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Labyrinth der Leidenschaften
Sehr sehenswert! Almodóvars
(FESSLE MICH) rücksichtsloser Befreiungsschlag von 1982, das LABYRINTH
DER LEIDENSCHAFTEN, ist inzwischen das definitive Dokument der Movida geworden - der in die Manie treibenden
Kulturbewegung, die Ende der siebziger Jahre nach Francos Tod eingesetzt hatte.
Hyperreaktivität und der Rausch des Alles-geht im urbanen Dschungel von
Madrid. Schon damals sitzen Frauen auf dem Ledersofa, deutlich am Rande des
Nervenzusammenbruchs. Eine an Sonnenphobie leidende Nymphomanin; eine gehorsame
Tochter, die dem debilen Vater willfährig ist; eine an Verstopfung leidende
Frau, deren Medikamente in aller Öffentlichkeit zur Unzeit wirken; eine
Prinzessin Toraya, exilierte Herrscherin von Tyran, die ihren Sohn Riza Niro
auf der schwulen Club- und Lederszene von Madrid sucht. Auf einer solchen Suche
ist aber auch eine islamische Studenten- und Terroristengruppe. Da diese Suche
intensiv betrieben und auch ein asexueller Sexologe zu Rate gezogen wird, führt
der Film sachkundig und souverän durch das Labyrinth der Madrider Pop-
und Musikszene Anfang der achtziger Jahre.
Einzelheiten sind dem Heavy-Metal-Titel
„Rat Love" zu entnehmen oder dem gebieterischen Song „Suck it to me"
- letzterer eine Musiknummer des Regisseurs Almodóvar, der auch für
die ausgesprochen bunte Ausstattung des LABYRINTHS DER LEIDENSCHAFT verantwortlich
ist. Wenn der Film auf völlig überwältigende Art und Weise authentisch
wirkt, so dank eines Regisseurs, der aus Überzeugung Teil der Movida-Szene war. Zum Idol der Popgeneration
war Almodóvar nicht wegen seiner Filme geworden (der Durchbruch kam erst
zwei Jahre später mit WOMIT HABE ICH DAS VERDIENT? jetzt auch im Verleih
von Filmwelt/Prokino), sondern wegen der legendären Musikshows, die er
zusammen mit dem Kulttransvestiten Fanny McNamara inszenierte; grell geschminkt,
Netzstrümpfe an den Beinen, zeigte er sich im fettfleckigen Morgenmantel
dem enthusiasmierten Publikum.
Mit dem LABYRINTH DER LEIDENSCHAFTEN
guckt er jetzt selbst auf eine Bühne, auf der Banales und Ungeheuerliches
gleich wichtig und unwichtig werden und auf der nichts gut oder schlecht sein
kann, weil die moralische Kategorie im ehemaligen Franco-Land abgeschafft ist.
Doch Almodóvar treibt den Sex- und Drogenrausch vorsätzlich in den
Wahnsinn. Als Antwort auf die Sexdroge erfindet er die Antisexdroge, und als
Genußmittel empfiehlt er das „Benzamuro lethal": „das macht crazy!"
- die tödliche Dosis, die er androht, scheint dem von ihm doch so liebevoll
gezeichneten Milieu zu gelten. Immer wieder kehrt sich in diesem Film manche
Brutalität des Regisseurs gegen die eigene Szene. Aggressiv notiert er
den viel zu engen, behindernden Rock, die viel zu kleinen und viel zu spitzen
Schuhe-mit-den-Stift-Hacken und die kräftigen Frauenfäuste, die den
hochgerutschten Rock mit Leibeskräften herunterzuzerren versuchen. Seine
Frauenbilder sind Lust und Gewalt in einem - die Obsession seiner frühen
Super-8-Zeit (ZWEI NUTTEN, DER FALL VON SODOM, SEX KOMMT, SEX GEHT).
Die brutal-libertäre Hemmungslosigkeit
wird im LABYRINTH DER LEIDENSCHAFTEN zum Ausdruck einer Vitalität, die
der Madrider Szene von 1982 dringend benötigte Energie zuführte.
Almodóvar war grade wegen seiner Widersprüche, seiner Entgleisungen
und Provokationen der richtige Mann. - Der Film transportiert diesen Effekt
unbeschadet ins laufende Jahrzehnt. Obwohl oder weil er unbekümmert gegen
die Regeln des Filmgenres („Spielfilm") verstieß. Zum Schluß
setzt er zum Vergleich an: „wie in EMANUELLE." Doch dieses Jahr sehen wir
seinen (alten) Film zum ersten Mal, EMANUELLE ist vergessen, und LABYRINTH DER
LEIDENSCHAFTEN braucht keinen Vergleich.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: epd Film 12/90
Labyrinth der Leidenschaften
LABERINTO DE PASIONES
Spanien 1982. R + B: Pedro Almodóvar. K: Angel
Luis Fernández. Sch: José Salcedo. M: Bernardo Bonezzi, Fany McNamara,
Pedro Almodóvar. T.Martin Müller. A: Pedro Almodóvar, Virginia Rubio.
Ko: Marina Rodriguez. Pg: Alphaville. V: Prokino. L: 100 Min. St: 22.11.1990.
D: Cecilia Rot
(Seoilia), Imanol Arias (Riza Niro), Helga Line (Toraya), Marta Fernández-Muro
(Queti), Fernando Vivanco (Dr. de la Peña), Ofelia Angelica (Susana), Concha Gregori (Augustias).
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