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Lantana
Im
Geflecht
Der
australische Spielfilm "Lantana" erzählt davon, wie Vertrauen
zwischen Menschen verloren geht - auch zwischen Zuschauern und Filmfiguren
Ein
Geheimnis liegt vor uns, so viel ist klar. Zu nah kommt die Kamera einem dichten
Buschwerk, zu bedächtig ist ihre Bewegung, begleitet von Insektengeräuschen,
die aus dem Innern dieser noch dunklen Natur kommen. Wir müssen hinein,
um inmitten der Verästelungen und Blätter langsam das Geheimnis zu
entdecken: Ein lebloser Frauenkörper hängt wie ein im Gestrüpp
verheddertes Kleidungsstück in diesem stacheligen Dickicht, seltsam verdreht
und blutig. Die Kamera fährt den Leichnam ab, eine Bewegung der Betonung
und zugleich ein Vorübergehen im gleichbleibend ruhigen Tempo.
Wir
haben gelernt, solche Filmanfänge einzuordnen: Eine Aufgabe ist gestellt
und das Zentrum an den Anfang gesetzt. Ein Tod ist aufzuklären, nachdem
er als grausam unnatürlicher Naturzustand eingeführt worden ist. Jede
und jeder wird von nun an verdächtig sein: Was haben die kommenden Figuren
mit diesem Tod zu tun, wem können wir trauen, und wie entwirrt sich das
Gestrüpp, in dem, wir haben es gesehen, die Wahrheit liegt?
In
"Lantana", dem zweiten abendfüllenden Spielfilm des australischen
Regisseurs Ray Lawrence, beginnt unsere Suche nach Antworten mit Leon (Anthony
LaPaglia), um mit ihm neue Fragen zu stellen. Wer ist diese Frau, mit der er
schläft und von der er sich so seltsam unpersönlich entweder peinlich
berührt oder routiniert verabschiedet, bevor er seine Ehefrau Sonja (Kerry
Armstrong) bei dem wöchentlichen Salsakurs trifft? "Leon, bei diesem
Tanz geht es um Sex zwischen einem Mann und einer Frau", wird der Tanzlehrer
seinen hölzernen Stil kritisieren, "also ganz eng, Becken an Becken!"
Und von dem Moment an, als der Lehrer diese tänzerische Leidenschaft mit
Sonja demonstriert, die nicht sicher scheint, ob sie diesen Moment tatsächlich
genießen darf, wird sie selbst zum nächsten Mittelpunkt der Geschichte
werden.
Übergänge
erzählen von jeder einzelnen Figur dieses Films. Sie bringen uns langsam
mit vier Ehepaaren zusammen, genauer gesagt: mit Menschen, die zuallererst gerade
nicht als Paar sichtbar werden und sich ebenso wenig in ihren Partnerschaften
geborgen und gemeint zu fühlen scheinen. Von Sonja, die von fehlender "Leidenschaft,
Herausforderung und Ehrlichkeit" in ihrer Ehe spricht, wandert "Lantana"
weiter zu der Analytikerin Valerie (Barbara Hershey), die sich seit dem Tod
ihres Kindes immer weiter von ihrem Mann John (Geoffrey Rush) entfernt hat.
Und auf eine gleitende, nahezu zwangsläufige Weise kommen wir bei Leons
Affäre an: Jane (Rachael Blake), die danach eben nicht mehr Leons Affäre
ist, sondern der selbständige Teil einer zerrütteten Ehe und außerdem
die Nachbarin von Paula (Daniela Farinacci) und Nik (Vince Colosima), deren
größtes Problem darin besteht, ihre drei kleinen Kinder durchzubringen.
Weil
jede und jeder hier Raum und eine eigene Geschichte hat, die mit denen der anderen
verflochten ist, kennt "Lantana" keine Nebenfiguren. Es muss so sein,
dass alle Verbindungen bereits existieren, dass ein Netz von Wünschen,
Verletzungen, Neben- und Miteinander längst offen liegt, als Valeries Verschwinden
Erinnerungen an die Anfangsbilder weckt. Leon ist Polizist, und seine Ermittlungen
führen uns immer tiefer in jedes einzelne Paar und zu jenen, die neben
ihren Liebeshandlungen nun auch wegen eines Verbrechens verdächtig werden.
"Vertrauen ist das Wichtigste in einer Beziehung", hat Valerie in
einer Rede behauptet.
Genau
darum geht es. Jede Verletzung, der wir in "Lantana" begegnen werden,
hat unmittelbar mit verlorenem Vertrauen zu tun, und wir selbst sind Teil dieses
Netzes von Ängsten und Erwartungen. Die nahe liegenden Verdächtigungen,
die wir sowohl zu Liebesverhältnissen als auch zu Valeries Verschwinden
anstrengen werden, führen in die Irre und zugleich zu den Menschen zurück,
denen wir unser Vertrauen bereits entzogen hatten. Das gilt für alle in
"Lantana": Wir können nicht anders und fehlen trotzdem, die Schuld
ist immer schon Teil des Spiels, für das wir uns entschieden haben. Wer
liebt, verletzt sich und andere, und es bleibt immer wieder seine/ihre Entscheidung,
darin weiter zu gehen.
So
entpuppt sich das Dickicht, in das uns Ray Lawrence Film von Beginn an führt,
als das Geflecht zwischen uns, als jene Verbindungen zwischen zweien und anderen,
die wir Beziehung oder Liebe nennen. Nicht der Leichnam vom Anfang, kein Mord
bildet das Zentrum und Geheimnis dieses Films, sondern dieses Dickicht selbst,
dessen Pflanzenname, Lantana, den Titel gibt. Wenn Leon und Sonja am Ende wieder
zusammen tanzen, vorsichtig und ganz im Rhythmus ihrer Geschichte, dann ist
damit nur ein Weg und kein Ausweg bebildert.
Jan
Distelmeyer
Diese Kritik ist zuerst erschienen in der taz
Lantana
Australien
/ Deutschland 2001 - Regie: Ray Lawrence - Darsteller: Anthony LaPaglia, Geoffrey
Rush, Barbara Hershey, Kerry Armstrong, Rachael Blake, Vince Colosimo, Russell
Dykstra, Daniela Farinacci, Peter Phelps, Leah Purcell - FSK: ab 12 - Länge:
120 min. - Start: 7.11.2002
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