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Das
Lächeln einer Sommernacht
Ingmar Bergmans „Das Lächeln
einer Sommernacht“ könnte man – wäre man vermessen - als publikumswirksame
Werbebroschüre für das spätere Werk des Regisseurs bezeichnen.
Denn was der Film anbietet, ist ein breit gefächerter Themenkanon (Religion,
Moral, Liebe/Eifersucht, Geschlechterkampf, Abhängigkeiten, Generationenkonflikt,
Selbst- und Fremdfindung, Adel und Bürgertum, Militärkritik, Tod,
etc.), der mit Fortschreiten der Handlung stetig neue Gedanken-Triebe schlägt
und einen diversifizierten Vorgriff auf die viel beachteten Folgearbeiten im
Gesamtwerk des Schweden leistet, die ja stets einhellig als thought-provoking
charakterisiert werden. Natürlich, könnte man folgern, kann sich Bergman
aufgrund des engen zeitlichen Rahmens einzelnen Aspekten dieses mutmaßlichen
Testballons nicht in der von ihm später gewährleisteten Seriosität
und Tiefe widmen. Seine grundsätzliche Haltung, die eben auch durch ihre
Nichtgrundsätzlichkeit bestimmt ist, wird trotzdem genügend deutlich.
Jedoch lässt die Präsentationsform, Sommerkomödie, die Bergman
bewusst (die erste Berechnung in einem komplett durchkalkulierten Projekt) wählt,
um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, unreflektiert und losgelöst
von ihrer Anwendung den undifferenzierten Vorwurf „trivial“ zu. Dieses Vorurteil
entpuppt sich aber als unhaltbar. Denn obwohl die titelgebende Jahreszeit, die
das äußere Erscheinungsbild bestimmt, anders als die kalte Saison
des verdrießlichen „Licht im Winter“ nicht unbedingt (außer bei
drückender Hitze) mit Bedeutungsschwere assoziiert wird, ist „Das Lächeln
einer Sommernacht“ substanziell kein seichter Luftikus.
Unübersichtlicher als die
vernetzten Gedankengänge, Ideen und Aussagen des Filmes sind die Beziehungskisten
und Ränkespiele seiner Protagonisten. Eine detaillierte Schritt-für-Schritt-Darlegung
ist aber an dieser Stelle nicht angebracht, da der Film in seiner vordergründigen
Rezeption als Screwball-Comedy seinen Reiz eben daraus zieht, zu verfolgen,
wer mit wem warum anbändelt. Vor allem aber wie sich die genrekonformen
Gewinner-Frauen (zumindest den gattungstechnischen Rollenzuschreibungen „unterwirft“
sich das anachronistisch-selbstbewusste Damengespann), die Schauspielerin Desirée
Armfeldt und Gräfin Charlotte Malcolm, zu Architektinnen des Glücks
aufschwingen und schließlich unter Ausnutzung der im Theaterstück
zu Beginn verblümt avisierten männlichen Achillesferse (Stolz) ihren
(vorhersehbaren) Idealzustand schaffen. Den kann man – wenn man so will - als
Belohnung für die überstrapazierten Figuren bewerten, die Bergman
effizient mehreren Schnittpunkten seiner multiplen Konfliktlinien aussetzt.
Keiner der Beteiligten ist frei Hand skizziert oder gar improvisiert, alle Charaktermerkmale,
Allüren und Verhaltensmuster sind sorgfältig dahingehend gewählt
und optimiert, die Personen in bissige Wechselwirkung zueinander zu setzen und
Spannungen zu entfesseln, die gleichzeitig zur humoristischen Ausschlachtung
auch im Zusammenhang mit der notwendigen Themenabfertigung zweitverwertet werden.
Doch bei aller Nonchalance gibt
es auch singuläre Momente und Episoden, die für sich gesehen, bedrückende
Schwere hereinbrechen lassen wollen. Interessanterweise wirken diese aber nicht
als Aussparung im komödiantischen Kontext, sondern durch ihre auffallend
isolierte Stellung im Gesamtgefüge und dem daran gekoppelten Eindruck einer
aufgebockten Erhöhung fast noch komischer als der Rest. Wahrscheinlich,
dass auch das so gewollt ist. Der sonst dominierende beschwingte Grundton wird
dann ganz abrupt wieder angeschlagen, womit Bergman außerdem der Zeitfrage
des Filmes erzählerische Gedrängtheit entgegnet. Zwei Beispiele für
derartige Einschlüsse und ihr publikumspsychologischer Stellenwert für
die Handlung:
Nach gut einer Stunde, also kurz
nach Halbzeit des Filmes, besucht Charlotte ihre etwas jüngere Freundin
Anne, um ihr bezüglich ihres Mannes, dem Anwalt Frederik Egerman, auf den
Zahn zu fühlen, der ebenso wie ihr eigener Gatte, Carl Magnus, der einladend
aufgemachten Desirée nachstellt. (Letzterer kann übrigens frenetische
Eifersucht auf der einen und offenes Fremdgehen auf der anderen Seite sehr gut
vereinbaren, weil er für sich wegen seiner gesellschaftlichen Salbung und
überhaupt wegen seines Geschlechts andere, in ihrer Schärfe nicht
nur aus heutiger Sicht atavistische, Maßstäbe gesetzt hat. Grotesk
und belustigend ist das allemal.) Stattdessen lässt sie eine von schweren
Streichern angemeldete verbale Selbstkasteiung über sich ergehen, wenn
sie ihre emotionale Abhängigkeit zu Carl Magnus eingesteht. Da ist es doch
verständlich und erwünscht, dass sie sich nicht lange beschwatzen
lässt und sich bereitwillig als intrigante Zuspielerin Desirées
engagiert, wenn das doch der Domestizierung eines moralfernen Libidinisten dienlich
ist.
Nachvollziehbar soll auch die
sanfte Entzweiung Frederiks und Annes gemacht werden, da diese doch für
die anberaumten Endverhältnisse essenziell ist. Eine Erlösung beider,
oder neudeutsch: eine Win-Win-Situation, wird also vom Film angestrebt und der
Zuschauer soll den Beschluss pro Trennung mittragen. Eine prägnante Entscheidungshilfe
für die Unentschlossenen - immerhin sind die beiden ja verheiratet - ist
dann die Szene, in der Anne, als junge Frau eines etablierten und rundum versorgenden
Bürgers, auf der vergeblichen Suche nach zu gießenden Pflanzen durch
das Haus patrouilliert und sich der Inhaltslosigkeit ihres Dahinlebens im Schatten
eines liebenden, aber erkennbar ebenso unbefriedigten Partners gewahr wird.
Als einverleibtes Mitglied des adressierten Massenpublikums möchte man
sie doch dann umgehend aus diesem entwertenden Zustand befreien.
Bergman zieht noch ein Register.
Es existiert sogar noch eine privilegierte Parallelhandlung, die solche Einschübe
wie an einer Perlenkette mit großzügigen Zwischenräumen für
die Haupthandlung aufreiht. Die Ausdehnung über den gesamten Zeitraum des
Filmes erweckt unwillkürlich den Eindruck eines Running Gags: Frederiks
Sohn Henrik, noch ziemlich benommen von den gewonnenen Überzeugungen seines
erfolgreich abgeschlossenen Theologiestudiums, durchlebt eine pikante Verwirrung
durch das Aufeinanderprallen kanonisierter religiöser Normen und Anschauungen
mit säkularer Wirklichkeit. Seine anfangs als Geschenk von höherer
Stelle empfundene Tugendhaftigkeit wird dem freudlosen Sinnierer allmählich
zur Last, da ihm klar gemacht wird, dass sie bloße Makulatur ist. Sie
zeichnet ihn nicht, sie grenzt ihn aus, denn wo in seiner Rechnung ehrliche
Anerkennung stehen sollte, sprießen zynische Spitzen, die ihm die späteren
Semester als vom Leben Geläuterte, die grad nichts Besseres zu tun haben,
trocken erwidern. Seine ihn völlig vereinnahmenden Lebensinhalte werden
dadurch nicht etwa systematisch und aggressiv, sondern schlicht (und damit noch
niederschmetternder) mit beiläufiger Ignoranz irreparabel zerbröselt.
Konsequenz: Der paranoide Grübler realisiert, dass er die Welt nicht verändern
wird und greift zum Strick, um nicht in lebensverneinender Bitterkeit zu altern.
So wie der bedauernswerte Isak Borg zwei Jahre später („Wilde Erdbeeren“), der im Jugendalter
seine große Liebe Sara mit allzu sensibler Ernsthaftigkeit überforderte
und in die Arme seines wenig einfühlsamen, aber wohltemperiert einfältigen
Bruders trieb. Isak konnte mit seiner sentimentalen Poesie keinen Eindruck schinden
und auch Henriks Lesestunden, inhaltlich gespeist aus dicken Wälzern, in
denen mehr oder weniger gescheite(rte) Utopisten ihre hochtrabenden und zumeist
verstiegenen Posen zum Besten geben, finden bei seinen beiden Zuhörerinnen,
Anne und Petra, keinen Anklang. Gottlob entspricht weltliches Material auch
diesmal nicht seinen Erwartungen und gibt ihm eine zweite Chance, so wie auch
Anne, die es schon seit längerem auf Henrik absieht. Der hat das jedoch
bislang in seinem entkräftenden Hinterfragungstaumel gar nicht richtig
mitgeschnitten.
„Das Lächeln einer Sommernacht“,
schon im Vorspann als Komödie beworben, gilt als Durchbruch Ingmar Bergmans.
Dass er die zentralen Fragen nicht nur antastet, sondern polemisch, also womöglich
auch Dissens-evozierend Stellung bezieht und dass sein unumgänglich strategischer
und ökonomischer Gestus nur unterschwellig durchscheint, das macht ihn
dann doch zu mehr als nur einem Appetizer.
Erik Pfeiffer
Das
Lächeln einer Sommernacht
SOMMARNATTENS
LEENDE
Schweden
1955
108
min.
Erstaufführung:
31.1.1958/1965 Wiederaufführung/28.9.1972 DFF1/10.8.2004 DVD
Regie:
Ingmar Bergman
Buch:
Ingmar Bergman
Kamera:
Gunnar Fischer
Schnitt:
Oscar Rosander
Musik:
Erik Nordgren
Darsteller:
Eva
Dahlbeck (Desirée Armfeldt), Gunnar Björnstrand (Frederik Egerman),
Jarl Kulle (Graf Carl Magnus Malcolm), Ulla Jacobsson (Anne Egerman), Margit
Carlqvist (Charlotte Malcolm), Harriet Andersson (Petra), Åke Fridell
(Frid)
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