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Kukushka
– Der Kuckuck
Keiner spricht des anderen Sprache
Abschied von den Waffen: "Kukushka - Der
Kuckuck" spielt 1944 in finnischer Seenlandschaft. Der russische Regisseur
Aleksandr Rogoshkin lässt drei vom Krieg müde Figuren aufeinander
treffen, die fortan auf Finnisch, Sämisch und Russisch aneinander vorbeireden
- und sich trotzdem verstehen
Eine besonders viel versprechende Ausgangslage für
eine Komödie ist es, wenn mürrische und des Lebens überdrüssige
Menschen auf ganz anders veranlagte Temperamente stoßen. In "Kukushka
- Der Kuckuck" sind das der kriegsmüde Finne Vejko, der verzagte Russe
Ivan und die lebensfrohe Lappländerin Anni. Man schreibt das Jahr 1944,
in der Seenlandschaft Finnlands beschießt die Sowjetarmee aus Versehen
die eigenen Leute, während die Deutschen sich zurückziehen. Im Chaos
der Auflösung setzen sich zwei Soldaten auf unterschiedlichen Seiten der
Front ab und finden Unterschlupf an der heimeligen Feuerstätte einer Frau.
Die besten Kriegskomödien, dass zeigt der russische Regisseur Aleksandr
Rogoshkin ganz nebenbei, sind im Grunde Geschlechterkomödien.
Dass der Finne Vejko die Schnauze voll hat vom Krieg,
kann man gut verstehen, schließlich haben ihn die Deutschen an einen Felsen
gekettet und in eine Naziuniform gekleidet, um sicherzugehen, dass er aus purer
Notwehr jeden des Weges kommenden Russen erschießt. Auch Ivans Frustration
über die eigene Armee ist nachvollziehbar, denn man hat ihn gerade wegen
Spionageverdachts verhaftet. Obwohl von schlichtem Gemüt, weiß er
genug über den Stalinismus, um zu ahnen, dass er über kurz oder lang
vor einem Erschießungskommando stehen wird. Die schöne Lappländerin
schließlich ist des Krieges überdrüssig, weil er ihr den Mann
genommen hat. Nun sieht sie den Frieden kommen: "Vier Jahre keinen Mann
und nun gleich zwei!" Eigentlich müssten die drei sich auf Anhieb
verstehen, jedoch: Keiner spricht des anderen Sprache.
Der Film lässt sich Zeit, bis er bei diesem
Clou anlangt. So lernt man die Figuren zuerst unabhängig voneinander kennen:
Ivans schlechte Laune bei Verhaftung und Transport, Annis unablässiges
Werken in Hütte und Hof und vor allem Vejkos Versuche, von dem Felsen loszukommen,
an den ihn die Deutschen geschlagen haben. Wie er seinen gesamten technischen
Verstand aufbietet, aus Moos, Holz und Wasser raffinierteste Sprengvorrichtungen
bastelt, um dann doch immer nur zentimeterweise voranzukommen - das alleine
nimmt schon für ihn ein. Als er schließlich befreit in die Dämmerung
ruft: "Herr Leutnant! Ich werde noch auf ihr Grab pissen!", möchte
man mit einstimmen.
Da Vejko eine deutsche Uniform trägt, sieht
Ivan zunächst den Feind in ihm, als sie bei Anni aufeinander treffen. Der
Finne versucht sich durch Verweise auf den gemeinsamen Bildungskanon verständlich
zu machen: Mit "Tolstoi - Krieg und Frieden" will er dem Russen erklären,
dass für ihn nun "Frieden" sei. Doch der Russe beschimpft ihn
weiter als "Fritz" und "Faschist", woraufhin der Finne mit
"Dostojewski - Idiot" kontert und noch mal neu ansetzt: "Hemingway,
Ernest Hemingway - A farewell to arms"! Doch der Russe scheint den Originaltitel
nicht zu kennen.
So reden sie den Rest des Films aneinander vorbei:
Der Russe russisch, der Finne finnisch und die Lappländerin samisch. Wo
sich sonst der auf Untertitel angewiesene Zuschauer im Nachteil fühlt,
wird er hier in eine privilegierte Position versetzt: Nur dem lesenden Publikum
entschlüsselt sich der feinsinnige Humor in den sich absurd kreuzenden
Dialogen. "Kukushka" handelt auf diese Weise nicht nur vom Abschied
von den Waffen, sondern auch von den Grundlagen menschlicher Verständigung,
die von der Sprache oft mehr gestört als befördert wird. Wunderbar
verkörpern die drei Schauspieler Anni-Kristiina Juuso, Ville Haapasalo
und Viktor Bychkov jenes tiefere Verständnis des Nichtverstehens, von dem
die Kenntnis der Worte manchmal nur ablenkt. So manches Missverständnis
bleibt auf diese Weise bis zuletzt bestehen. Und obwohl die Schwerbegrifflichkeit
des Russen fast zur Tragödie führt, plädiert der Film für
eine neue Gelassenheit in der Völkerverständigung: Solange es sich
mit Missverständnissen in Frieden leben lässt, besteht kein Grund,
sie auszuräumen.
Ein solches Missverständnis ist es übrigens,
"Kukushka" für einen Beispielsfilm des neuen russischen Kinos
zu halten, obwohl er unter diesem Etikett mit drei Jahren Verspätung bei
uns in die Kinos kommt. Schließlich hört man vom russischen Kino-Boom
Erstaunliches: Während im Westen die Einspielergebnisse sinken, berauscht
man sich in Russland an exponentiell steigenden Umsatzzahlen. Die verdanken
sich nicht den Werbefeldzügen amerikanischer Blockbuster, sondern dem wieder
erwachten Appetit der Russen auf einheimische Kost.
Vom "Wir sind wieder wer"-Gefühl
ist folglich das russische Filmbusiness erfüllt, wie man zuletzt während
des Moskauer Filmfestivals sehen konnte. Zum zweiten Mal in Folge gab man einem
russischen Film den Hauptpreis. Vor drei Jahren hatte "Kukushka" mit
der Georgs-Statue in Silber Vorlieb nehmen müssen. Dass man mit dieser
patriotischen Preis-Praxis an sowjetische Traditionen der kulturellen Abgrenzung
anschließt, trauen sich nur wenige zu sagen. Die meisten, egal ob Filmemacher,
Zuschauer oder Kritiker, scheinen sich damit wohl zu fühlen.
Man gefällt sich offensichtlich
in der Rolle der letzten Kämpfer gegen die Übermacht Hollywoods; es
ist, als könne man wenigstens auf diesem Gebiet noch den Kalten Krieg gewinnen.
Doch auch dieser Kampf fordert seine Opfer. Zwar hat die neue russische Filmproduktion
technisch aufgerüstet und präsentiert stolz, dass man endlich auch
hier weiß, was Digitaleffekte sind. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist
jedoch die - traurige - äußerliche Angleichung an die gängigen
Kinorezepte des großen Antipoden. Flotte Schnitte, ein schmissiger Soundtrack
und viel Handkamera, dazu noch ein ironisches Verhältnis zur Gewalt, mit
anderen Worten: die "modernen" russischen Filme sind kaum mehr von
kommerziellen Westprodukten zu unterscheiden. "Kukushka" sei deshalb
unbedingt empfohlen, denn es könnte der letzte Film seiner Art sein: Ein
Plädoyer für den Starrsinn der jeweils eigenen Sprache.
Barbara Schweizerhof
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz vom 14.7.2005
Kukushka
- Der Kuckuck
Russland
/ Finnland 2002 - Originaltitel: The Cuckoo - Regie: Aleksandr Rogoshkin - Darsteller:
Anni-Kristiina Juuso, Ville Haapasalo, Viktor Bychkov, Sergei Berzin, Mikhail
Korobochkin, Aleksei Kashnikov, Aleksei Panzheyev - FSK: ab 12 - Länge:
100 min. - Start: 14.7.2005
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