Die
Lady und der Herzog
Die
ersten Einstellungen des Films: Gemälde. Straßenszenen aus dem Paris
des 18. Jahrhunderts. Dann aber, Wunder der Kinematographie, setzen sich die
Gemälde in Bewegung. Genauer: es löst sich eine bewegte Schicht von
der unbewegt bleibenden, ein Vorder- vom Hintergrund. Die Gebäude, die
Wolken - nicht aber die Seine! - verharren im Gemäldezustand, sind Kulissen,
deren Leinwandtextur in einigen der schönsten Einstellungen deutlich wird.
Rohmer ist ein Verfechter des Realismus, aber à la Bazin, nicht à
la naiver neuester CGI-Ideologie, die ihr Heil in der totalen Verschmelzung
von Realem und Computeranimation sucht, auf dass sich der Betrachter im Illusionsbild
verliere. Zitat Rohmer: "Die Wahrhaftigkeit kommt aus den Bildern und nicht
aus der Montage. Ich halte mich treu an Bazins These, auch wenn er bei der Tiefenschärfe
und den langen Einstellungen zu systematisch gewesen ist. Ich bin der Überzeugung,
dass der Einsatz eines extrem sichtbaren Kunstgriffs Wahrhaftigkeit verleiht."
Obwohl
für keinen Moment die Kulissenhaftigkeit der Kulisse in Frage steht, gibt
es doch ein Ineinander von Spielszenen und Hintergrund - abgesehen davon, dass
die Innenräume "echte" Studiokulisse sind. Die Wahl der Videokamera
verdankt sich, neben den technischen Möglichkeiten, die sie bietet, dem
Ton in Ton der Farben, das die Gemälde und die Kamerabilder zu wunderschönen
Kompositionen wieder vereint. Die ganze technische Raffinesse wird jedoch, sonst
wäre Rohmer nicht Rohmer, nie zum Selbstzweck, sondern selbst wieder zur
Leinwand, auf der die authentische Geschichte Grace Elliotts, der Engländerin,
die in Paris die Französische Revolution mit-, aber beinahe nicht überlebt,
erzählt wird. Ganze Passagen übernimmt das Drehbuch aus ihren Memoiren,
sie ist der Angel- und auch der Ruhepunkt, um den herum die revolutionären
Geschehnisse entwickelt werden. Nur sehr selten entwirft Rohmer dabei Ereignisbilder
- etwa einen Massenaufmarsch, eine Leichenszenerie, der Kopf einer Prinzessin
auf der Pike -, die Regel sind diskursive Bilder, Dialoge, die genau kadriert
sind, die Kamera bleibt meist statisch, verzichtet auf Closeups, folgt nur unmerklich
den Bewegungen der Personen im Raum, ganz also der auf Distanz setzende Stil
(ein Stil freilich, der eine Philosophie ist), den man aus allen Filmen Rohmers
kennt.
In
Frankreich hat sich der Regisseur mit diesem Film Feinde gemacht wie selten
zuvor. Erst musste er ohne alle staatlichen Fördermittel auskommen, dann
verweigerte ihm Cannes die Aufnahme in den Wettbewerb, aus politischen Gründen,
wie gemutmaßt wurde. Der - angesichts des komplexen Realismus-Konzepts
des Films allerdings sehr kurzsichtige - Vorwurf lautete und lautet, dass Rohmer
mit "Die Lady und der Herzog" eine royalistische Position vertritt.
Schon der Titel macht aber klar, dass dem so einfach nicht ist. Der königsfreundlichen
Haltung Grace Elliotts steht bis zu seinem Ende der zwischen Loyalitäten
hin- und hergerissene, aber entschieden auf Seiten der Revolution kämpfende
Herzog von Orléans, Cousin des Königs, gegenüber. Beiden aber
ist der Fanatismus fremd - und die Geschichte, die der Film erzählt, ist
eine doppelte. Das Politische lässt sich vom Privaten - Grace und der Herzog
waren einst ein Paar und sind noch immer engste Freunde - nicht trennen. Nur
in der Verweigerung des Fanatismus, die beide, über den Graben der politischen
Anschauung hinweg, verbindet, ließe sich, falls man zu solchen Verrechnungen
überhaupt Lust hat, eine Position ausmachen, und zwar gegen den mörderischen
Elan des Terreur, dem zuletzt auch der Herzog zum Opfer fällt.
Viel
interessanter als eine politische Position muss Rohmers Herangehen sein. In
gewisser Weise ist sein Film die Fortsetzung des Schulfernsehens mit anderen
Mitteln - übrigens hat Rohmer in den 60er Jahren tatsächlich (literar)historische
Filme fürs französische Schulfernsehen gedreht, an die leider kaum
ranzukommen sein dürfte. Sein Ziel ist eine Objektivität, die nicht
im Ideologischen liegt, sondern in der Darstellung. Eine Zurückhaltung,
die Programm ist - und zwar gerichtet gegen alle Schein-Verlebendigungen des
Historischen, die Nähe durch Überwältigung suggerieren wollen.
Rohmers Konzept ist didaktischer, kühler und intellektueller zugleich -
und deshalb geradezu unendlich altmodisch. Aufregend ist das für den, der
bereit ist, Filme als Denkstücke zu nehmen, statt emotionale Vereinnahmung
zu fordern. Darüber hinaus aber ist "Die Lady und der Herzog"
eine visuelle Lust für jeden, der Augen hat zu sehen.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Die
Lady und der Herzog
F
2001
Regie:
Eric Rohmer
Mit Lucy Russel, Jean-Claude Dreyfus, Charlotte Very