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Die
Lady von Shanghai
Es
ist unbestritten, dass Orson Welles großartig ist. Als Regisseur, als
Schauspieler. Was wäre „Der
Dritte Mann“
ohne ihn? Wahrscheinlich in Vergessenheit geraten. Gar nicht zu reden von, natürlich,
„Citizen
Kane“,
nach wie vor, auch in der Retrospektive, ein wunderbarer, reichhaltiger, unendlich
einfallsreicher Film.
„The
Lady from Shanghai“ jedoch macht es dem heutigen Betrachter nicht leicht. Fast
versteht man Harry Cohn, Chef vom produzierenden Studio Columbia, der damals
den Film erst zwei Jahre nach Entstehung, mit eigens gedrehtem Zusatzmaterial,
und enstprechender Nachbearbeitung des Schnitts, in die Kinos brachte. Welles
Version des Films war ca. 155 Minuten lang, Cohn liess in der Nachbearbeitung
über eine Stunde an Material herausschneiden. Die Story des Films jedoch
bleibt wirr und unübersichtlich, und eigentlich, auch für Welles,
wie mir scheint, zweitrangig. Die Diskussion späterer Interpreten, ob der
Film ein Traum seines Haupt-Protagonisten ist (Voice-Over!), oder das Hirngespinst
seines zunehmenden Wahnsinns, ist ebenso akademisch.
Als
Vorlage diente der 1938 erschienene Roman „If I Die before I Wake“ von Raymond
Sherwood, den Welles zum Drehbuch umarbeitete. Zum Schluss des Films weiß
niemand mehr so recht, Publikum als auch Charaktere, wer wen wann und warum
ans Leder wollte. Mir scheinen diese Fragen, wir sind Postmoderne!, auch als
nicht relevant. „The Lady From Shanghai“ ist ein Film der verstörenden
Bildbotschaften, nicht des Textes. Denn: „Build Pictures, not Words“, war die
Maxime des Welles-Vorbildes John Ford, und Welles hielt sich gerade in diesem
Film mehr denn je daran. Die unzähligen Nahaufnahmen verzerrter, boshafter
Gesichter sagen mehr denn alle, nicht gerade zur Erhellung der narrativen Umstände
beitragenden, Dialoge. Widersprüchlicherweise stammen dagegen die ikonenhaften
Grossaufnahmen von Rita Hayworth, aus dem von Harry Cohn angeordnetem Nachdreh.
Welles, damals mit Hayworth in den letzten Zügen ihrer Ehe, versuchte mit
„The Lady From Shanghai“ das unbefleckte Image seiner Ehefrau nachhaltig zu
demontieren. Hayworth ist die Dame aus dem Titel, und sie ist böse und
berechnend und geht über Leichen, was der Zuschauer aber auch erst ganz
zum Schluss, beim berühmten Showdown im Spiegelkabinett, erfährt.
Diese
sogenannte „Funhouse-Sequenz“ ist der hauptsächliche Grund, weshalb der
Film über die Jahre nach wie vor, und berechtigterweise, als exzeptionell
gilt. Die visuelle Umsetzung der Geschehnisse zum grossen Finale des Streifens
ist genial, weil absolut adäquat: Die Protagonisten lassen endlich ihre
Masken fallen, zum Vorschein kommen hässliche, bösartige, mordlüsterne
Züge, die sich in der vielfältigen Brechung der Spiegel als das entpuppen,
das sie sind: seelenlose, gebrochene Getriebene. Ihr Antrieb ist die Gier, ihr
Ziel Geld und Macht. Ähnlich wie das Spiegelbild des „Studenten
von Prag“
als auch die spiegelbildlosen Vampire unzähliger Gruselfilme fungiert das
Spiegelbild bei Welles als eine Metapher für das seelen- und damit gewissenlose
Böse im Menschen. Diese Interpretation bezüglich der „Lady From Shanghai“
selbst deutet der Regisseur bereits in der wohl bemerkenswertesten, seltsamstem
Kuss-Sequenz der Filmgeschichte an, in der er und Rita Hayworth, Liebespläne
schmiedend, sich in das Dunkel eines Aquariums zurückziehen. Im Vordergrund
der Leinwand sieht man die Silhouetten der Darsteller, Pläne schmiedend,
sich küssend. Der Hintergrund dagegen wird von grotesk verzerrten Fischen
und Kraken beherrscht, die stumm einen umso beredteren Kommentar abgeben. Welles
scheint in dieser Sequenz der arglose und naive Seemann zu sein, den die Story
erfordert. Hayworth ist das Raubtier, die Krake, die ihr Opfer umgarnt. In ihrer
betörenden Zweisamkeit ist diese Szenenfolge berückend, der Hintergrund
dagegen gibt ein irritierendes, bizarres, verstörendes Schauspiel ab.
Welles
Film ist ein Versuch, die Stilikone Hayworth zu demontieren, positiv ausgedrückt,
ihrer schauspielerischen Bandbreite neue Dimensionen zu verleihen. Doch gerade
Harry Cohn sah dies nicht so. Hayworth braucht nicht schauspielern, Hayworth
muss göttinengleich und im Weichzeichner die Leinwand der Kinos der Welt
füllen. Dafür geben die Menschen Eintrittsgeld. Welles ist ein Ikonoklast.
Doch für diese war und ist noch nie Platz gewesen in Hollywood. „The Lady
From Shanghai“ ist ein beredtes Zeugnis des ewigen, inneren Kampfes des Mediums
Films zwischen Kommerz und dem Willen zur Kunst. In diesem Fall geht der Konflikt
unentschieden aus.
Dirk
C. Loew
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Die
Lady von Shanghai
THE
LADY FROM SHANGHAI
USA
- 1946 - 81 min. – schwarzweiß - Literaturverfilmung, Kriminalfilm - FSK:
ab 12;. feiertagsfrei (fr. 16) - Verleih: Columbia - Erstaufführung: 24.2.1950/3.9.1966
ARD - Fd-Nummer: 627 - Produktionsfirma: Columbia
Produktion:
Orson Welles
Regie:
Orson Welles
Buch:
Orson Welles
Vorlage:
nach dem Roman "If I Die Before I Wake" von Sherwood King
Kamera:
Charles Lawton jr.
Musik:
Heinz Roemheld
Schnitt:
Viola Lawrence
Darsteller:
Rita
Hayworth (Elsa Bannister)
Orson
Welles (Michael O'Hara)
Everett
Sloane (Arthur Bannister)
Glenn
Anders (George Grisby)
Ted
de Corsia (Sidney Broome)
Erskine
Sanford (Judge)
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