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Lagrimas
Negras – Schwarze Tränen
Hier
geht es nicht um den Spielfilm LAGRIMAS NEGRAS (auf der Berlinale gelaufen),
sondern um den Musikdokumentarfilm der Niederländerin Sonia Herman Dolz,
deren LAGRIMAS NEGRAS - SCHWARZE TRÄNEN Balsam für die Seele sind.
Was in diesem jungen, munteren Film so etwas Altmodisches wie das Gemüt
anspricht, ist auf bezaubernde Weise alt. Cirilio Reinaldo Creagh Veranes, Clave-Spieler
und Sänger des kubanischen Son-Quintetts, ist 80, die anderen der Vieja
Trova Santiaguera, der alten Troubadore von Santiago de Cuba, sind ebenfalls
im Seniorenalter; mit den Schlagern ihrer Jugendzeit gehen wir in den Son-Swing
der vierziger, fünfziger und sechziger Jahre zurück, diesem gefühlvollen
Cross von schwarzem rhythm
und spanischem danzon.
Alt ist auch Fidel Castro, und er wird von den vitalen Musikaktivisten gelobt:
„Er ist nun mal der einzige, der Musikern hilft."
Die
Senioren leben in Kuba, besoldet in der Spitzenklasse A; in den Straßen
von Santiago fahren Chevrolets aus den fünfziger Jahren; auf der Auslandstournee,
in London, stehen die Kubaner am Grab von „Carlos" Marx; Arbeiter-Musiker,
wie aus einem alten sozialistischen Bilderbuch sind sie, früher Lokomotivführer
der eine, Klempner der andere, aber das Arbeiterklassenpathos haben sie nicht.
„Früher brauchte ich nur meine Nase aus dem Fenster zu stecken, schon hatte
ich ein Baby am Hals", brüstet sich Reinaldo Creagh, Vater von circa
sieben unehelichen Kindern, dann zwinkert er mit den Augen, „heute aber gibt
dieser Stift keine Tinte mehr." Über Leben und Liebe geht es zwischen
den Auftritten, ohne Federlesens, direkt, witzig, häuslich, banal und dann
wieder voll erhabener Emotion: „Ich erlitt den unendlichen Schmerz Deiner Irrwege
/ Du weißt es nicht, aber mein Weinen hat schwarze Tränen / Schwarze
Tränen wie mein Leben", gut-altmodisch, klassisch sind die Verse des
Kubaners Miguel Matamoros, die dem Film den Titel gaben.
Erst
1994 startete die Senioren-Gruppe die internationale Karriere. In Europa sind
es junge Leute, die die Musikbotschaft aus Kuba hören wollen. Für
dieses Jahr ist wieder eine Deutschlandtournee angesagt, diesmal eine große.
Die Filmemacherin Sonia Herman Dolz hatte die Gruppe während der ersten
Europatour begleitet. Zwischen den Proben, den Auftritten, vergeht die Zeit,
die man braucht, um sich mit insoweit ungeschickten Fingern eine Fliege zu binden
oder um mühsam eine zweistellige Telefonnummer in der richtigen Reihenfolge
einzugeben. Was treibt die Frau in Santiago de Cuba? Keine Eifersucht. Wieder
geht es um so etwas rührend Altmodisches wie die Sprache der Herzen. Zwischen
die Bilder aus den europäischen Städten schiebt sich anderes Licht,
gelb und braun, wir sind auf der Heimatinsel, häuslich, biographisch, selbst
der Gang übers Rollfeld bleibt unspektakulär, eine Flugreise ändert
an der Persönlichkeit nichts. Die Veranstaltungen sind von schönster
Selbstverständlichkeit; je enthusiastischer das Publikum mitgeht, desto
mehr sind die alten Troubadoure bei sich selbst. Die Kamera zeigt, wie einer
sich etwas in die Augen tröpfelt; wir haben die Gewißheit, daß
wir nicht Mitleid haben sollen, wir wußten längst, daß das
Alter seine Plagen hat. Der, der am Stock geht, wirft ihn mitten in der Performance
von sich: ein Wunder, eine lässige Selbstinszenierung. Das ist rührend
und zum Lachen, gleichermaßen.
Der
Film verzichtet darauf, Drittstatements einzuholen, etwa von Musikexperten.
Ihm gelingt es statt dessen, auf unverblümte, einfühlsame Weise die
Prosa der kubanischen Tournee in eine Bildballade zu verwandeln. LAGRIMAS NEGRAS
- SCHWARZE TRÄNEN ist mehr als ein Porträt der alten Troubadoure:
Der Film selbst hat den Rhythmus, den Swing des Son. Das Wort Dokumentarfilm
sollte man fallen lassen. Sprechen wir lieber von einer ebenbürtigen Hommage.
Die
ebenso unvermutete wie freudige Akzeptanz, auf die der Kuba-Son seit Mitte der
neunziger Jahre in unseren Konzertsälen stößt, ist pure Entdeckerfreude.
In Kuba fand sich ein musikalisches Reservat, die Quelle allen Mambos, allen
Cha-Cha-Chas. Zwar war dies die Kehrseite der US-Embargo-Politik, die auch das
Musikleben in Kuba auf sich selbst verwies. Uns gereicht das zu einer Art ökologischer
Befriedigung. Es gibt also etwas anderes als die globale Salsa-Mode. Wir sind
bei den Originalen. - Auf Kuba sieht die junge Generation das anders; sie profitiert
seit einigen Jahren von der Öffnung: Salsa, natürlich, oder CubaHipHop.
Unser Publikum begeistert sich für das Reservat. Die Plattenfirma der Vieja
Trova Santiaguera heißt neuerdings Virgin Records („La Manigua",
1998). Höchste Zeit also für den, der es unverfälscht haben will.
Dietrich
Kuhlbrodt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd film 4/1999
LAGRIMAS
NEGRAS – SCHWARZE TRÄNEN
Holland
1997. R: Sonia Herman Dolz. P: Kees Rykinks. K:
Melle Van Essen. Sch:
Gys Zevenbergen. T: Christine Van Roan. V: Endirectocom GmbH, Am Römerstein
4, 82205 Gilching. L: 75 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung. St: 11.2.1999.
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