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L’amorosa
menzogna
Dieser Kurzfilm ist dokumentarisch, arbeitet aber
mit deutlich inszenatorischen Mitteln und ironisiert so mit überraschenden
Bildführungen sein Sujet, d.h. unterläuft elegant dessen (im Kommentar
noch sanft enthaltene) Neigung zum Moralisieren.
Aus kleinen Straßenszenen heraus konzentriert
sich der Blick darauf, wie Leute aller Altersklassen, vor allem Frauen, Illustrierte
mit sentimentalen Fotoromanen lesen. Dann sieht man ein Paar in schwülstiger
Kuß-Pose vor einem Vorhang in einem engen Zimmer. Antonioni übernimmt
hier die Optik der Fotoromane und geht das erste Mal nah an die - trotzdem anonym
bleibenden - Personen heran. Ein bieder aussehender >Regisseur< dirigiert
die beiden zu immer neuen Verrenkungen. Ein Schwenk nach unten zeigt die höchst
alltäglichen Füße der Stars auf einem Podest. Während der
Fotograf unterm schwarzen Tuch ein Bild von den erstarrten Gesten schießt,
wird der romantisch säuselnde Romantext akustisch eingeblendet. In der
Dunkelkammer wird alles retuschiert. Der Film setzt seine Demontage von Trivialmythen
nicht bei der Kritik von Leserbedürfnissen an, sondern nimmt geschickt
den attraktiveren Weg, zu beschreiben, wie sich die Fumetti-Stars in durchschnittliche
junge Leute mit eigenen, unsentimentaleren Freundschaften zurückverwandeln
oder umgekehrt: ein junger Mechaniker z.B. kriecht unterm Auto hervor, steigt
aufs Motorrad und ist im nächsten Bild ein romantischer Galan. Bei seiner
privat Angeschwärmten muß er sich gegen einen alltäglichen,
vorstädtischen Gigolo-Typen durchsetzen. Auf der Straße wird er erkannt,
von Fans umringt, - ein spontanes Straßenfest beginnt, bei dem ein kleines
Mädchen mit makaber deformiertem Gesicht einen Mambo aufführt wie
ein Profi.
L’amorosa menzogna
ist keine kritische Distanzierung Antonionis, sondern ein von Sympathie getragenes
Porträt einer Mentalität, in der die leichte Liebeslüge zur Wirklichkeit
gehört. Aus den Recherchen zu L’amorosa
menzogna entstand die Idee für
Lo Sceicco Bianco
von Federico Fellini (1952), für den Antonioni mit Fellini und Tullio Pinelli
das Buch schrieb.
Claudia Lenssen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1987.
Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen und des Carl Hanser Verlags.
L’amorosa
menzogna
Italien 1948/49
Regie, Drehbuch: Michelangelo Antonioni - Kamera: Renato Del Frate. - Musik: Giovanni Fusco. - Regie-Assistenz: Francesco
Maselli. - Darsteller:
Anna Vita, Annie O'Hara, Sergio Raimondi, Sandro Roberti. - Produktion: Filmus/Edizioni Fortuna, Rom. - Organisation: Mirto
Mondei. - Format: 35 mm, sw. –
Original-Länge: 11 min. - Verleih: in der BRD nicht verliehen.
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