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Land of the Dead
Selten
betrat ich einen Kinosaal mit so gemischten Gefühlen wie gestern, um mir
Land
of the Dead anzusehen.
George A. Romero drehte seit 1968 eine Handvoll wegweisender Genrefilme, den
letzten, Day
of the Dead,
als ich zarte fünf Jahre alt war und mit Zombiefilmen noch nicht viel am
Hut hatte. In den 20 Jahren, die seitdem verstrichen sind, herrschte Stille
um ihn, die leider immer wieder von Peinlichkeiten á la Stark-
The Dark Half
unterbrochen wurde.
Was darf
man vom vierten Teil von Romeros Zombie-Reihe erwarten? Als Fan oder als Kritiker?
Wird es Romero gelingen an alte Qualität anzuknüpfen? Wie steht es
um die sozialkritischen Töne vergangener Zeiten? Schafft Romero es, den
Mythos, den er im Angesicht von Watergate und Vietnam erschuf, in die Zeit von
Bush und Irakkrieg zu übersetzen? Bange Fragen lauern in der Dunkelheit
als im Kino die Lichter ausgehen.
Im Vorspann
erfahren wir in flüchtig vorbeiziehenden Fernsehbildern und –Meldungen,
dass der Ausnahmezustand schon geraume Zeit anhält und die Zombies inzwischen
das Land beherrschen. Aus der zerstörten Landschaft erhebt sich, weithin
sichtbar, „Fiddler’s Green“, eine Festung aus Glas und Beton, in der die Elite
um den verbrecherischen Geschäftsmann Kaufman (Dennis Hopper) champagnerschlürfend
in gigantischen Appartments ihr High Society-Dasein fristet. An den gut bewachten
Pforten tummelt sich das Volk, das sich, mehr schlecht als recht, seine Brötchen
damit verdient, die Bewohner von Fiddler’s Green mit Waren und Dienstleistungen
zu versorgen. Außerhalb der Stromzäune des Ghettos der Lebenden beginnt
das Reich der Untoten.
Riley
(Simon Baker) und Cholo (John Leguizamo) leben davon, Streifzüge durch
Zombietown zu machen, um Waren für Kaufman zu besorgen. Als der ehrgeizige
Cholo, von seinem Platz an der Sonne in der Hochhausburg träumend, von
Kaufman betrogen wird, droht er diesem mit einem verheerenden Anschlag, sollte
er ihm nicht fünf Millionen Dollar zahlen. Dem strikten Grundsatz „I don’t
negotiate with terrorists“ folgend, beauftagt Kaufman Riley, der seinerseits
von einem Neuanfang im menschenleeren Kanada träumt, Cholo auszuschalten.
Die topographische
Dreiteilung der Stadt gibt dem Film seine äußere Struktur: Durch
die Hölle - ein Bild der Verwüstung, wie nach einer Naturkatastrophe,
stets in düsteres Zwielicht getaucht - schlurfen ächzend die lebenden
Toten, Im Fegefeuer, dem Armenviertel um die Stadt, sieht man (Klischee-) Bilder
urbaner, US-amerikanischer Armut. Hier warten Menschen wie Cholo vergeblich
auf ihre Chance, aufzusteigen in das gläserne Schloss der reichen, das
über ihnen majestätisch in den Himmel ragt und immer auf sie herabzustarren
scheint. Allgegenwärtig und unerreichbar. Ein nie eingehaltenes Versprechen.
Romero
zeigt in dieser formelhaft-dantesken Darstellung immer auch ein vereinfachtes
Bild der neoliberalen Welt. In einer Disko fungieren die Zombies als skurrile
Einrichtungsaccessoires oder als moderne Gladiatoren. Zwei von ihnen werden,
zusammen mit einer in Ungnade gefallenen Hure (Asia Argento), in ein Gehege
gesperrt. Nun können Wetten abgegeben werden, welcher der beiden sie zuerst
verschlingen wird. Wenn so gezeigt wird, wie den Entrechteten das letzte bisschen
Würde genommen wird, evoziert das auch die Bilder der US-Soldaten in Abu
Ghoreib, die breit in die Kamera grinsen, während sie „nur aus Spass“ und
zum Zeitvertreib irakische Gefangene foltern. Romeros grimmige Anti-Utopie ist
im 21. Jahrhundert angelangt und zwar mit solcher Durchschlagkraft, dass sie
versöhnlich stimmt mit den bisweilen recht offensichtlichen Mängeln
des Films.
Ein erster
Wermutstropfen ist die namhafte Schauspielerriege, die ihre Arbeit keineswegs
besser macht, als die B-Film-Mimen vergangener Tage. Simon Baker spielt die
gute Seele Riley betont flach und langweilig. John Leguizamos Latino-Macho-Gehabe
fehlt die Selbstironie, die es in Spun noch
erträglich machte. Asia Argentos schauspielerisches Talent hat schon früher
in den Filmen ihres Papas, der italienischen Horrorfilmikone Dario Argento,
einst auch an Dawn
of the Dead
beteiligt, auf niedrigstem Niveau stagniert. Schließlich Dennis Hopper,
der - ähnlich wie in Peckinpahs Abschiedsdebakel The
Osterman Weekend –
eine Paraderolle einfach verschenkt. Konsequent verspielt er jede Gelegenheit
der stereotyp-vorhersehbaren Gemeinheit seiner Figur eigenständiges Leben
einzuhauchen. Auch sind Peter Körtes Einwände gegen die Logiklöcher
des Films schwer von der Hand zu weisen. Er wundert sich, in seiner Kritik in
der FAZ, wie der Kreislauf von Produktion und Konsum eigentlich funktioniert,
wie nach jahrelangem Ausnahmezustand die Waren, die Cholo und Riley klauen,
überhaupt in die Ladenregale gelangen, wie die Reichen ihren Reichtum vermehren
und konservieren, in einer Welt in der es offenbar keine funktionierende Industrie
mehr gibt.
Angesichts
der Kohärenz mit der Romero seine Vision fortführt, lässt sich
all das gut verkraften. In Land
of the Dead
schwelgt er nicht in Selbstzitaten, sondern sucht nach neuen Wegen. Das Cameo
seines einstigen Effektspezialisten Tom Savini, der in seiner Rolle aus Dawn
of the Dead
(gleiche Machete, gleiche Lederjacke, inzwischen zombifiziert und ca. 40 Kilo
schwerer) sich durch eine Szene mordet, bleibt die Ausnahme. Wo in Night
of the Living Dead
die Untoten
noch
rein seelenlose Wesen waren, zeigten sich in Dawn
of the Dead in
ihrem Verhalten bereits Spuren von Erinnerung an ihr vorheriges Leben und in
Day
of the Dead sollte
gar versucht werden, ihnen ethisches Verhalten einzutrichtern, während
sie sich nun in Land
of the Dead
gruppenweise unter einem Anführer zu organisieren beginnen. Wenn im Zuge
ihrer zunehmenden Vermenschlichung auch Sympathie und Mitleid des Zuschauers
für sie gewonnen werden soll, wenn ihr Sturm auf die Festung der Reichen
gar als Aufstand der Ausgeschlossenen und Ausgebeuteten inszeniert wird, zeigt
das die Konsequenz mit der Romero seine Vision weiterentwickelt hat.
In Romeros
Filmen ging es einst darum, die Geschichtlichkeit der Individuen in ihrer Isolation
zu zeigen. Am eindringlichsten wird dies vielleicht in seinem Vampirfilm Martin. Ein junger
Mann, der Frauenblut trinkt, wird von seinem bigotten Onkel, der ihn für
einen Nachkommen des Grafen Dracula hält, von Kruzifixen und Knoblauch
bewacht und in sein Zimmer geschlossen. Der psychische Zerfall des Protagonisten,
seine monströse sexuelle Entfremdung spiegelt sich im gesellschaftlichen
Zerfall und in der Entfremdung der Menschen wieder. Von Arbeitslosigkeit und
Landflucht geplagt versinkt die Kleinstadt, in der der Film spielt, in Armut
und Tristesse. Martins einziges Ventil ist eine Radiosendung, in der er unter
dem Namen „Count“ über sein Gefühlsleben berichtet. Doch jeder Ausbruch
des isolierten Individuums zu anderen Menschen oder der Einbruch anderer Menschen
(nicht nur Zombies wohlgemerkt) in ihre Isolation ist bei Romero fatal. Für
Ben, den schwarzen Protagonisten in Night
of the Living Dead,
für Martin oder für die in einem Einkaufszentrum eingeschlossenen
in Dawn
of the Dead.
Für jeden Menschen seine eigene, persönliche Hölle.
Die übergeordnete,
große Hölle zu zeigen und somit vor Augen zu führen, dass das
phylogenetische Schicksal, als Synekdoche für das ontogenetische steht,
war in den bisherigen Filmen die Rolle von Fernsehen und Radio. In der Dreiklassengesellschaft
im Land der Toten, scheint sich diese Rolle verändert zu haben. In einer
Restaurantszene sieht man einen Werbespot für „Fiddler’s Green“. Wie das
Abgebildete blickt auch die Abbildung von an der Decke hängenden Monitoren
auf die Menschen herab. Zeigten die Medien den isolierten Individuen einst den
größeren Kontext, tun sie nun alles, um ihn zu verschleiern. Zeigten
sie einst grausame Realität, zeigen sie nun schöne Traumwelt. Dienten
sie einst, für Zuschauer und Protagonisten gleichermaßen, zur Einbeziehung,
dienen sie nun zum Ausschluss. Romero sagte in einem Interview, es ginge ihm
vor allem darum, die Tendenz der Bush-Regierung aufzuzeigen, Probleme einfach
zu ignorieren, die uns in Louisiana dieser Tage erschreckend verdeutlicht wird.
Wenn die Zäune, die die Reichen einst beschützten sollte, schließlich
zur tödlichen Falle für sie werden, denkt er diesen Gedanken bis zum
bitteren Ende weiter.
Als Fan
bleibt zu sagen, dass ein vierter Teil einer Horrorreihe, der Lust auf einen
fünften macht, wahrlich eine willkommene Innovation im Genre darstellt.
Nicolai
Bühnemann
Dieser
Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Kritiken
Land
of the Dead
Kanada
/ Frankreich / USA 2005 - Originaltitel: George A. Romero's Land of the Dead
- Regie: George A. Romero - Darsteller: Simon Baker, John Leguizamo, Dennis
Hopper, Asia Argento, Robert Joy - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 93
min. - Start: 1.9.2005
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