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L.A.
Crash
Ordnung
des Plötzlichen
In
"L.A. Crash" von Paul Haggis überfällt der Rassismus die
Menschen in Stresssituationen. Gerade die Guten. Die Bösen wissen dafür
den institutionellen Antirassismus als Mittel ihrer Karriere zu nutzen
Der
Rassismus muss verrückt geworden sein, in dieser glitzernden, kalten Nacht
von Los Angeles: Der einzige nichtrassistische weiße Polizist in der ganzen
LAPD erschießt einen schwarzen Anhalter in einer merkwürdig zwangsläufigen
Kurzschlussreaktion. Sein Opfer war wiederum der einzige Afroamerikaner, der
Country-Songs schrieb und zum Eishockey ins Valley fuhr. Er fand die weiße
Kultur genauso faszinierend interessant wie sonst immer nur weiße Hipster
die schwarze.
Währenddessen
rettet ein Cop, der schwarze Männer demütigt und schnippische, intellektuelle
Frauen sexuell belästigt, eines seiner ehemaligen Opfer unter Einsatz seines
Lebens. Einem schwarzen Fernsehregisseur wird vorgeworfen, dass seine Schauspieler
nicht schwarz genug sprechen. Ein schwarzer Cop, der nicht korrupt ist, wird
von der Innenrevision mit der Strafakte seines Bruders dazu erpresst, einen
weißen Kollegen rassistischer Übergriffe zu bezichtigen.
Alles
ist anders als es sowohl das rassistische als auch das antirassistische Klischee
will, trotzdem entgeht nichts der rassistischen Infizierung. Jeder Dialog, der
eine Person in Paul Haggis’ "L.A. Crash" einführt, beginnt mit
rassistischen Beleidigungen. Und fast jede seiner Personen hat einen Job beim
Staat oder verwandten Institutionen: als Staatsanwalt, ermittelnder Kriminalpolizist,
Streifencop, bei Krankenversicherungen und Fernsehgesellschaften. An den Arbeitsplätzen
herrscht nun wiederum ein institutioneller Antirassismus, den der Film als mindestens
so übel vorführt wie den spontanen Rassismus schimpfender Autofahrer
und schikanöser Polizisten.
Rassismus,
diese Diagnose legt der Film nahe, ist so eine Art Tourette-Syndrom des Verhaltens,
den Leuten eigentlich fremd und äußerlich. Es kommt über sie
in Stress-Situationen, zuweilen auch als Triebabfuhr, aber bei Tageslicht und
in wesentlichen Momenten sind wir doch alle weit davon entfernt.
Es
ist die Umdrehung der pessimistischen Psychologie des Leviathan, dass lediglich
zivilisierende Maßnahmen den bösen Kern der Leute im Zaume zu halten
vermögen. Der Kern ist hier gut - das Böse kommt aus einem unbekannten
Außen, einer Art negativer Verzauberung der Welt.
Um
so perfider findet der Film dann die Instrumentalisierung unseres gewissermaßen
natürlichen Antirassismus für den institutionellen Antirassismus,
in dem er letztlich doch nichts Anderes sieht als einen Vorwand im Machtkampf
um Beförderungen und Karrieren. Ein antirassistischer weißer Jung-Cop
wird von seinem zynischen schwarzen Chef gemobbt. Ein weißer Unternehmer,
der sein Leben lang bevorzugt schwarze Arbeiter angestellt hat, geht pleite,
weil die Stadt nur noch Firmen beauftragt, die in der Hand von Minorities sind.
Spätestens die letzte Geschichte liest sich, als sei sie direkt aus dem
rechten US-Talk Radio übernommen, wo täglich das Szenario gepflegt
wird, dass eine Minderheitengesetzgebung den amerikanischen Unternehmer im Würgegriff
habe.
Haggis
will aber nicht populistische Stimmung gegen Affirmative Action machen. Die
verschlungene, oft mit "Short
Cuts"
oder "Magnolia"
verglichene Erzählung baut als Gegenkategorie zu den Verdächtigungen
der Rassisten und Rassismusbekämpfer das Wunder auf. Jenseits der vergifteten
Diskurse nimmt menschenfreundliches oder nahe liegendes Verhalten den Ausnahmecharakter
des Wunders an - ihm entspricht das filmisch-spektakuläre Mittel der Verblüffung.
Ein Mann schießt auf ein kleines Mädchen. Und sie ist völlig
unverletzt.
Doch
nicht nur Heil ist vom Wunder zu erwarten: Auch der rassistische Exzess gehört
in diese Ordnung des Plötzlichen und wird von der Mise en scène
mit einer merkwürdigen Wahrheitsaura ausgestattet. So sehr es voranalytisch
bleibt, Rassismus als fremdartigen Virus zu porträtieren, der Menschen
gegen ihre Absichten befällt, und dessen institutionelle Bekämpfung
als bloß bürokratischen Ungeist, so sehr gelingt es Haggis auf der
Ebene der Erzählung, sein Prinzip der plausiblen Überraschung so aufrecht
zu halten, dass die Verwicklungen motiviert und spannend bleiben.
Was
dem Film schadet und das gut gearbeitete Drehbuch unterminiert, ist die heilige
Kamera, die den Ausdruck God's Eye wörtlich zu nehmen scheint - immer wieder
schaut sie von oben und nach oben -, und vor allem Mark Ishams Musik. Dieser
Mann, der mit seinen chetbakernden Stopftrompeten und unheimelnden Hall-Orgien
einem so manches Alan-Rudolph-Meisterwerk vergällt hat, hat die Gregorianik
entdeckt. Die verstärkt das Wundergläubige leider in die ganz falsche
Richtung.
Diedrich
Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
L.A.
Crash
USA
2004 - Originaltitel: Crash - Regie: Paul Haggis - Darsteller: Sandra Bullock,
Don Cheadle, Matt Dillon, Brendan Fraser, Jennifer Esposito, Ryan Phillippe,
Thandie Newton, Chris ,Ludacris’ Bridges, Larenz Tate, Shaun Toub - FSK: ab
12 - Länge: 113 min. - Start: 4.8.2005
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