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Kurz
davor ist es passiert
Kein Mitleid
Das Unsichtbare unübersehbar machen: Mit
der semidokumentarischen Versuchsanordnung „Kurz davor ist es passiert“ nähert
sich Anja Salomonowitz dem Thema Frauenhandel auf überzeugend unkonventionelle
Weise.
„Mein Freund ist plötzlich weg.“ Mit Heiratsversprechungen
über die Grenze nach Österreich gelockt, findet sich eine junge Frau
in einem Bordell wieder. Unter Androhung körperlicher Gewalt wird sie in
die Prostitution gezwungen. „Ich trenne mich innerlich von dem, was ich gerade
mache“, heißt es in dem Erlebnisprotokoll einer Verkauften. Zugleich beschreibt
dieser Satz aber auch seltsam treffend das ästhetische Unterfangen des
Films, in dem er fällt: Kein weinendes Opfer mit Augenbalken und nachbearbeiteter
Stimme spricht den Ich-Bericht in die Kamera, sondern ein uniformierter österreichischer
Zollbeamter mit monotoner, ein wenig unbeholfen nachfühlender Stimme.
Dem üblichen Impetus engagierter dokumentarischer
Filmproduktion, Unsichtbares und Verdrängtes sichtbar zu machen, hält
die Wiener Filmemacherin Anja Salomonowitz eine andere, hintersinnige Strategie
entgegen: Die entrechteten, marginalisierten Opfer des Frauenhandels bleiben
bei ihr unsichtbar – und schreiben sich gerade dadurch unübersehbar in
Bilder österreichischer Alltäglichkeit ein. Fünf Menschen – der
Zöllner, ein Bordellkellner, eine Diplomatin, ein Taxifahrer und eine Hausfrau
am Land – gehen in stilisierten, an Ulrich Seidls Dokufiktionen gemahnenden
Tableaus ihren täglichen Verrichtungen nach. Unvermittelt wenden sie sich
dabei immer wieder zur Kamera und tragen exemplarische Berichte nach Österreich
„gehandelter“ Frauen vor, als spräche etwas aus ihnen. Die fünf Geschichten,
die diese „Meta-Protagonisten“ (Salomonowitz) rezitieren, streifen jeweils ihre
eigenen Milieus und Arbeitswelten: Die Diplomatin berichtet von der Ausbeutung
eines Dienstmädchens in einem Diplomatenhaushalt, die Hausfrau vom Ausgeliefertsein
einer Immigrantin an ihren österreichischen Ehemann in einem kleinen Dorf
etc. „Kurz davor ist es passiert“, an einem Ort wie diesem: Dieser Verdacht
lädt die Schauplätze des Films mit mehr Unbehagen und regelrechtem
Horror auf, als es die gewollt unheimlichen Intermezzi aus verwischten Kamerafahrten
und lynchianischem Tonspur-Dröhnen je könnten.
Das Konzept hört sich komplex, aber schlüssig
an. Dass es dann auf der Leinwand auch funktioniert, ist keineswegs selbstverständlich
und umso erfreulicher. Salomonowitz, die bereits mit der Erinnerungsübung
„Das wirst du nie verstehen“ (2003) Talent für semidokumentarische Grenzgänge
bewies, betont im Interview selbst die heikle Balance zwischen Abstraktion und
Anschaulichkeit, die ihr der Film abverlangte: Die rezitierten Texte sind (auch
aus Opferschutz-Gründen) weitgehend bereinigt von Daten und Namen, sollten
aber trotz aller Verfremdung „möglichst plastisch“ sein und sich beim Zuhören
in einem Fluss erschließen.
Ähnlich prekär der Umgang mit den fünf
Vortragenden, deren Lebenswelten in den bewusst kühlen, artifiziellen Bildern
von Werbekameramann Jo Molitoris eher verallgemeinert als individualisiert werden:
„Die Personen stehen für ihre Funktionen, wie ein X: Es ist nicht der Zöllner,
der an dieser Geschichte beteiligt war, sondern ein Zöllner. Auf der anderen
Seite muss man aber schon mit diesen Leuten mitgehen können. Die Frage
war: Wieviel muss man von ihnen selbst zeigen, damit sie als Figuren interessant
bleiben?“
In der Tat steht und fällt der Film – Konzept
hin, Verfremdung her – mit der Leinwandpräsenz seiner fünf in Habitus
und Sprechgestus sehr unterschiedlichen Laiendarsteller – was etwa im Fall von
Bordellkellner Leopold Sobotka durchaus kein Nachteil ist: Wie der schlurfende
Pferdeschwanzträger sich bei kleinen Routinearbeiten im leeren Etablissement
die Geschichte einer Nachtklubtänzerin aneignet, die zu sexuellen Dienstleistungen
genötigt wird, das ist nicht nur eine faszinierend brüchige Performance.
Das pointierte Nebeneinander-Hertreiben von Bild und Text schafft hier auch
einen (erstaunlich schlüssigen) emotionalen wie zerebralen Resonanzraum
für das Schicksal der Tänzerin: Beim Geldabzählen im Hinterzimmer
berichtet der Kellner, wie sie sich für ihre versprochene Anstellung als
Kunsttänzerin im reichen Österreich in Unkosten stürzt. Als er
später den Mist raus trägt, erfährt sie, dass sie mit ihrem Tänzerinnenvisum
nur in Nachtklubs arbeiten darf: „Mein Chef stellt mir frei, ob ich nackt tanzen
will…“
„Ich wollte das Mitleid einfach weglassen“, bringt
Salomonowitz ihre Grundidee auf den Punkt. Auch den üblichen Sozialreport-Klischeebildern
(„ein wackelnder Arsch am Gürtel oder eine weinende Frau“) wollte sie etwas
entgegen setzen. Die um mehrere Ecken verfremdete Inszenierung entzieht eingespielten
Betroffenheitsreflexen wirklich weitgehend den Boden und lenkt den Blick auf
die (vor allem gesetzlichen) Strukturen, die Frauenhandel ermöglichen.
Eine andere Subjektposition als die des wehrlosen Opfers kann Salomonowitz den
Betroffenen allerdings auch nicht anbieten.
Veränderungen müssen nach dem Abspann stattfinden:
in Form notwendiger Gesetzesänderungen, und in der Arbeit der Organisation
LEFÖ, die in Kooperation mit dem Innenministerium „gehandelte“ Frauen rechtlich
und psychologisch betreut und in die Herstellung des Films eingebunden war.
Insofern sei nicht nur „Kurz davor ist es passiert“ empfohlen, sondern auch
das Rahmenprogramm, das den Film im Lauf der nächsten beiden Wochen im
Gartenbaukino begleiten wird: Dort wird sich unter anderem Justizministerin
Maria Berger der Diskussion stellen.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.falter.at
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Kurz
davor ist es passiert
Österreich 2006 - Regie: Anja Salomonowitz - Darsteller: Rainer Halbauer, Otto Pikal, Anna Sparer, Leopold Sobotka, Gertrud Tauchhammer - Länge: 72 min. - Start: 24.5.2007
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