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Langsamer Sommer
Zu
schließende weiße Flecken auf der kinematographischen Landkarte,
# 135:
Hyperlinks
zu einem österreichischen Nouvelle Vague-Film.
John
sitzt am Tisch bei seinem Freund Michi und gießt lauwarmes Bier ins Häferl,
während im Hintergrund Lou Reeds "Walk On the Wild Side" läuft
und Michi ihm kindische, tröstliche Aphorismen vorliest: Sommerliches Nichtstun,
potenziert zum >
Slackertum
avant
la lettre.
John ist kanadisch-stämmiger Modephotograph im Wien der siebziger Jahre,
und seine Lebensgefährtin hat ihn eben verlassen. Mit seiner narzisstisch
gekränkten Restverliebtheit geht er einen Sommer lang diversen Freunden
und Bekannten auf die Nerven, und das ist auch schon im Wesentlichen die Handlung
des Films - konzipiert, gedreht und in der Hauptrolle dargestellt von John Cook,
kanadisch-stämmigem Modephotographen im Wien der Siebziger Jahre, eben
von seiner Lebensgefährtin verlassen.
John
ist John und Wien ist Wien, aber obwohl zu den erstaunlichsten Qualitäten
von Langsamer
Sommer
(1974-76) das vielschichtig beschworene Gefühl zählt, "da"
zu sein (und damit ist nicht bloß die dokumentarische Übereinstimmung
zwischen Bild und Realität gemeint, sondern ein sehr genauer, also dezidiert
künstlicher Realismus), wird hier zugleich permanent verfremdet, was das
Zeug hält. Der Film, den wir die meiste Zeit sehen, ist bereits ein Film-im-Film,
den John und sein Freund Helmut sich daheim beim Helmut anschauen und gelegentlich
aus dem Off kommentieren. Und John Cook selbst mit seinem kanadisch gebrochenen
Vulgär-Wienerisch ist bereits ein wandelnder > V-Effekt,
der einen mehrfach gebrochenen Blick auf das vorgeführte Wiener Bohème-Milieu
gewährleistet statt eines heimeligen Szene-Homemovies für Dabeigewesene.
Lou
Reed ist ja keine schlechte Referenz fürs ziellose Herumwarten, aber weiter
kommt man bei diesem Film mit Bob Dylan, zumal dessen schwülem > Blonde
On Blonde-Album
(1966): Film und Album verbindet ein Begriff vom Sommer, der mehr mit dumpfem
Schädelweh und zielloser Aufgekratztheit zu tun hat als mit trägem
Sonnenbaden oder lustvoller Leibesertüchtigung. Was Dylan seine schrille
Mundharmonika, sind Cook seine sonnendurchfluteten 16mm-Schwarzweiß-Aufnahmen:
Kopfschmerzen induzieren beide. Statt wehmütiger "Visions of Johanna"
setzt es larmoyantes Herumgeschimpfe über "die beschissene Ilse":
Der Liebeskummer mag gründlich ausgekostet sein und das angeschlagene Ego
ordentlich massiert, aber weil man schon irgendwie weiß, wie blöd
pubertär das von außen aussehen muss, ist die Selbstironie auch nicht
weit: als süffisantes Übersteigern des eigenen Selbstmitleids, das
sich aber trotzdem nie peinlich berührt davon distanziert. (Funktioniert
so nicht >
Glam?)
Sogar den Motorrad-Unfall, der Dylan kurz nach Fertigstellung von Blonde
On Blonde
fast das Leben kostete, agiert Cook - will man sich auf diese Interpretationsebene
einlassen - gegen Ende des Films in eigener Person aus.
Die
gedankliche Wendigkeit, die Langsamer
Sommer
beim ungezwungenen Dahintreiben durch Wiener Straßen und Plätze beweist,
seine Lust an Umwegen und versponnenen Spielereien, beweist allerdings nicht
nur eine Affinität (und - wahrscheinlich unbeabsichtigt - einen der plausibelsten
filmischen Umsetzungsvorschläge) zu Dylans undurchdringlichen Wortbilder-Gestrüppen
von Mitte der Sechziger. Das heftige Interesse an den abgelichteten Menschen,
mit der hier jedem bisschen Machismo und überhaupt jeder apodiktischen
Aussage und kategorischen Haltung die unüberschaubare Widersprüchlichkeit
eines zerfransten, zerfaserten, partikularen Lebens entgegen gehalten wird,
erinnert genauso an >
Jean
Renoir
- noch einen Fachmann für verzweifelte Fröhlichkeit und fröhliche
Verzweiflung.
Wenn
John sich im Single-Selbstmitleid einbildet, Michis Frau Hilde zu ihrem vernünftigen
Leben mit Mann und Kindern gratulieren zu müssen, dann erwidert die recht
eloquent, wie das so ist, wenn sie die Kinder manchmal am liebsten aus dem Fenster
schmeißen würde. Und wenn er sich an das Model Eva heranmacht, dann
fragt die ihn irgendwann gelangweilt: "John, willst jetzt mit mir schlafen
oder nicht?" (Dieselbe Frau wird auch in einem Wortgefecht mit einem Taxifahrer
in reinsten Mundl-Wienerisch nicht um Worte verlegen sein.) Solche Pointen,
die nicht zuletzt auf eine Relativierung des vorgeführten 70er-Schnauzbart-Machismo
hinauslaufen, dienen allerdings nicht dazu, Problemfelder zu erschließen,
"Themen anzusprechen" und auszuverhandeln, wie eben die Machtverhältnisse
zwischen den Geschlechtern im Arbeiter/Bohème-Wien der 70er. Cook lässt
es bei den einzelnen Schnappschüssen bewenden und sucht lieber immer neue
Kontext-Winkel, aus denen sich die gefilmten Menschen erschließen lassen.
So entstehen schöne, mehrdimensionale Bewegungs-Bilder, die nicht auf eine
Essenz hinter allen Kontexten abzielen, sondern auf die (durch zahllose Faktoren
mitbestimmte) Unbestimmbarkeit der Figuren. Wenn der Film schließlich
in einer ruhigen partie
de campagne
aussickert, dann wissen wir noch immer nicht so recht, wohin es gehen soll (und
im Einzelnen auch gar nicht mehr, was genau bisher "passiert" ist
an Begegnungen, Gesprächen, Unternehmungen). Aber so ist das halt, wenn
ein langsamer Sommer sich dem Ende zuneigt.
Joachim
Schätz,
17.4.2006
Langsamer
Sommer
Österreich
1976
Regie:
Michael Pilz
Darsteller:
John Cook, Eva Grimm, Katharina Pilz, Susanne Schecht
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