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Last Days
Das
Geheimnis unangetastet lassen
Alles,
bloß kein Biopic: Gus Van Sants "Last Days" ist ein wunderbar
minimalistischer Film Ÿber die letzten Tage eines Rockstars. €hnlichkeiten zu
Kurt Cobain sind beabsichtigt, aber nie penetrant
"What else should I be? / All apologies / What else should I write? / I don't have the right" (Nirvana, "All Apologies")
Das
Schlimme an KŸnstler-Biopics ist, dass sie stŠndig vorgeben, Antworten zu liefern,
wŠhrend sie doch nur alte Gewissheiten perpetuieren. Biografien werden runtergebrochen
auf eine Abfolge von Schlaglichtern und SchlŸsselmomenten: der erste Kuss, der
Tod des Vaters/der Mutter/der Schwester, der erste Fix, der letzte Fix, der
große Hit, das geflŸgelte Wort, das seinen Platz in den GeschichtsbŸchern
beziehungsweise Pop-Annalen gefunden hat. Im Biopic kommen alle schlechten Eigenarten
des Kinos zusammen, die es letztlich wieder nur auf traditionelle Kunstformen
zurŸckwerfen. Starre Begriffe wie Werktreue, Subjektbildung und Figurenpsychologie
degradieren das Kino zu einer Bildermaschine zweiter Ordnung, bis die Kinobilder
nichts mehr darstellen als sich selbst. Die Frakturlinien einer Biografie werden
Ÿberblendet, ihre WidersprŸche notdŸrftig psychologisiert, mehrere Jahrzehnte
auf zwei Stunden zusammengeschoben - das Resultat erinnert in den meisten FŠllen
an lieblos zusammengestellte Best-Of-CDs: Bekanntes wird weiter kanonisiert
und das KŸnstlerschaffen konsensfŠhig gemacht.
Man
kann Gus Van Sant darum gar nicht hoch genug anrechnen, dass er mit "Last
Days", einer Meditation Ÿber die letzten Tage, womšglich die letzten Stunden
(genau lŠsst sich das nicht sagen, weil Van Sant wie schon in "Elephant"
seine Geschichte elliptisch angelegt hat) im Leben des ehemaligen Nirvana-SŠngers
Kurt Cobain, die Konventionen des Biopic nun rigoros unterlŠuft. "Last
Days" stellt nicht einmal den Anspruch, biografisch zu sein. Seinen Film
hat er Cobain zwar gewidmet, im Abspann stellt Van Sant aber auch klar, dass
er lediglich von dessen Leben inspiriert ist. Blake (Michael Pitt), ein abgehalfterter
Rockstar, der in seinem Landhaus im Drogenstupor vor sich hin dŠmmert, trŠgt
unverkennbar die ZŸge Cobains; sein €ußeres erinnert an die von Cobain
kultivierte Grungekluft: der ikonische Ringelpullover, die Kindersonnenbrille,
die Strickjacke und die ungepflegten Haare, die wie ein Vorhang Ÿber Pitts Gesicht
fallen.
Viel
entscheidender aber als das, was van Sant zeigt, ist, was in "Last Days"
ausgelassen wird. Diese Auslassungen verdichten sich zu einer schmerzhaften
Leere, die sich durch den ganzen Film zieht: in der Verlorenheit Blakes, der
Beharrlichkeit, mit der er sich der Kamera immer wieder entzieht, seinen verirrten
MŠrschen durch den Wald, bis hin zu einfachen Dingen wie der Zubereitung eines
Fertiggerichts. Alle Kommunikationswege sind gekappt, der Blick bohrt sich immer
wieder stumpfsinnig ins Nichts. Blakes wahnhaftes Gebrabbel bildet den permanenten
Hintergrundsound seines unaufhaltsamen Abstiegs. Van Sants Cobain-Figur wird,
so viel ist sicher, nicht im selbstzerstšrerischen Feuer eines KŸnstlers auf
dem Zenit seines Schaffens aus dem Leben scheiden, wie Cobain es in seinem Abschiedsbrief
schrieb, sondern dahinschwinden wie eine Flamme, die ihre letzten Sauerstoffreserven
aufzehrt.
"Light
my candles in a daze / Cause I've found God / hey, hey, hey"
(Nirvana, "Lithium")
Jenseits
dieses DŠmmerzustands liegt die eigentliche Geschichte Cobains, die "Last
Days" aufzuspŸren versucht. Die Rockbiografie bleibt ein weißes Blatt
Papier. Nach "Elephant", einem Film Ÿber ein Massaker an einer High
School, beschŠftigt sich Gus Van Sant mit einem weiteren Krisenmoment der Neunzigerjahre-Jugendkultur,
erneut ausgelšst durch einen sinnlosen Gewaltakt. In seinem viel publizierten
Abschiedsbrief schrieb Cobain damals, dass der Erfolg mit Nirvana und seine
Rolle als "Stimme seiner Generation", fŸr ihn, den depressiven Grungepoeten,
der der Generation X verzweifelt-wŸtende SprŸche in ihre Poesiealben schrieb,
eine BŸrde gewesen sei, an der er sich zu Tode gelitten habe. Im Popdiskurs
des 94er Jahrgangs nannte man Cobain auch das erste MTV-Opfer: der letzte wahre
Rock-'n'-Roll-Rebell, der in eine Sache hineinschlitterte, der er einfach nicht
gewachsen war.
Dass
Cobains Selbstmord mit jenem bedeutenden Augenblick zusammenfiel, an dem sich
die Differenz von Subkultur und Mainstream, nicht zuletzt durch den Erfolg Nirvanas,
endgŸltig aufzulšsen begann, und welche tragische Rolle Cobain in diesem kultur(industri)ellen
Prozess spielte, verdeutlicht vielleicht die traumatische QualitŠt der Ereignisse
im FrŸhjahr 1994. Cobain, das Wrack, beim stŠndigen Pendeln zwischen Konzerttourneen,
Reha-Klinik, Fotoshootings und Kleinfamilie. SpŠtestens mit seinem Tod war das
emphatische Label Alternative Rock, das Nirvana maßgeblich mitgeprŠgt
hatten, zu einer zynischen Floskel verkommen - und ganz bestimmt kein Selbstverwirklichungsmodell.
Eine Alternative, wozu noch gleich?
Genau
an diesem toten Punkt klinkt sich Van Sant in die Passionsgeschichte von Blake/Kurt
ein. Wir sehen Blake in seinem Gartenhaus sitzen und Notizen auf einen Zettel
kritzeln, mšglicherweise seine letzten Worte. Alles, was man seinem Gemurmel
entnehmen kann, ist der Satz. "I
lost something on the way to wherever I am today." Es
ist einer von Blakes wenigen luziden Momenten. Die nŸchterne Erkenntnis, um
etwas Essenzielles beraubt an einem unbekannten Ort angekommen zu sein, wirkt
wie ein kurzer, heftiger Stich. Ein anderer, ebenso klarer, schmerzvoller Moment
kommt gegen Ende, wenn Pitt fast fŸnf Minuten lang Akustikballaden spielt und
am Ende frustriert die Saiten seiner Gitarre zerreißt. Van Sant gibt nur
wenige Details Ÿber Blakes Vorgeschichte preis, aber biografische Hinweise auf
Cobain klingen stŠndig mit. Einmal spricht Blake mit einem seiner Bandkollegen,
der ihn zur nŠchsten Tournee Ÿberreden will, am Telefon. Das GesprŠch verlŠuft
wie so vieles in "Last Days" im Nichts. Irgendwann legt Blake den
Hšrer beiseite und lŠsst seinen Kumpel ins Leere reden, bis die Szene abbricht.
"It is now my duty to completely drain you/ A
travel through a tube / And end up in
your infection." (Nirvana, "Drain you")
Man
darf Van Sants Weigerung, ein psychologisches Profil von Blake/Kurt zu liefern,
bloß nicht mit einer Verweigerungshaltung verwechseln; dafŸr sind seine
formalen Mittel zu schlŸssig, ist der Rhythmus von Harris Savides' Bildern zu
organisch-fließend. Die Offenheit von "Last Days" lenkt den
Blick vielmehr auf Details, fŸr die sich keine KŸnstlerbiografie die Zeit nehmen
wŸrde. Van Sant geht es nicht um Mythenbildung; ihm ist der "Mythos Cobain"
oder jeder andere Rock-'n'-Roll-Mythos sogar ziemlich schnuppe. "Hast du
mit deiner Tochter gesprochen?", wird Blake einmal von seiner Managerin
(Sonic-Youth-SŠngerin Kim Gordon) gefragt. "Hast du dich dafŸr entschuldigt,
dass du ein wandelndes Rock-'n'-Roll-Klischee bist?" Van Sant bringt die
Tragik Cobains auf den Punkt: Je verzweifelter er um eine eigene IdentitŠt rang,
desto mehr wurde er zu dem Klischee, das er immer verabscheut hatte. Es wŠre
vermessen von Van Sant, etwas zu versuchen, was Cobain selbst nie gelang. Stattdessen
sucht er in den Scherben des Mythos nach menschlichen †berresten.
Wo
Van Sant aber durch seine nichtlineare ErzŠhlweise die Konkretion isolierter
EindrŸcke beschwšrt, oft ohne Sinnzusammenhang, gelingt es Savides mit seinen
minimalistischen Bildkompositionen, eine innere Geschlossenheit herzustellen.
Im Grunde besteht "Last Days" aus einer Ansammlung von konzentrierten
Tableaus, die Savides mit einer Engelsgeduld durchmisst. So ist Van Sants Film
immer dann am besten, wenn er sich den ZwŠngen des ErzŠhlens všllig entzieht.
Die Szene, in der Blake sein Notizheft vollschreibt, gehšrt zu den eindringlichsten
des Films, sie ist ein MeisterstŸck visueller Komposition. In einer langen,
gleichmŠßigen 360-Grad-Bewegung umkreist die Kamera Pitt, erfasst zunŠchst
seinen RŸcken, registriert seine fahrigen Handbewegungen und die angespannte
Konzentration in seinem Gesicht, bevor sie nach einigen Minuten wieder in der
Ausgangsposition zur Ruhe kommt. In der Zwischenzeit hat sich im Bildhintergrund
jedoch etwas getan: Durch das Fenster oberhalb seiner rechten Schulter sieht
man Blakes HausgŠste, die ihm immer wieder Anlass zur Flucht geben, lŠrmend
aus der Stadt zurŸckkehren.
Eine
andere grandiose Einstellung, eine Hommage an Michael Snows "Wavelength",
zeigt Blake aus der Distanz in seinem Proberaum. WŠhrend sich die Kamera fast
unmerklich zurŸckbewegt und StŸck fŸr StŸck den Blick auf das Landhaus freigibt,
sehen wir Blake durch das Fenster im Raum herumlaufen und die Instrumente bedienen.
Die Gitarrenakkorde schwellen zu einem mŠchtigen Drone-Sound an, und mit jedem
Instrument, das Blake spielt, nimmt die IntensitŠt des StŸcks zu, wŠhrend sich
die Kamera langsam vom Haus entfernt. Der strukturalistische Minimalismus Snows
ist "Last Days" durchaus zu Eigen (genauso wie Van Sants "Gerry"
stark von James Bennings Landschaftsfilmen inspiriert war), aber wieder verfremdet
Van Sant das Zitat graduell, um zu einer anderen Deutung zu gelangen. Wo Snow
durch die kontinuierliche Zoombewegung in das Bild hinein der Einstellung ein
RŠtsel zu entlocken versuchte, zieht Van Sant sich im Wissen zurŸck, dass auch
die Filmkamera nicht hinter Cobains Geschichte kommen wird - und manche Geheimnisse
sowieso besser unangetastet bleiben.
"I am my own parasite / I don't need a host to
live / We feed off of each other" (Nirvana, "Milk It")
Konsequenterweise
vermeidet Van Sant jeden direkten Hinweis auf Blakes Drogenkonsum; hin und wieder
gibt es versteckte Anspielungen. Die beste kommt aus den zerkratzten Rillen
einer Schallplatte: Daraus tšnen die heroingeschwŠngerten Drones von Velvet
Undergrounds "Venus in Furs"; Lou Reeds bedršhntes Mantra "I
am tired, I am weary, I could sleep for a thousand years" besingt dieselbe
Taubheit, die auch Blakes Kšrper befallen hat. Die Assoziation Plattennadel-Heroinnadel
ist ein geschmackvoller Kalauer, wenn auch etwas offensichtlich. Mitunter ist
Van Sant gar nicht mal unkomisch in seiner AnnŠherung an kaputte Rock-'n'-Roll-Klischees.
Dem AnzeigenverkŠufer der Gelben Seiten, der ihn offensichtlich mit einem anderen
Klienten verwechselt, empfŠngt Blake in einem schwarzen Nachthemdchen und Springerstiefeln.
UngerŸhrt spult der Mann sein VerkaufsgesprŠch runter; auf die Frage nach seinem
beruflichen Erfolg brabbelt Blake ein kaum verstŠndliches "Erfolg ist subjektiv".
Die
Auszeit am Ende hat Blake/Kurt sich redlich verdient. Van Sant lŠsst ihn seinen
Kšrper verlassen, die "Stairway to Heaven" hinauf, buchstŠblich. Es
ist ein kurzer Moment unnštigen Pathos in einem ansonsten bewundernswert nŸchternen
Film. (Welcher richtige Rock-'n'-Roller wird nach seinem Tod schon in den Himmel
kommen, außer Bono Vox vielleicht?) Als Zuschauer ist man erleichtert,
dass das Elend, diese morbide Schšnheit endlich ein Ende finden. Sie haben von
seinen Erfolgen gezehrt und sich eine goldene Nase verdient. Sie haben ihn ausgelaugt
und seine menschliche HŸlle zurŸckgelassen. Die Einsamkeit ist sein letzter
Trost.
Andreas
Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem Film gibt's im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Last Days
USA 2005 - Regie: Gus Van Sant - Darsteller: Michael
Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Green, Nicole Vicius, Ricky Jay, Ryan
Orion, Harmony Korine, Kim Gordon, Adam Friberg, Thadeus A. Thomas - Fassung:
O.m.d.U. - Länge: 96 min. - Start: 11.1.2007
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