst unterschätzen und verkannten Filmen, die erst im Nachhinein ihre berechtigte Würdigung erhielten. Kiss me stupid stellt die konsequente Fortführung von Irma la douce dar, der Film in dem Shirley McLaine als Prostituierte brilliert und Jack Lemmon in einer Doppelrolle als Polizist und vermeintlicher reicher Freier den Zuschauer in den Bann schlägt.
Hier wird
also die Idee von Irma
la douce weiterentwickelt
und böse auf die Spitze getrieben: darf man den Sex der eigenen Frau einsetzen,
wenn man Karriere machen will? Darf man die eigene Frau gegen eine Nutte eintauschen,
um moralisch besser dazustehen? Kiss
me stupid ist,
obwohl das Film- und Showbiz im Bild nur im Vorspann zu sehen ist, unverkennbar
ein Hollywood-Film über die Wurzeln des Hollywood-Erfolgs.
Wilder reflektiert hier in perfekter Weise das Phänomen Hollywood und die
filmische Fabrikation von Stars und Mythen gerade durch die Abwesenheit dieses
Ortes.
Die Geschichte ist schnell
erzählt: Orville, ein Klavierlehrer und Barney, ein Tankwart, leben in
dem Provinznest Climax irgendwo in der Wüste auf halbem Weg zwischen Hollywood
und Las Vegas. Sie komponieren in ihrer Freizeit Schlagerlieder, die sie erfolglos
an die großen Hollywood-Interpreten zu verkaufen versuchen. Eines Tages
strandet der große Star und Schürzenjäger Dino Martino in Climax
und mit einem Trick bringen sie ihn dazu, über Nacht zu bleiben. Barney
wittert die einmalige Chance und mit etwas Überredungskunst bringt er Orville
dazu, dem schmierigen Dino seine Frau zu „überlassen“ um im Gegenzug eines
der Stücke loswerden zu können. Da Orville aber nicht nur ein leicht
schwerfälliger Kleinbürger, sondern auch ein extrem eifersüchtiger
Zeitgenosse ist, wird Zelda kurzerhand gegen die Prostituierte Polly the Pistol
ausgetauscht. Es kommt, wie es kommen muss, Polly überidentifiziert sich
mit ihrer Rolle als Ehefrau Zelda, Orville kann Spiel und Realität nicht
mehr auseinanderhalten und schmeißt Dino aus dem Haus. Zelda jedoch übernimmt
wissentlich die Rolle von Polly, Barney und Orville verkaufen trotz „gescheitertem“
Plan einen Song und Orville versteht am Ende die Welt nicht mehr.
Mit
geradezu sparsamem, unspektakulärem Einsatz der Kamera, wenigen Schauplätzen
und fast ohne totale Einstellungen schafft es Wilder, die Langeweile und Enge
des provinziellen Lebens von Barney und Orville fassbar zu machen. Ihre Sehnsucht
nach dem Glamour, den ein Leben als erfolgreiches Komponistenduo verspricht,
wird gerade durch diesen Gegensatz überdeutlich und verständlich.
Die vordergründige Komödie ist denn auch geprägt durch eine tragische
Unterstimmung, so kann Kiss
me stupid vielleicht
eher als Horror Komödie durchgehen: Bettgeflüster
verheerend gekreuzt mit Psycho.
Im
Mittelpunkt steht ein Leitmotiv Wilders, ein Metathema, das in vielen seiner
Filme auftaucht: „Nichts ist, wie es scheint“: das Verhältnis von Realität
und Fiktion ist nicht klar erkennbar, die Figuren bewegen sich im Grenzbereich
zwischen Wahrheit und Selbstentwurf, zwischen inszenierter Wirklichkeit und
zu Wirklichkeit werdender Inszenierung.
Das Thema
der Prostitution und des außerehelichen Sex wird für die damalige
Zeit in äußerst provokanter Weise behandelt: Wilder entfärbt
und entzuckert den spießig verhärteten, bonbonrosagefärbten
Doris-Day-Komödientouch der 60er Jahre zu schwarz-weißer Ödnis.
Der Blick auf das puritanische Amerika ist in Kiss
me
stupid
bitterböser denn je.
Deshalb
kann man es wohl mit eben dieser Offenlegung der amerikanischen Doppelmoral
erklären, warum Kiss
me stupid zu
seiner Zeit böse verurteilt wurde. Aufgrund seiner unmoralischen Aussage
wurde er Weihnachten 1964, nachdem er schon angelaufen war, wieder aus den Kinos
genommen. Father Raymond Parr, ein Mitglied der Legion of Deceny, sprach sich
für seine Absetzung aus: „Ich halte Kiss
me stupid
für anstößig, obwohl ich den Film nie gesehen habe.“ Nach ähnlich
qualifizierten Aussagen war das Schicksal von Kiss
me stupid
besiegelt und er wurde als einer der ersten Filme nach langer Zeit von einer
a-Einstufung zu einem c-Picture abgewertet. Auch die Feuilletons der großen
amerikanischen Tageszeitungen zerfetzten Kiss
me stupid als
„eine der längsten Stammtischzoten, die es je zum Film gebracht hat.“ Wilder
selbst nahm diese wie jene Kritik gelassen auf und schrieb mit einer Art Galgenhumor
sogar Dankesbriefe an seine Kritiker.
Heute
erkennt man natürlich in solchen Überreaktionen die wahren Entgleisungen
und der Film selbst erscheint harmlos-unterhaltend. Man kann es also eher als
Wilders Verdienst ansehen, wie er es auf solch unterhaltsame Weise mit Kiss
me stupid geschafft
hat, die Doppelmoral der Amerikaner zu entlarven. In Kiss
me stupid,
wie zum Beispiel auch in One,
two, three,
hat Wilder Stoffe verfilmt, die er bewusst mit hohem Risiko gegen den Zeitgeist
eingesetzt hat. So zahlte sich seine Risikobereitschaft auf anderer Ebene aus:
in Venedig gab es für Kiss
me stupid den
goldenen Löwen.
Diese
Kritik ist nur erschienen in der filmzentrale
Küss
mich - Dummkopf
KISS
ME, STUPID
USA
- 1964 - 124 min. - schwarzweiß, Scope
Literaturverfilmung, Komödie
FSK:
ab 18; nicht feiertagsfrei
Verleih:
United Artists
Erstaufführung
(D): 25.12.1964/5.12.1973 BR/18.10.1980 DFF 1
Fd-Nummer:
13206
Produktionsfirma:
Phalanx/The Mirisch Corporation of Delaware/Claude Prod.
Produktion:
Billy Wilder, I.A.L. Diamond, Doane Harrison
Regie:
Billy Wilder
Buch:
Billy Wilder, I.A.L. Diamond
Vorlage:
nach
dem Bühnenstück "L'Ora della Fantasia" von Anna Bonacci
Kamera:
Joseph LaShelle
Musik:
André Previn, George Gershwin (Motive)
Schnitt:
Daniel Mandell
Darsteller:
Dean
Martin ("Dino")
Kim
Novak ("Polly the Pistol")
Ray
Walston (Orville J. Spooner)
Felicia
Farr (Zelda Spooner)
Cliff
Osmond (Barney Millsap)
Barbara
Pepper ("Big Bertha")
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