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In den ersten Momenten ist man versucht, ihm zu glauben: Einen Augenblick lang denkt man, er könne wirklich ein verdeckter Ermittler sein in seinem schäbigen Kleinbus voller Überwachungsgeräte, voller Kameras und Richtmikrofone. Der Augenblick aber geht schnell vorbei – spätestens, wenn Paul (John Diehl) aus dem Fenster blickt, zwei Männer beobachtet und konspirativ in sein Mikrofon flüstert: 'Ich sehe einen Araber'. Der vermeintlich Verdächtige hat nichts verbrochen außer seiner Herkunft, und die ist dem Vietnamveteran suspekt. Seit die Türme in New York in sich zusammengestürzt sind, hat er wieder Alpträume von Flugzeugen und Abstürzen, Alpträume aus seiner persönlichen Kriegshölle. Um sie loszuwerden und natürlich um seinem Land zu dienen, wo er noch kann, fährt er nun mit seinem Auto durch die Stadt und beobachtet. Araber, natürlich, und wenn sie Kartons mit einer so verdächtigen Aufschrift wie 'Borax' tragen, dann trägt er seinem Gehilfen auf, gleich mal bei Google nachzusehen, ob man aus 'Borax' nicht Bomben bauen könne.
Mit
Paul ist Wim Wenders eine treffende Karikatur gelungen, die Karikatur eines
paranoiden, xenophoben Amerikaners, gezeichnet durch die Fehler, die seine eigene
Regierung ihm beigebracht hat und dennoch blind in fehlgeleitetem Patriotismus.
Natürlich taucht – schließlich hat man es mit einem Wenders-Film
zu tun – eine Retterin auf, ein leuchtender Gegenentwurf zum verbitterten Paul.
Lana (Michelle Williams), seine Nichte – nichts gehört und gesehen hatte
er von ihr seit Jahren, weil er sich mit seiner Schwester – ihrer Mutter – zerstritten
hat. Sie kommt aus Israel, und sie trägt das Bewusstsein dessen, dass es
Konflikte auch ausserhalb Amerikas gibt, in Pauls Leben. Dort, wo Paul eine
beißende Karikatur war, da ist Lana ein Abziehbild, das Klischee der guten,
moralischen, gottesgläubigen Jugendlichen. Sicher, auch ihre Musik kommt
aus dem stylischen iPod, auch sie tippt abends Mails nach Hause, aber sie wohnt
in einem Obdachlosenheim in der Bronx, als Helferin, die Gutes tun will, den
Armen Suppe serviert und Ansprache bietet. So wirklich fehlgeleitet kann Amerika
nicht sein, wenn es noch solche Kinder hat, scheint Wenders sagen zu wollen,
und die Paranoia Pauls, sie wird am Ende, wenn er selbst realisiert, wie sehr
sie ins Leere läuft, sublimiert im Privaten, im Konflikt mit der Schwester,
die vor ihrem Tod noch einen letzten Brief geschrieben hat an Paul.
Land
of Plenty
fängt an wie eine Satire, wird mit der Zeit zum Familiendrama und streift
nebenbei noch den Thriller, denn der 'Verdächtige', der 'Araber', der übrigens
auch Gast in Lanas Obdachlosenasyl war und so die beiden Erzählstränge
zusammenführt, er wird erschossen vor den Augen von Paul und Lana. Paul
denkt natürlich sofort an eine Verschwörung – die Schüsse fielen
aus einem Auto, und das Lachen, das aus dem Auto drang, da ist Paul sich sicher,
es klang arabisch. Lana will einfach der Familie des Opfers helfen, ihr eine
Beerdigung ermöglichen und die Spur, der Zuschauer und Figuren folgen,
die Spur zu den Tätern und zur Familie des Opfers, sie lenkt ab von den
politischen Intentionen, die Wenders' Film zu Beginn beflügelten.
Einer
der Favoriten sei er beim Festival in Venedig gewesen, sagen jene, die dabei
waren – und dass dem so war, das lag wohl weniger an cineastischen Meisterleistungen,
sondern an dem Druck, nach der Auszeichnung für Michael Moore in Cannes auch
ein politisches Signal zu setzen. Gewonnen hat dann doch Mike Leigh mit seinem
Abtreibungsdrama, das wohl auch ganz deutlich ins konservative Amerika schielt.
Vielleicht hätte Land
of Plenty
mehr Chancen gehabt, wenn er sich auf seine Stärken konzentriert hätte
– die Karikatur und die Überzeichnung. Lanas Gutmenschentum wirkt aufgesetzt
und unglaubwürdig und die Behandlung des Konfliktes in Israel dient lediglich
zur Illustration ihres Charakters. Mehr Mut zur Bösartigkeit hätte
gut getan, und bei der Schilderung der amerikanischen Paranoia wäre auch
der noch direktere Blick nach Amerika erlaubt gewesen: In Klassikern wie The
Conversation
hat das Kino des New
Hollywood bereits
vor Jahrzehnten die ultimative Schilderung des paranoiden Überwachers vorweg
genommen.
Benjamin
Happel
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film gibt es im filmzentralen-archiv mehrere Texte
Land
of Plenty
Deutschland
/ USA 2004 - Regie: Wim Wenders - Darsteller: Michelle Williams, John Diehl,
Shaun Toub, Wendell Pierce, Richard Edson, Burt Young, Yuri Z. Elvin, Jeris
Lee Poindexter - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 123 min.
- Start: 7.10.2004
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